Griechenlands kaum lösbare Schuldenkrise

Mit Schulden in den Frühling

Die griechische Regierung bemüht sich um Kredite und Schuldenrückzahlung und sucht dafür neue Allianzen wie die mit Russland. Doch die ökonomischen Probleme Griechenlands sind noch lange nicht gelöst.

Kaum hatte sich der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras vergangene Woche auf den Weg zu seinem Antrittsbesuch bei Wladimir Putin in Moskau gemacht, überschlugen sich deutsche Medien mit Spekulationen über die finsteren Absichten, die damit verbunden seien. Allen voran räsonierte Bild über einen möglichen »Anti-Merkel-Pakt« der beiden Politiker und mokierte sich nebenbei noch über die Hotelkosten: umgerechnet 300 Euro pro Nacht – Tsipras hätte wohl mit einer Übernachtung im Hostel Sparwillen demonstrieren sollen. Andere Zeitungen interpretierten den Besuch beim russischen Präsidenten ebenfalls als »Drohgebärde« – er diene vor allem dazu, die Europäische Union mit einer möglichen russisch-griechischen Allianz zu erpressen.
Tatsächlich kokettiert vor allem Tsipras’ rechts­populistischer Koalitionspartner mit vertraulichen Beziehungen zu Putin, mit dessen reaktionären Ansichten die »Unabhängigen Griechen« vielfach übereinstimmen. Zudem hat die griechische Regierung bereits mehrfach bekundet, dass sie von der EU-Sanktionspolitik gegenüber Russland nicht viel halte. In Moskau lobte Tsipras die kulturellen Gemeinsamkeiten und schwärmte von den »Frühlingsgefühlen« in den Beziehungen beider Länder.

Angesichts der pathetischen Erklärungen und gemessen an den düsteren Spekulationen fielen die Ergebnisse des Besuchs dann ziemlich mager aus. Neues Geld wird Tsipras von Russland jedenfalls nicht erhalten. Es wäre für die russische Regierung auch widersinnig, Kredite zu vergeben, die sie höchstwahrscheinlich nie zurückgezahlt bekäme, zumal die russischen Devisenreserven kontinuierlich schwinden. Folglich sagte Tsipras auf einer Pressekonferenz, dass die finanziellen Probleme Griechenlands ausschließlich im Rahmen der Euro-Zone geklärt werden könnten. Dass Russland alles andere als ein lukrativer Partner ist, weiß man in Griechenland spätestens seit der Schuldenkrise auf Zypern. Damals reagierte Putin auf entsprechende Anfragen der zypriotischen Regierung mit unerfüllbaren Kreditbedingungen. Auch vorige Woche zeigte sich die russische Regierung knauserig. Selbst der eher bescheidene Wunsch von Tsipras, das Einfuhrverbot für griechische Oliven oder Trauben zu lockern, wurde abgelehnt. Der Importstopp wurde infolge der EU-Sanktionen verhängt und hatte die griechische Agrarwirtschaft zunächst hart getroffen.
Interessierter zeigte man sich in Russland hinsichtlich möglicher Investitionen. So kündigte Putin an, sich vielleicht an einigen Staatsunternehmen zu beteiligen, die auf der Privatisierungsliste der griechischen Regierung stehen. Der Hafen von Thessaloniki gehört ebenso dazu wie die staatliche Eisenbahn. Besonders spektakulär sind solche Vorhaben nicht, schließlich sucht die griechische Regierung seit geraumer Zeit händeringend nach Investoren. Erst kürzlich hatte China angekündigt, den Hafen von Piräus zu übernehmen.
Strategische Bedeutung besitzt hingegen die Ankündigung Putins, eine Gaspipeline zu bauen, die über die Türkei nach Griechenland und Europa führen soll. Die Pläne kamen auf, nachdem die ursprünglich geplante Leitung über Bulgarien am Einspruch der EU-Kartellbehörden gescheitert war. Der Bau, sollte er gelingen, könnte tatsächlich den russischen Einfluss steigern. Griechenland würde nicht nur erhebliche Zahlungen durch die Transitgebühren erhalten, sondern auch Rabatte für die eigene Energieversorgung. Serbien, Mazedonien und Ungarn erwägen ebenfalls, sich an dem Projekt zu beteiligen. »Mehrere hundert Millionen Euro« könne Griechenland ohne nennenswerten Aufwand jährlich allein durch Gebühren einnehmen, so Putin. Gut möglich, dass im Falle des Gelingens die beteiligten Staaten dann anderen russischen Interessen mehr entgegenkommen.
Bereits in vier bis fünf Jahren soll es so weit sein, wenn es nach dem Willen Putins geht. Die Eile liegt auch an der neuen Konkurrenz durch den US-Export von billigem Flüssiggas. Sind die dafür notwendigen Verladekapazitäten in Europa erst installiert, wäre die dominierende Stellung Russlands im Energiebereich ernsthaft gefährdet.

