Der Streit beim französischen Front National und seine Nähe zu Putin

Die Liebe zu Putin

Der Richtungsstreit zwischen Jean-Marie Le Pen, dem Gründer des Front National (FN), und seiner Tochter, der Parteivorsitzenden Marine Le Pen, eskaliert. Der FN kündigte ein Disziplinarverfahren gegen den Gründer an. Was Vater und Tochter weiterhin eint: Sie träumen von einer Allianz mit Russlands Machthabern.

Große Teile der extremen Rechten in Westeuropa hegen eine große Liebe zum derzeitigen Machthaber in Russland. Einer ihrer prominentesten Vertreter brachte es kürzlich in einem aufsehenerregenden Interview auf den Punkt. Der bald 87jährige Jean-Marie Le Pen führte in der am Donnerstag voriger Woche erschienenen Ausgabe der altfaschistischen Wochenzeitung Rivarol zum Thema Russland aus: »Wir müssen uns zwingend mit Russland verständigen, um das boreale Europa und die weiße Welt zu retten.«

Seine Wortwahl verdeckte nur notdürftig den deutlichen Bezug auf Begriffe, die selbst ein Jean-Marie Le Pen kaum ungestraft verwenden kann. So steht monde blanc (weiße Welt) in diesem Fall für »weiße Rasse«. Das Adjektiv boréal (nördlich, hier auf den Wald bezogen) ist eine unverkennbare Anspielung auf eine Theorie, die in den siebziger Jahren von antidemokratischen und antiegalitären Ideologen der sogenannten Nouvelle Droite (Neue Rechte) entwickelt wurde. Später wurde sie vom Rassenideologen Pierre Vial, der mittlerweile nahezu offen nationalsozialistisch auftritt und aus dem rechtsintellektuellen Milieu der Nouvelle Droite kommt, aufgegriffen und in Richtung einer Blut- und Boden-Ideologie fortentwickelt.
Diese Theorie handelt von den »Waldvölkern« und »Wüstenvölkern«. Beide seien auf unabänderliche Weise durch die Geographie ihres »natürlichen Lebensraums« geprägt worden. Die »Waldvölker« – die man sich als »nordisch« vorzustellen hat, um den Nazijargon aufzugreifen – seien eher polytheistisch dem Konkreten statt dem Abstrakten verpflichtet. Für sie sei es vorteilhaft, sich zum Neuheidentum zu bekennen und damit an die Tradition ihrer Ahnen anzuknüpfen, statt einem von den »Wüstenvölkern« übernommenen Monotheismus anzuhängen. Alle drei monotheistischen Religionen seien aus Prinzip abzulehnen. Sie seien von den »Wüstenvölkern« entwickelt worden, weil in den wüstenhaften Weiten ihrer Breitengrade angeblich der Hang zur Abstraktion aufkommen konnte: Wo keine Vegeta­tion den Horizont verdeckt, kann der Geist herumschweifen und sich Dinge wie einen abstrakten universellen Gott ausdenken.
Jean-Marie Le Pen ist kein Theoretiker, auch nicht im Sinne der Nouvelle Droite oder Pierre Vials, sondern ein Machtpolitiker, der Signale an die eine und im nächsten Moment an die andere Strömung der extremen Rechten aussenden kann. Beispielsweise an fundamentalistische Rechtskatholiken und an faschistische Neuheiden, deren Ideologie auch schon Teile der SS beeinflusst hatte. In diesem Fall hat er, um das erwünschte enge Bündnis mit Russland zu rechtfertigen, in den Fundus der letztgenannten Strömung gegriffen. Dass sein Interview mit der 1951 gegründeten Rivarol erhebliche Aufmerksamkeit erregte, liegt allerdings weniger an seinen Ausführungen über Russland. Es weist noch eine Reihe anderer, als Provokationen begriffener Äußerungen auf. »Ich habe den Marschall Pétain nie als Verräter betrachtet«, sagte der Gründer des Front National. Philippe Pétain hatte von 1940 bis 1944 als autoritärer Chef de l’État die Führung des mit den Nazis kollaborierenden Vichy-Regimes übernommen. 1945 war er dafür zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Die jüngsten Auslassungen Jean-Marie Le Pens haben den seit Tagen schwelenden, heftigen Konflikt (Jungle World 15/2015) mit seiner Tochter und Nachfolgerin im Parteivorsitz, Marine Le Pen, nochmals zugespitzt. Jean-Marie Le Pen hatte kürzlich, wie schon zuvor, mit einer Verharmlosung der Gaskammern im Zweiten Weltkrieg provoziert. Am Freitag voriger Woche forderte Marine Le Pen ihren Vater explizit auf, sich aus dem aktiven politischen Leben zurückziehen. Am Montag verzichtete Jean-Marie Le Pen dann auf die Spitzenkandidatur in der südostfranzösischen Region PACA bei der Regionalparlamentswahl im Dezember. Stattdessen wird dort wohl seine Enkelin Marion Meréchal-Le Pen für den FN kandidieren, die den Positionen des Großvaters nahesteht. Wenn es derzeit beim FN innerparteilich hoch hergeht, dann nicht, weil die Orientierung auf eine strategische Allianz mit Russlands Machthabern umstritten wäre. An diesem Punkt liegt auch Marine Le Pen vollkommen auf der Linie ihres Vaters. Ihre Unterstützung Putins war bereits hinlänglich bekannt, wurde aber am 2. April durch eine Veröffentlichung der Internetzeitung Mediapart erneut bestätigt.
Mediapart publizierte in französischer Übersetzung mehrere E-Mails und SMS des hochrangigen Kreml-Funktionärs Timur Prokopenko, die zuvor durch Netzpiraten der Gruppe »Anonymous International« geleakt worden waren. 66 Nachrichten, die der damals für Presse und Internet zuständige Staatsfunktionär im Frühjahr vorigen Jahres gesendet und empfangen hatte, betrafen Marine Le Pen. Prokopenko und seine Gesprächspartner hatten erwogen, die Vorsitzende des FN als Wahlbeobachterin zum Referendum auf der Halbinsel Krim am 16. März 2014 einfliegen zu lassen. Weil Marine Le Pen mitten im französischen Kommunalwahlkampf steckte, entsandte sie ihren Berater Aymeric Chauprade, der zu dieser Zeit als führender Geopolitiker des FN galt, auf die Halbinsel. Mittlerweile sitzt Chauprade für den FN im Europaparlament, seit Herbst ist er bei seiner Parteivorsitzenden in Ungnade gefallen, unter anderem wegen Differenzen hinsichtlich der Haltung des FN zu den USA.
Bei der Abstimmung wurde die Angliederung der ukrainischen Region an Russland beschlossen. International wurde dieses Referendum überwiegend nicht anerkannt. Marine Le Pen hingegen befand, das Referendum sei korrekt abgelaufen und sein Ergebnis gültig. »Sie hat unsere Erwartungen nicht enttäuscht«, kommentierte Prokopenko. In der Folge diskutierten er und sein Kommunikationspartner »Kostia« über eine finanzielle Unterstützung für den FN. Was einmal mehr nahelegt, dass der Kredit in Höhe von neun Millionen Euro, den der FN Ende vorigen Jahres aus Russland erhielt (Jungle World 19/2014), kein unpolitischer Bankkredit gewesen war, wie von der Partei stets behauptet wird.

