Die Reaktionen auf den Brandanschlag in Troglitz

Lokal, regional, überall

»Tröglitz ist überall«, sagte Sachsens-­Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) nach dem Brandanschlag auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft. Diese Einschätzung erfährt auch Widerspruch.

Nachdem in der Nacht zum 4. April der Dachstuhl eines für Flüchtlinge vorgesehenen Wohnhauses im sachsen-anhaltinischen Tröglitz gebrannt hatte, zeigte sich die bundesdeutsche Politik erschüttert über das Ausmaß rassistischer Gewalt gegen die Unterbringung von geflüchteten Menschen in Deutschland. So bezeichnete Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) in einem Interview mit der Welt »die Ereignisse von Tröglitz« als Schande und wies darauf hin, dass solche Angriffe »bei unseren Partnern in der Welt mit großer Sorge registriert« würden. »Wenn in Deutschland Flüchtlingsunterkünfte brennen«, verfolge die Weltgemeinschaft, »wie die deutsche Gesellschaft darauf reagiert«. Für den Außenminister kommen die internationalen Pressemeldungen über rassistisch motivierte Gewalt zur Unzeit. Im Jahr der deutschen G7-Präsidentschaft möchte er die Bundesrepublik »als tolerantes, weltoffenes und seiner Verantwortung bewusstes Land« präsentieren.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) wünschte sich im Gespräch mit dem Tagesspiegel »mehr gegenseitige Rücksichtnahme«, wenn Flüchtlinge in einem Ort aufgenommen werden. Demonstrationen, ob nun gegen eine »Umgehungsstraße oder gegen ein Flüchtlingsheim in ihrer unmittelbaren Umgebung«, seien vom Grundgesetz gedeckt, aber das »Ausmaß an Beschimpfungen, das es gibt, und den zum Teil beleidigenden Ton, der immer unerträglicher wird, oder gar Bedrohungen« könne man nicht akzeptieren. Aus seiner Sicht sind derzeit keine neuen Aktionspläne gefragt, sondern »gutes, handfestes Arbeiten von Bürgermeistern, Initiativen und den Menschen vor Ort«. Seiner Meinung nach »ist Tröglitz nicht überall«, sagte de Maizière am Rande eines Besuchs des Technischen Hilfswerks in Erfurt dem ZDF. Damit widersprach der Bundesinnenminister einer Aussage von Reiner Haseloff (CDU), dem Ministerpräsidenten Sachsen-Anhalts.
Haseloff hatte in der Welt davor gewarnt, die Tat in Tröglitz als Einzelfall abzutun. Mit Blick auf eine steigende Zahl von Übergriffen auf Flüchtlingsheime handle es sich vielmehr um ein »bundesweites Problem«. Außerdem forderte der Landespolitiker, dass man sich »in der Bundespolitik mit dieser unsäglichen Entwicklung auseinandersetzen« müsse. Die politische Verantwortung wird nur allzu gern zwischen diesen beiden politischen Ebenen hin und her geschoben. Bundesinnenminister de Maizière (CDU) ließ sich zuletzt damit zitieren, dass er als Dienstherr der Polizei »auf eine starke Bürgergesellschaft zum Schutz von Flüchtlingen« setze. Im Gegensatz zu Sigmar Gabriel (SPD) lehnt de Maizière eine finanzielle Unterstützung der Gemeinden bei der Flüchtlingsbetreuung durch den Bund grundsätzlich ab.

