Der iranisch-US-amerikanische Film »A Girl Walks Home Alone At Night«

Fellatio mit einem Vampir

Von Wim Wenders bis Michael Jackson – alle müssen bluten für das großartige Filmdebüt der iranisch-amerikanischen Regisseurin Ana Lily Amirpour. »A Girl Walks Home Alone At Night« ist ein düsterer Vampirfilm, der von Schuld und Gerechtigkeit handelt.

Eigentlich sollte es der erste iranische Vampirfilm werden. Gelungen ist Ana Lily Amirpour aber etwas anderes. Auch wenn die Darsteller in der Originalfassung Farsi sprechen, hat der Film »A Girl Walks Home Alone At Night« mit dem iranischen Kino in etwa so viel zu tun wie Madonna mit dem Kirchenlied. Mit ihrem ersten Langfilm stellt sich die junge iranisch-amerikanische Regisseurin ganz in die Tradition des US-Independent-Kinos und drängelt sich dabei sogleich in die vorderste Reihe der Indie-Filmemacher, neben Leute wie Jim Jarmusch.
Vampirismus ist in Amirpours melancholischem Genre-Mix sowohl Motiv als auch Methode. Wie im Rausch hat Amirpour die Bilder des US-Films von den Fünfzigern bis in die Gegenwart aufgesaugt und sie zu einem hypnotisch-abgründigen Vampir-Western im Noir-Gewand montiert. Durch die Adern von »A Girl Walks Home Alone« fließt sehr viel Filmblut von Jim Jarmusch, Quentin Tarantino und David Lynch. Aber auch bei Wim Wenders und Michael Jackson hat sich die Regisseurin, Bildende Künstlerin und Frontfrau einer Indie-Rock­band bedient.
Gleich die Eröffnungsszene ist eine Reminiszenz an einen frühen Klassiker des US-Kinos, »Rebel Without a Cause« mit James Dean. Der junge Arash hat nicht nur die stilechte Ausstattung, Jeans, T-Shirt, Sonnenbrille, Zigarette und einen Ford Thunderbird, sondern strahlt auch diese besondere Teenager-Verletzlichkeit aus, wenn er lässig an einem Bretterzaun lehnt. Sein ganzer Stolz ist der Thunderbird, auf den er so lange gespart hat und der nicht nur die begehrlichen Blicke des aufsässigen Nachbarjungen auf sich zieht. Auch der brutale Zuhälter und Dealer Saeed hat den Ford längst im Visier, den er als Pfand für den Schuldenberg kassiert, den Arashs drogensüchtiger Vater bei ihm aufgehäuft hat.
Andere Sprösslinge haben mehr Glück mit ihrem Elternhaus, etwa das verwöhnte junge Mädchen in der großen Villa, in der sich Arash gelegentlich als Handwerker verdingt. Halbnackt räkelt sich das reiche Töchterchen beim Telefonieren auf dem Bett, während Arash im Zimmer werkelt. Als sie den Raum verlässt, greift er nach ihrem Schmuck. Arash ist jung und braucht das Geld. Er ist kein Krimineller, aber die betrügerischen Impulse könnten auch aus ihm ein Produkt von Bad City machen. Die Goldklunker werden noch durch viele Hände gehen, bis sie schließlich auf wundersamen Wegen bei einer ausgebeuteten Prostituierten landen und der Gerechtigkeit Genüge getan ist.
Die fiktive iranische Stadt Bad City, die einst vom Öl lebte, aber längst von der Parallelökonomie des Drogenhandels beherrscht wird, ist der Schauplatz eines Generationenkonflikts, der vage die Fragen nach der Schuld der Alten, der Verstrickung der Jungen und der Möglichkeit des Neuanfangs umkreist. Die Story bleibt dabei genauso surreal wie die weibliche Hauptfigur des Films, das geheimnisvolle Mädchen, das sich nachts im Tschador auf dem Skateboard durch die Straßen treibt und die Bewohner heimlich beobachtet. Was sie sieht, gefällt ihr nicht. In der Stadt tummeln sich die Erschöpften und Verbrauchten, die Gesetzlosen und ihre Opfer, widerliche Typen, die Frauen quälen.
Die Szene, in der sich das Mädchen in einen Vampir verwandelt, kommt ohne die genre­typischen Effekte aus und ist dennoch voll wunderbarer Kino-Magie. Die postmoderne Vampirfrau ist eine Performerin, die sich die Rolle der Blutsaugerin durch Make-up, Klamotten und Gesten aneignet. Der Wechsel der Identität ist eine bewusste Entscheidung, keine Es-überkommt-mich-Nummer. Ein Jugendzimmer voller Poster. Madonna, Bee Gees, Prince. Indie-Pop läuft im Hintergrund, die junge Frau steht vor dem Spiegel, schminkt sich die Augen mit Kajal und wiegt ihren Körper sanft zur Musik. Sie trägt ein Ringelshirt, wie es Marilyn Monroe, Brigitte Bardot, Edie Sedgwick, Jean Sea­berg und Audrey Hepburn getragen haben. Es ist eines dieser Filmzitate, mit denen die Regisseurin nur so um sich schmeißt. Dass der vor kulturellen Anspielungen und Zitaten quer durch die Kinogeschichte nur so berstende Film eine große Geschlossenheit besitzt, liegt an der graphischen Ästhetik der Bilder und am traumwandlerisch sicheren Einsatz der Musik. Man merkt es »A Girl Walks Home Alone At Night« an, dass Amirpour als Sängerin, Bass­gitarristin und DJ gearbeitet hat und Musik als essentiellen Bestandteil des Films begreift. Es ist die betörende Musik, die die eher simple Story ins Mythische überführt.
