Die Autobiographie des Cartoonisten OL kommt gut gelaunt daher

Der depressive Hedonist

Der Cartoonist OL legt seine Autobiographie vor. Das Ungewöhnliche daran ist: Er schreibt gar nicht schlecht gelaunt.

Andere haben die Mutter im Herzen. Ich hab sie in der rechten Hand.« OL hatte die Handschrift seiner Mutter kopiert, um damit die von ihr ausgestellten Entschuldigungsschreiben noch einmal neu zu verfassen. So sehr schämte er sich in der Schule für die vor Fehlern strotzenden Briefe. Max Goldt überliefert diese Episode 1993 im Begleittext zu OLs Erstveröffentlichung »Rosebud«. Und OL fügte hinzu: »Ich könnte niemals mit der rechten Hand onanieren.« Vielleicht ist es daher auch kein Zufall, dass »Rosebud« von einem Cartoon mit der Zeile »Händewaschen wie bei Mutter’n« eröffnet wird.
Die Mutter und der abseitige Humor, das scheinen zwei Fixpunkte im Leben Olaf Schwarzbachs zu sein, wie OL bürgerlich heißt. Zumindest in den ersten zweieinhalb Jahrzehnten, wie man nachlesen kann. Denn mit »Forelle Grau« hat Schwarzbach eine Autobiographie über sein Leben in der DDR geschrieben. Dort sind vom Aufwachsen im bürgerlichen Umfeld über die Druckerlehre bis zur Hausbesetzung und dem Rübermachen in den Westen viele Stationen seiner Jugend zusammengeführt. Der Buchtitel leitet sich von Schwarzbachs Stasiakte »OPK Forelle« ab. Man ahnt, stromlinienförmig ist dieses Leben nicht verlaufen.
Das lag zunächst nicht am 1965 in Berlin geborenen Olaf Schwarzbach selbst. Mutter Susanne nahm sich mit 21 Jahren das Leben – kurz vor seinem dritten Geburtstag. Wenige Monate zuvor war der Großvater bei einem Autounfall gestorben. Weil sein Vater 20 Jahre älter als Susanne und zudem ihr einstiger Lehrer war, wollte die Familie den kleinen Olaf nicht zu ihm geben. So wurde seine Tante Uta zur neuen Mutter und er zog zu ihr und Onkel Gerald nach Potsdam. Mit der etwas älteren Stiefschwester kommt er gut zurecht, die im selben Haus wohnende Großmutter ist fieser Natur. Trotzdem wächst Schwarzbach recht behütet auf, Kindergarten- und Krippenerlebnisse lesen sich wie in so vielen Ostbiographien seiner Zeit. Grob chronologisch geht er beim Erzählen vor, hangelt sich dann aber auch an bestimmten Orten entlang, was Sprünge durch die Zeit ermöglicht.
Fast beiläufig streut er kleine Dosen der Politik- und Kulturgeschichte der DDR ein. Das unterscheidet sein Buch angenehm von Peter Richters soeben veröffentlichten »89/90«, dessen biographische Schilderung einer Jugend im Dresden der Vor- und Wendezeit zwar großartiger Lesestoff ist, aber mit 134 Fußnoten erschlägt. Auf solche verzichtet Schwarzbach und unterfüttert sein Buch lieber mit beigefügten Quellen wie Auszügen aus der Stasiakte und Briefen von Verwandten sowie zahlreichen Fotos.
Natürlich darf die für Ostsozialisierte obligatorische Digedags-Abrafaxe-Debatte nicht fehlen: Die Digedags sind drei Kobolde aus »Mosaik«, einer DDR-Comic-Serie – damals war selbstverständlich von »Bildgeschichte« die Rede, um nicht des Schunds verdächtigt zu werden. Aufgrund eines Streits mit dem Urheber wandelte der Verlag sie in die drei Kobolde Abrafaxe um. Seiner Alterskohorte entsprechend ist Schwarzbach Anhänger der ersten, eher simpler gezeichneten Figuren. Eine Vorliebe, die zum minimalistischen OL-Stil passt.