»Haseloff lügt mit der Wahrheit«, meint Daniel Bohn vom Bündnis »Halle gegen rechts«. Seine Aussage »Tröglitz ist überall« treffe zu, weil es »momentan keinen Ort in der Bundesrepublik gibt, in dem Angriffe auf Flüchtlinge beziehungsweise Anschläge auf Unterkünfte von Geflüchteten ausgeschlossen werden können«. Gleichzeitig stimme »die Phrase nicht«, vor allem »wenn es um die Besonderheiten im Burgenlandkreis geht«. Hier hat sich in den vergangenen Jahren eine gut vernetzte Kameradschaftsstruktur entwickelt, die eng mit der NPD verbunden ist. Seit drei Wahlperioden ist die rechtsextreme Partei mit einer dreiköpfigen Fraktion im Kreistag vertreten. Verschiedene Immobilien werden von Neonazis im Burgenland genutzt. So hat der derzeit in Österreich inhaftierte Philipp Tschentscher bereits 2010 ein Haus in Görschen gekauft, dessen Anschrift auch von dem bekannten Neonazi Martin Christel als Kontaktadresse für den Black-Metal-Versand Pesttanz verwendet wird. Außerdem sind mit »Kraftschlag« und »Permafrost« zwei der bekanntesten Nazibands aus Sachsen-Anhalt im Kreis angesiedelt.
»Überall in Sachsen-Anhalt gibt es mittlerweile rassistische Mobilisierungsversuche gegen Flüchtlinge und deren Unterbringung«, sagt Bohn. So wurde im Februar eine noch nicht bezogene Unterkunft im Magdeburger Stadtteil Neu-Olvenstedt attackiert, in Halle demonstrierten im März einige Hundert Neonazis gemeinsam mit Anwohnern gegen den Zuzug von Roma-Familien und Flüchtlingen in ihren Stadtteil Silberhöhe und am Osterwochenende trafen sich in Güntersberge im Harz einige Hundert Menschen, um Unterschriften gegen eine mögliche Unterbringung von Flüchtlingen in ihrem Ort zu sammeln. Dass rassistische Ressentiments in Sachsen-Anhalt besonders verbreitet sind, belegt auch die aktuelle »Mitte«-Studie der Universität Leipzig, die auf repräsentativen Befragungen beruht. 2014 stimmten in Sachsen-Anhalt mit 42,2 Prozent so viele wie sonst nirgends ausländerfeindlichen Einstellungen zu. Der bundesdeutsche Mittelwert lag bei 24,3 Prozent.

Weil die Erstaufnahmestelle für Asylbewerber in Halberstadt überfüllt ist, plant Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU), eine zweite Anlaufstelle im ehemaligen Kinder- und Erholungszentrum (Kiez) in Güntersberge einzurichten. »Das wäre eine Katastrophe«, sagte Horst Wicht, ein örtlicher Gastronom, der regionalen Tageszeitung Volksstimme. »Wir leben hier vom Tourismus. Hier kommt doch kein Mensch mehr her, wenn hier Hunderte Asylbewerber sind«, so Wicht. Er befürchte, dass bei ihm eingebrochen werde. Außerdem geht es Wicht um die »Verhältnismäßigkeit«. Güntersberge hat nur 800 Einwohner. »Wie soll das denn gehen, mit 600 Asylbewerbern?« fragt Wicht. So viele sollten auch gar nicht kommen, wie die Mitteldeutsche Zeitung berichtete, plant das Land dort eine Unterkunft für 300 bis 400 Flüchtlinge.
»Hier in Güntersberge ist doch nichts los. Was sollen die den ganzen Tag hier machen?« fragt sich auch die Anwohnerin Ilona Decker. »Ist doch klar, dass die irgendwann auf dumme Gedanken kommen«, ist sie sich sicher. Decker möchte nicht den Eindruck erwecken, dass sie etwas gegen die »Asylanten« habe, aber »die sind hier einfach am falschen Ort«. Von den Überlegungen, aus dem Kiez eine Flüchtlingsunterkunft zu machen, hat Ortsbürgermeister Günter Wichmann (CDU) aus der Zeitung erfahren. »Wir wurden bisher überhaupt nicht informiert. Da ist es doch völlig klar, dass die Stimmung im Ort schlecht ist«, zeigt sich Wichmann verärgert über die Landespolitik. Dabei habe Innenminister Stahlknecht doch eine bessere und transparentere Kommunikation als in Tröglitz angekündigt.