Im dunklen Tschador über dem Shirt schickt Amirpour das aufgestylte Vampir-Girl auf die Pirsch. In dieser Nacht ist es der schmierige Saeed, der ihren Unmut erregt. Der Zuhälter vergnügt sich im Thunderbird von Arash irgendwo in einer gottverlassenen Gegend mit einer Prostituierten. Als die Frau ihren rechtmäßigen Anteil an den gemeinsamen Einnahmen fordert, demütigt er sie und zerrt sie brutal aus dem Auto. Die Vampirin hat genug gesehen; den nächsten Blowjob, den Saeed sich gönnt, wird er nicht überleben.
Der Tyrannenmord löst die Probleme nicht, verschiebt aber die Machtverhältnisse. Als Arash zornig wegen des Verlusts seines Thunderbird durch das nächtliche Bad City streift, um noch einmal mit Saeed zu verhandeln, begegnet er für einen kurzen magischen Moment dem stummen Mädchen, das mit blutverschmierten Mund aus der Wohnung des Dealers schlüpft. Arash findet Saeed leblos am Boden seines Appartments liegend, er greift sich die Autoschlüssel und einen Koffer voller Drogengeld und Stoff. Vor seinem Junkie-Vater versteckt er die Drogen und setzt den Alten kurzerhand auf Entzug. Der Vater-Sohn-Konflikt eskaliert. Voll ohnmächtiger Wut verwüstet der Süchtige das Mobiliar des Hauses. Sein Sohn stellt ihn daraufhin vor die Wahl: Entweder steht der Vater den Entzug durch oder verlässt samt der Drogen das Haus.
Wie der junge Rebell in dem Halbstarken-Klassiker von Nicholas Ray verzweifelt Arash an einem schwächlichen Vater und sehnt ein neues, besseres Leben herbei, ohne zu wissen, wie das schöne Leben aussehen könnte. Erst die Begegnung mit dem fremden Mädchen weckt in ihm die vage Hoffnung auf eine andere Zukunft, in der Drogen, Elend und Korruptheit keinen Platz haben. Aber längst ist Arash gefährdet und steht schon mit einem Bein im Sumpf der Kriminalität.
Eine Kostümparty im Haus des It-Girls bringt die Wende. Arash tanzt ausgelassen im Dracula-Kostüm, flirtet mit der Gastgeberin und schluckt zum ersten Mal Ecstasy. Als er wieder zu sich kommt, liegt er in seinem lächerlichen Kostüm mit einem Plastikgebiss im Mund auf dem Bürgersteig irgendeines Vororts. Im Morgengrauen liest ihn dort das Vampir-Girl auf und bringt ihn auf dem Skateboard in ihre Wohnung – jetzt wird es gefährlich.
Der in L.A. lebenden Regisseurin ist ein beeindruckendes Debüt geglückt, woran nicht zuletzt die durchweg jungen Darsteller einen großen Anteil haben. Aber der Film hat auch Schwächen und sie betreffen ausgerechnet die weibliche Hauptfigur. Reglos wie die beiden Engel in Wenders’ »Himmel über Berlin« steht die von Sheila Vand gespielte Vampirin in der Menschenwelt herum und verlässt sich zu sehr auf ihre schauspielerische Präsenz. Vand überzeugt als das scheue, T-Shirt tragende girl next door, nicht aber in ihrer zweiten Identität als rächende Blutsaugerin. Die grenzenlosen Möglichkeiten ihrer Rolle weiß sie nicht zu nutzen. Die eigentliche Hauptfigur ist der von dem deutsch-iranischen Schauspieler Arash Marandi verkörperte Teenager gleichen Vornamens. Marandis Spiel vermittelt die besondere Aura der Nicht-Zugehörigkeit und des Fremdseins in der Welt, die dem Vampirfilm seine mythische Dimension verleiht. Ironischerweise sind es wie in der Realität der iranischen Gesellschaft die Männer, die den Film prägen. Dominique Rains, der als muslimischer Punk in »The Taqwacores« debütierte, stattet den Zuhälter Saeed mit solch faszinierender Widerlichkeit aus, dass man ihn schon vermisst, kaum dass er totgebissen wurde. Mit dem von Altmeister Marshall Manash gespielten verwahrlosten Vater halten die existientielle Verzweiflung und die nackte Ausweglosigkeit des Alters Einzug in die Coming-of-Age-Geschichte.
Dass der jetzt in Deutschland angelaufene Film jemals in die iranischen Kinos kommt, ist wegen der angedeuteten Sexszenen und der provokativen Bilder unwahrscheinlich. Aber er wird an der Zensur vorbei auf DVDs seinen Weg in den Iran finden, und das iranische Filmpublikum dürfte ihn lieben. Gerade weil »A Girl Walks Home Alone At Night« amerikanisches Kino ist.

»A Girl Walks Home Alone At Night« (USA 2014) Buch und Regie: Ana Lily Amirpour. Darsteller: Sheila Vand, Arash Marandi, Marshall Manesh, Mozhan Marnò, Dominic Rains. Start: 23. April