Die britische Band Young Fathers wird nicht umsonst gehypt

Wo sind wir eigentlich gerade?

Young Fathers aus Edinburgh sind die Band der Stunde.

Im Durcheinander der Popkultur ist es oft schwer, unter allem Angesagten zielsicher das absolut Angesagteste herauszupicken. Derzeit jedoch scheinen sich Feuilleton und Popkritik so einig zu sein wie selten in den vergangenen Jahren. Young Fathers sind die Band der Stunde und ihr jüngstes Album »White Men Are Black Men Too« schon jetzt eine der Platten des Jahres. Kaum ein Artikel kommt ohne Superlative aus – wenn es überhaupt einen Streitpunkt gibt, dann den, ob die Band nun eher »sensationell« oder »superb« sei. So viel Einigkeit lässt den Wunsch aufkeimen, gegenzuhalten. Aber wie soll das gehen, wenn Band und Album tatsächlich entwaffnend gut sind? Es gibt wohl niemanden, der seinen Finger näher am Puls der Zeit hat, als die drei jungen Männer aus Schottland.
Bei den Young Fathers kommt alles zusammen. Ihre Musik wirkt aufregend neu und durch ihren Reichtum an Zitaten und Versatzstücken doch vertraut. Ihre Texte sind bei allem Fragmenthaften, was der an William S. Burroughs geschulte Cut-up-Stil so mit sich bringt, doch von politischem Selbstbewusstsein geprägt und überaus prägnant. Vor allem aber illustriert ihre Geschichte diese Welt, in der Raum und Zeit für viele zu ­relativen Bezugsgrößen geworden sind.
Young Fathers kommen aus keiner hippen Stadt, sondern aus dem geographisch eher peripheren Edinburgh. Mit »Trainspotting«, The Exploited und den Videospielen der »Grand Theft Auto«-Reihe mag Edinburgh sein Scherflein zum Kosmos der Popkultur beigetragen haben – als angesagt würde die Stadt jedoch kaum jemand bezeichnen.
Edinburgh ist – mit Ausnahme des wohlhabenderen Westens der Stadt – eine traditionelle Hochburg der Labour Party und steht in dem Ruf, weltoffen zu sein. Und weiß. Gerade im Vergleich mit London und Manchester. Weniger als zehn Prozent der Bevölkerung sind dem britischen Zensus von 2011 zufolge »nicht weiß«. Dass die Musikszene der Stadt sich eher auf Indie und Rock bezieht denn auf afroamerikanische und afrokaribische Musiktraditionen, verwundert wenig.
Young Fathers passen in zweifacher Hinsicht nicht ins Bild. Zwei der Bandmitglieder stammen aus Familien afrikanischer Herkunft. Und mit HipHop spielte zumindest in ihrer Vergangenheit ein Sound eine große Rolle, der seinen Ursprung vor allem in den afroamerikanischen Communitys nordame­rikanischer Großstädte hat. Dass sie in ihren Texten immer wieder Rassismus thematisieren, ist naheliegend.
Es wirkt fast kitschig, aber zueinander gefunden haben Alloysious Massaquoi, Kayus Bankole und Graham Hastings als 14jährige auf einer HipHop-Party für Jugendliche. Ihre ersten Aufnahmen entstanden mit Hilfe einer Karaokemaschine – mehr Lo-Fi und Bodenständigkeit sind wohl kaum möglich. Das alles ist inzwischen über zehn Jahre her, die Schublade des HipHop ist für die Young Fathers zu eng geworden. Ohnehin sind sie auf solche Kategorisierungen nicht gut zu sprechen. »Das sind keine Schubladen«, sagt Bankole im Gespräch. »Das sind Käfige!«
Und aus denen brechen Young Fathers mit ihrem jüngsten Album lautstark aus. »Es ist eine Pop-Platte«, heißt es von Seiten der Band. »Oder zumindest das, was wir darunter verstehen. Wenn wir alle Weiße wären, würde niemand auf die Idee kommen, unsere Musik als HipHop zu bezeichnen«, meint Bankole und hat damit vermutlich recht.
Was nicht bedeutet, dass die Young Fathers sich gänzlich von der Tradition verabschiedet hätten. Noch immer finden sich Gesangspassagen, für die der Begriff Rap der passendste ist, und auch der starke Fokus auf Beat und Sequenzen statt auf klassische Songstrukturen ist eindeutig am HipHop geschult. Nicht zufällig hat die Band in der Vergangenheit auch Platten auf dem US-amerikanischen Label Anticon veröffentlicht, bei dem Acts wie Alias oder Why? schon seit bald zwei Jahrzehnten die Grenzen des HipHop ausloten.
Von der Stimmung erinnert die Musik der Band allerdings eher an den unterkühlten R & B von Frank Ocean oder an den von Soul erfüllten Synthpop von Future Islands als an HipHop-Größen wie Her Majesty, Kanye West oder Nas. Doch auch das sind bloß Schlaglichter. Denn schon ein paar Takte weiter drängen sich andere Querverweise auf. Der rudimentäre Beat ihres Songs »Shame« etwa könnte von The Postal Service geklaut sein. Der letzte Song der Platte dagegen, das fast fünfminütige »Get Started«, wirkt mit seinen gospelartigen Chören und dem dezent verstimmten Honky-Tonk-Piano wie eine wunderschöne postmoderne Hommage an die schwarze Seite des Alten Südens.
Nicht auszuschließen, dass die Inspiration zu dem Song sogar wirklich von dort stammt. »Als wir durch die USA getourt sind«, erzählt Bankole, »haben wir die ganze Zeit Radio gehört. In New Orleans lief Blues, in Texas Country. Die Musik dort zu hören, wo sie einst entstanden ist, hat sie für uns in ein neues Licht gerückt.«
140 Konzerte haben sie allein 2014 gespielt. Das ständige Touren schlug sich auch im Aufnahmeprozess nieder. Während das vorangegangene Album »Dead« fast vollständig im heimischen Keller in Edinburgh produziert wurde, fanden die Aufnahmen zu »White Men Are Black Men Too« in mindestens fünf Städten vier verschiedener Länder auf drei Kontinenten statt. Ein Teil der Platte ist in Berlin entstanden, in einem viel zu kalten Keller nahe der Bahngleise irgendwo im nördlichen Teil von Berlin-Moabit.
»White Men Are Black Men Too« ist ein kosmopolitisches Album geworden. Es ist eine Platte, die genauso wenig schottisch klingt wie britisch oder wie sonst ein Versuch, Musik mit der Kategorie Nation zu verbinden. Im vergangenen Herbst wurde den Young Fathers der renommierte britische Mercury Prize verliehen. Nur eineinhalb Monate nachdem die Schotten in einem Referendum entschieden hatten, auch in Zukunft Briten zu sein. Young Fathers waren damals nicht dort, als die Welt für ein, zwei Tage gebannt auf Schottland schaute. Sie waren auf einem Festival in Hamburg oder vielleicht auch schon unterwegs zum nächsten Auftritt in Barcelona. Zu dem Referendum aber hatte die Band sich ohnehin nicht geäußert. »Wir sind zwar politische Menschen, aber wir wollen auch nicht, dass die Menschen für oder gegen etwas stimmen, nur weil wir das tun. Die Leute sollen selbst entscheiden«, meint Bankole. Und überhaupt: »It’s all just imaginary lines, you know?« Es ist wirklich nicht leicht, diese Band nicht zu lieben.

Young Fathers: White Men Are Black Men Too (Big Dada/Rough Trade)