Patriarch auf Distanz

Es muss ein erhebendes Gefühl sein, mit einem einzigen Satz eine mediale Debatte und politische Reaktionen auslösen zu können. »Ich bin auf Distanz zu Winterkorn«, sagte Ferdinand Piëch, Aufsichtsratsvorsitzender des VW-Konzerns, am Freitag voriger Woche dem Spiegel über den VW-Vorstandsvorsitzenden. Nun gut, möchte man meinen, sie müssen sich ja nicht lieb haben, ein wenig professionelle Distanz kann im Geschäftsleben nicht schaden. Doch muss Piëchs Aussage mit »Ich werde alles tun, um den Burschen zu entmachten« übersetzt werden. Nun streiten die Wirtschaftsjournalisten darüber, ob Piëch, der bereits diverse hohe Manager abservierte, es noch einmal schaffen wird oder ob er sich diesmal übernommen hat.
Der Streit ist ein schönes Beispiel dafür, dass im Kapitalismus nicht der homo oeconomicus, sondern der Patriarch regiert, dessen Bedürfnisse immer wieder mit den Erfordernissen des Geschäftslebens austariert werden müssen. Piëch hat Martin Winterkorns Karriere gefördert. Ökonomische Gründe, ihn nun zu stürzen, gibt es nicht, denn unter Winterkorns Führung stieg der Wert der VW-Aktie seit 2007 um 350 Prozent und der Konzern ist nun der zweitgrößte Autoproduzent der Welt. Soll er gehen, weil sein Glanz den Piëchs zu überstrahlen droht? Hat die Intrige etwas mit der von Piëch gewünschten Erbfolge zu tun? Piëch ist ein Kind der Porsche-Dynastie. Eine komplexe Heiratspolitk nebst diversen Intrigen hat dazu geführt, dass es nun zwei Clans gibt, den von Wolfgang Porsche und den Piëchs, der durch die Zeugung von zwölf Kindern die Voraussetzung dafür geschaffen hat, dass auch in Zukunft beim geschäftlichen Familienstreit keine Langeweile aufkommt. Mit der Übertragung großer Teile seines Vermögens an zwei Stiftungen hat er nach Angaben des Focus eine komplizierte Erbfolgeregelung geschaffen, die nach seinem Tod wohl Heerscharen von Anwälten ein gutes Auskommen verschaffen wird. Sie bevorzugt die ehelichen gegenüber den unehelichen Kindern und gibt seiner Ehefrau Ursula, die auch im VW-Aufsichtsrat sitzt, eine herausragende Stellung – es sei denn, sie lässt sich von ihm scheiden oder heiratet nach seinem Tod wieder. Selbst als Leiche möchte er keinem Konkurrenten einen Erfolg gönnen. Aber vielleicht hat er seinen Einfluss diesmal überschätzt. Denn andere Patriarchen, von Berthold Huber, dem ehemaligen Vorsitenden der IG Metall, bis zu Wolfgang Porsche, widersprechen ihm.