Fünf Jahre sind jedoch für eine Regierung, die derzeit in Wochen oder höchstens in Monaten rechnet, eine scheinbare Ewigkeit. Ob Griechenland in einigen Jahren noch Mitglied der Euro-Zone ist oder ein failed state an der europäischen Peripherie, weiß wohl derzeit nicht einmal die griechische Regierung.
Diese hatte vergangene Woche in letzter Minute eine fällige Tranche an den Internationalen Währungsfonds (IWF) überweisen können. »Ja, ich habe mein Geld erhalten«, äußerte IWF-Direktorin Christine Lagarde zufrieden. Zuvor war der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis nach Washington geeilt, um die Rückzahlung zu bestätigen. »Die griechische Regierung erfüllt immer ihre Verpflichtungen gegenüber allen Gläubigern und sie hat vor, dies für immer zu tun«, sagte er nach dem Treffen. Lange muss Varoufakis nicht warten, um seine mutige Aussage zu erfüllen. Noch im April stehen Zahlungen in Höhe von 2,4 Milliarden Euro an, im Mai wird die nächste IWF-Rate von 770 Millionen Euro fällig. Insgesamt gibt es noch 15 weitere Zahlungstermine im Laufe des Jahres, zusammengenommen wird ein hoher zweistelliger Milliardenbetrag fällig.
Einen Bankrott konnte Varoufakis durch die jüngste Rückzahlung zwar vermeiden – wer den IWF nicht mehr bedienen kann, gilt als insolvent. Doch faktisch ist das Land bereits pleite. Die Regierung zapft mittlerweile die Rentenfonds an, zahlt Gehälter später aus und stellt Rechnungen für Zulieferer zurück, um der Zahlungsun­fähigkeit zu entgehen. Die gravierenden Liquiditätsprobleme ergeben sich vor allem aus dem Umstand, dass die EU-Institutionen seit Monaten keine Kredite mehr aus dem Euro-Rettungsfonds überweisen. Diese soll es erst wieder geben, wenn die griechische Regierung substantielle Reformen nachweist.
Das Land finanziert sich deswegen seit Monaten vor allem über die Notfallkredite der Europäischen Zentralbank (EZB), die griechische Staatsanleihen nicht mehr als Sicherheit akzeptiert. Deswegen müssen griechische Banken nun diese Hilfe in Anspruch nehmen. Anschließend leihen sie Geld wieder an den Staat. Bislang hat die EZB das Limit für diese Hilfen wöchentlich angehoben – gerade genug, um das finanzielle Überleben Griechenlands zu sichern. Die EZB begründet ihre harte Haltung mit ihrem Mandat, das unter anderem eine direkte Staatsfinanzierung untersage.