Andere rechtsextreme Parteien, mit denen der FN offiziell nicht in Verbindung gebracht werden möchte – unter anderem wegen ihrer zum Teil offen nazistischen Programmatik –, trafen sich am 22. März im »Holiday Inn« in Sankt Petersburg. Rund 150 ausländische Personen nahmen an einer Tagung teil, die von der Wladimir Putin unterstützenden Partei Rodina (Vaterland) unter der harmlos anmutenden Bezeichnung »Internationales konservatives Forum« ausgerichtet wurde. Gegenüber Journalisten sagte der Pressesprecher des Kreml, Dmitri Peskow, Präsident Putin sei über das Stattfinden der Tagung »unterrichtet«.
Auf der Tagung befanden sich russische Rechtsextreme wie der 24jährige Alexei Miltschakow. Der frühere Skinhead kämpfte bewaffnet an der Seite der Separatisten in der Ostukraine, steht auf der Sanktionsliste der EU – als jüngste dort auftauchende Person – und posierte auf Fotos bereits unter Hakenkreuzfahnen. Auch der ultrarechte Publizist Konstantin Krilow nahm an dem Treffen teil. Aus dem Ausland angereist waren Udo Voigt als Vertreter der deutschen NPD, der Vorsitzende der British National Party (BNP), Nick Griffin, Repräsentanten der griechischen Neonazipartei »Goldene Morgenröte« und der bulgarischen Partei Ataka, der italienische Neofaschist Roberto Fiore sowie der US-amerikanische Rassist Jared Taylor. Offiziell lag ihnen vor allem am Herzen, die »werteorientierte Familienpolitik« der russischen Regierung zu unterstützen.
Der französische FN war nicht mit von der Partie, begründet wurde das Fernbleiben mit anderweitigen terminlichen Verpflichtungen. Stattdessen reiste mit Olivier Wyssa ein ehemaliges Parteimitglied des FN an. Wyssa, der im Raum Lyon sowie in Genf als Anwalt tätig ist, ist übrigens ein erklärter Pétain-Sympathisant.