»Mir hat Hermann Göring persönlich geschrieben, dass ich Sie erschießen soll.« Selbst nach seinem Rücktritt bekommt der parteilose ehemalige Ortsbürgermeister Markus Nierth weiterhin solche Drohungen aus dem rechten Milieu. Auch der Landrat des Burgenlandkreises, Götz Ulrich (CDU), ist in das Visier von Rechtsextremen geraten. Dem MDR zufolge hat Ulrich in den vergan­genen Wochen mehrere E-Mails mit Drohungen erhalten. »Ich bin persönlich bedroht worden und der Hinweis kam, dass das nicht der letzte Schritt ist.« Es gehe sogar soweit, dass ihm »die Methoden der Französischen Revolution angedroht werden«. Gegenüber der Zeit äußerte Ulrich Zweifel, ob die Neuankömmlinge ausreichend geschützt werden können: »Dafür kann ich nicht garantieren.« Aber eine Unterbringung der Flüchtlinge in größeren Städten lehnt er trotzdem ab. »Dann haben die Rechten gewonnen«, sagt der Landrat, der inzwischen ebenso wie Nieth unter Polizeischutz steht.
Torsten Hahnel von »Miteinander e. V. – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit« in Sachsen-Anhalt konstatiert, man könne »den Behörden im Burgenlandkreis momentan keinen direkten Vorwurf« machen. Gerade der seit einem knappen Jahr amtierende Landrat Ulrich »hat sich frühzeitig des Themas Unterbringung von Flüchtlingen im Landkreis angenommen und eine klare Position bezogen«, sagt Hahnel der Jungle World. Von der Bundespolitik erhofft sich Miteinander e. V. mehr Unterstützung für ehrenamtliche Flüchtlingshelfer in den Kommunen. Der Verein regt einen Aktionsfonds des Bundes an, aus dem Bürgerinitiativen eine Aufwandsentschädigung für ihr Engagement erhalten könnten. »Auch im Rahmen der Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus muss die Arbeit gegen Rassismus stärker als bisher gefördert werden«, fordert der Geschäftsführer des Vereins, Pascal Begrich.
Angesichts des Brandes in Tröglitz »darf es nicht bei Solidaritätsbekundungen bleiben«, so Begrich. Jene, die sich engagieren, »bedürfen des konkreten Schutzes und der Unterstützung von Staat und Zivilgesellschaft«. Ob aber nach dem Brandanschlag auf das Asylbewerberheim überhaupt noch Flüchtlinge in Tröglitz untergebracht werden, ist bislang nicht sicher. Derzeit liefen Gespräche mit dem Ziel, zunächst für eine Gruppe von »acht, zehn oder zwölf Flüchtlingen« privaten Wohnraum zu beschaffen, so ein Sprecher des Landesinnenministeriums. Insgesamt soll sich an der Gesamtzahl der Flüchtlinge, die in Tröglitz aufgenommen werden, nichts ändern. Obwohl die Bedrohung für die Neuankömmlinge immer noch sehr groß ist.
Zwei Beispiele aus dem Westen der Republik zeigen, dass es auch jenseits der östlichen Bundesländer regelmäßig zu Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte kommt. So zündete ein Familienvater am 9. Februar im 3 000-Einwohner-Städtchen Escheburg in Schleswig-Holstein eine noch leerstehende Unterkunft für Asylbewerber an. Diese war danach unbewohnbar. Zwei Wochen später ging in der westfälischen Kleinstadt Coesfeld eine neu eingerichtete Notunterkunft in Flammen auf. Dass bei dem Zeltbrand niemand zu Schaden kam, ist dem beherzten Eingreifen von Sicherheitsleuten zu verdanken, die das Feuer schnell unter Kontrolle brachten.