Stilistisch gibt sich Schwarzbach eher zurückhaltend. Was verwundert, denn es entspricht nicht seinen expressiven Zeichnungen, in denen er gern auch mal lakonisch oder nur mit leiser Ironie seine Pubertätserfahrungen darstellt. Der anekdotische Zufall, der immer zu den besten, weil überraschenden Ereignissen führt, kommt dabei natürlich nicht zu kurz. Wer kann schon behaupten, am 9. November 1989 eine Weisheitszahn-OP überstanden zu haben? Bei wem lugten die Hoden aus der Hose hervor, als er mit einer ­Jugendliebe »Post« spielte und auf dem Teppich sitzend Briefe abstempelte? Nicht jeder hat so ulkige Lehrausbilder, die wie Lech Walesa oder Lemmy Kilmister ausgesehen haben. Oder durfte den Bronze gewordenen Verfassern des »Kommunistischen Manifest« am Berliner Marx-Engels-Forum die Finger aufbohren, um Kondenswasser zu vermeiden. Wer hat sich schon bei einem Kopfsprung in die Havel die Nase gebrochen? Und wem riet ein Mitwirkender an »Werner« – immerhin nachweislich Flachköppermeister –, das Zeichnen aufzugeben und lieber seine Fluchtgeschichte etwa an die Taz zu verkaufen?
Schwarzbachs Schreibe liest sich dabei immer unterhaltsam, bis zum nächsten traurig-tragischen Ereignis und zum nächsten bitteren Moment. Über Kumpel Stan schreibt Schwarzbach: »Dass er später mal einen Literaturpreis erhalten und ich seine Totenrede halten würde, konnten wir damals nicht wissen.« Mehrfach ist von Selbstmorden zu erfahren, zwei Mal versucht Schwarzbach selbst, sich das Leben zu nehmen – ein Leben, das er auf den nächsten Seiten dann wieder zelebriert. »Wir machten uns über die Tristesse, in der wir leben mussten, lustig, um sie ertragen zu können«, meint dieser depressive Hedonist an einer Stelle – das kann für seine Zeichnungen bis heute gelten. Schade, dass kaum Zeichnungen aus jener Zeit erhalten geblieben sind. Im Buch findet sich ­lediglich das Frühwerk »Arbeiterfahne« aus dem Jahr 1969. Das Arbeitsziel »Nicht über die Linie malen« konnte oder wollte Schwarzbach schon damals nicht erfüllen. Seine Lebensbeschreibung verrät das Unbehagen eines Individuums am Zwangskollektiv. Seine Nische fand er zuerst in der Druckerlehre, später stieg er aus, so wie es in der DDR ging – und kündigte.
Man erfährt so einiges über die Berliner Untergrundszene der achtziger Jahre, von den vielen Versuchen, anders zu sein oder einfach vom Staat in Ruhe gelassen zu werden. »Ich hatte es nicht eilig, nach Deutschland zu kommen.« In den Westen wollte er schon gar nicht, traute den Verlockungen nicht. Floh aber zur Tante nach München, als er nach einer Untergrund-ausstellung vermutete, verfolgt zu werden, und auch dem Wehrdienst entgehen wollte. Aus Selbstschutz vernichtete er das Beweismaterial, dadurch gingen seine Zeichnungen verloren.
Wahrscheinlich prägte aber auch diese Zeichnungen bereits, was noch heute der Kern seines Schaffens ist: ein an Wortspielen geschulter und vor Fäkalhumor nicht zurückschreckender Wille zur Witzgestaltung. Wenn auf dem Cover seiner Erstveröffentlichung von 1993 Ernie von Bert mit dem Revolver gerichtet wird, entspricht das Schwarzbachs bekundeter Fernsehleidenschaft, zu der die »Sesamstraße« als fester Programmpunkt gehörte.
Und eine kleine Rache gönnt sich OL auch: Olaf Schwarzbach wird einmal grundlos von einem Transportpolizisten verprügelt, Gröbel heißt er im Buch. Da mag man nicht an Zufall glauben, wenn der Strip »Leichen pflastern seinen Weg« einen gescheiterten Major namens Gröbert (vielleicht hat er sich falsch erinnert) auftreten lässt. Betrunken an der Imbissbude lehnend erzählt er von damals: Da »hatte ich Macht über Leben und Tod und die nutzte ich Weißgott … wir können noch, wenn wir wollen!«

Olaf Schwarzbach kam 1965 in Berlin zur Welt. Seit 1982 nennt er sich OL – weil er zu faul war, seinen Vornamen auszuschreiben. Mit der »Jungle World« ist er seit Gründung der Zeitung verbunden, allwöchentlich sind seine Cartoons auf der Seite zwei zu finden. Wegen einer drohenden Verhaftung floh er aus der DDR nach München und lebt seit 1991 wieder in Berlin. Er arbeitet als freiberuflicher Cartoonist unter anderem für die »Berliner Zeitung« und das Berliner Stadtmagazin »Tip«.

Olaf Schwarzbach: Forelle Grau. Die Geschichte von OL. Berlin-Verlag, Berlin 2015, 320 S., 19,99 Euro