Die scheinbar neutrale Haltung der EZB ist allerdings wenig überzeugend. Ihre Praxis entspricht derzeit vor allem den Interessen der deutschen Regierung, die maximalen Druck auf Griechenland ausüben möchte. Erwiese sich die EZB als zu großzügig gegenüber Griechenland, käme dies einem Affront gegen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble gleich. Dessen Wohlwollen benötigt der EZB-Präsident Mario Draghi wiederum, um seine großen Pläne umzusetzen. Mit einer historisch einmaligen Summe von über einer Billion Euro kauft die EZB derzeit Wertpapiere ein, um damit die deflationären Tendenzen in der Euro-Zone zu bekämpfen. Griechische Staatsanleihen hat Draghi davon explizit ausgenommen.
Zudem verkauft die griechische Regierung nun auch Staatspapiere mit extrem kurzer Laufzeit von sechs Monaten an private Investoren. In der vergangenen Woche konnte sie an den Finanzmärkten über eine Milliarde Euro einnehmen und damit die fällige Rückzahlung an den IWF finanzieren. Die Zinsen für die Anleihen belaufen sich jedoch auf rund drei Prozent – für portugiesische Papiere mit einer Laufzeit von zehn Jahren betragen sie gerade einmal die Hälfte. Vermutlich wird die Regierung von Tsipras auf diese Weise auch versuchen, die Mittel für die nächsten Rückzahlungen aufzutreiben. Darin offenbart sich auch der Irrsinn der derzeitigen Krise: Griechenland nimmt teure Kredite auf, um Schulden zu tilgen, die es früher zu günstigen Bedingungen von internationalen Institutionen wie dem IWF ­erhalten hatte. Mit jeder erfolgreichen Rückzahlung rückt Griechenland einen Schritt näher an den wirtschaftlichen Abgrund, die griechischen Staatsschulden steigen unaufhörlich. Mittlerweile liegen sie bei 331 Milliarden Euro, das entspricht rund 180 Prozent des Staatshaushalts.
Fatal wirkt sich dieser Umstand auf die griechische Wirtschaft aus. Noch Ende vergangenen Jahres erreichte Griechenland einen primären Haushaltsüberschuss und nahm wieder mehr Geld ein, als es für seine Ausgaben benötigte, wenn man vom Schuldendienst absieht. Nach sechs Jahren Rezession wurde wieder ein bescheidenes Wirtschaftswachstum erzielt. Seit einigen Monaten ist es nun auch damit vorbei. Für die ersten drei Monate des Jahres wird ein Haushaltsdefizit von zwei Milliarden Euro erwartet. Die Steuereinnahmen gehen ebenso zurück wie die Exporte, die Industrieproduktion sinkt ebenfalls. Dafür steigt die Arbeitslosigkeit und die Banken klagen, dass die Zahl der ungedeckter Kredite wieder zunimmt. »Egal, wo man hinschaut: Die griechische Wirtschaft wird ge­rade stranguliert«, kommentierte jüngst die Zeit.
Wer will schließlich in einem Land investieren, dessen ökonomische Zukunft völlig ungewiss ist? Selbst die seltenen positiven Nachrichten stimmen wenig optimistisch. Die Menge des ins Ausland transferierten Geldes nahm in den vergangenen Wochen wieder ab, nachdem monatelang zweistellige Milliardenbeträge von griechischen Banken abgezogen worden waren. Doch dieser Rückgang könnte auch einfach daran liegen, dass die meisten variablen Vermögenswerte mittlerweile auf Konten jenseits der Grenze liegen – wer kann, hat sich schon längst davon gemacht.
Ohne weitere Kredite hat Griechenland daher keine Chance, auch nur die nächsten Monate zu überstehen. Über ein mögliches drittes Hilfspaket in Höhe von 50 Milliarden Euro wird zwar mittlerweile schon offen spekuliert. Voraussetzung dafür wäre aber, dass die Verhandlungen über das zweite Hilfspaket, die kommende Woche stattfinden sollen, erfolgreich abgeschlossen werden. Und dafür spricht derzeit nicht viel.