Linke Strategien gegen Rassismus

Das Treten nach ganz unten

Die radikale Linke muss nach adäquaten Strategien suchen, wie man der rassistischen Mobilisierung gegen Flüchtlinge entgegenwirken kann. Falsch wäre es, dafür auf paternalistisches Mitleid der Bevölkerung zu setzen.

In den vergangenen Monaten war eine alarmierende Zunahme rassistischer Übergriffe in Deutschland zu beobachten. Brandanschläge auf geplante Unterkünfte für Geflüchtete wie in Tröglitz (Sachsen-Anhalt), Schüsse auf bereits bewohnte Flüchtlingsheime wie in Hofheim (Hessen) und offen angedrohte Pogrome wie in Kittlitz (Brandenburg) sind längst nicht alles: Die Amadeu-Antonio-Stiftung zählte für das Jahr 2014 insgesamt 153 gewalttätige Angriffe auf Unterkünfte von Geflüchteten. Mehr als 150 lokale »Nein zum Heim«-Initiativen im gesamten Bundesgebiet bilden das Rückgrat dieser rassistischen Bewegung. Zugleich stieg Pegida in Dresden im Winter zu einem bundesweit beachteten Phänomen auf, kleinere Ableger bildeten sich in verschiedenen weiteren Großstädten. Beide Bewegungen richten sich aggressiv gegen vermeintliche »Fremde« und nehmen dabei entschiedene Feindbestimmungen vor. Argumentativ wird jedoch immer wieder das vermeintlich defensive Motiv der »Ängste und Sorgen« ­ bezüglich einer vermeintlichen »Überfremdung« und »Islamisierung«  sowohl von Teilnehmenden wie auch von­ Politikern und Politikerinnen ins Spiel gebracht. Diese öffentliche Debatte über vermeintliche »Ängste und Sorgen« muss als aktualisierte Ausdrucksform eines gesamtgesellschaftlichen Rassismus verstanden werden.

Seit einigen Jahren hat sich in Deutschland eine Form von Rassismus salonfähig gemacht, die den Umfang des offen Sagbaren nachhaltig erweitert. Als Beispiele seien hier Thilo Sarrazins Bestseller »Deutschland schafft sich ab« oder die Kampagne der CSU zur angeblichen »Armutsmigration« unter dem Slogan »Wer betrügt, der fliegt« genannt. Auch sozialwissenschaftliche Studien zeigen immer wieder, dass rassistische Ressentiments in der Bevölkerung weit verbreitet sind. In diesem gesellschaftlichen Umfeld konnten sich die »Nein zum Heim«-Initiativen und die verschiedenen Pegida-Ableger entwickeln. Beide verknüpfen rassistische, völkische und nationalistische Argumentationen, tragen diese offen auf die Straße und erreichen gesellschaftliche Milieus, die weit über das der organisierten Neonazis hinausreichen. Die bundesweite Verankerung der »Nein zum Heim«-Bewegung und die hohen Teilnehmerzahlen bei Pegida machen deutlich: Eine bisher politisch passive Mehrheit hat eine Ausdrucksform gefunden.
Das dabei immer wieder auftauchende Motiv der »Ängste und Sorgen« scheint keiner weiteren Begründung zu bedürfen und wird an die jeweiligen lokalen Begebenheiten angepasst: »Angst« um die Kinder, den Arbeitsplatz, den Wertverlust der eigenen Immobilie. Im Kontext dieser rhetorischen Strategie und der rassistischen Mobilisierungen zeigt sich ein irrationaler Hass, der auf Geflüchtete, people of colour sowie Migranten und Migrantinnen all das projiziert, was nicht mit »deutschen Werten« wie Ordnung, Sauberkeit, Sicherheit und Leistung vereinbar scheint. Die Situation der Geflüchteten erinnert den Rassisten dabei an den jederzeit möglichen Verlust der eigenen gesellschaftlichen Stellung, der insbesondere im Zuge der gegenwärtigen kapitalistischen Krise wahrscheinlicher geworden und spätestens seit Hartz IV allgegenwärtig ist.
Es gibt im kapitalistischen System nachvollziehbare Gründe, Angst zu haben. Doch was sich als »Angst« vor Geflüchteten oder vor einer vermeintlichen »Islamisierung« äußert, entspringt keiner irgendwie nachvollziehbaren Verunsicherung. Im Motiv der »Ängste und Sorgen« drückt sich eine autoritäre Dynamik aus, die keine objektive Begründung besitzt. Denn jeder kann sich entscheiden, ob er für eine Solidarisierung mit Geflüchteten und Ausgeschlossenen eintritt – oder dafür, diese Verfolgung noch zu verstärken durch das Treten nach ganz unten.

Solchen »Ängsten und Sorgen« aber bieten sich die Medien bereitwillig als Plattform an. So wird eine Politik des (scheinbaren) Gefühls installiert, wie sie auch schon in anderen Bereichen herrscht – man denke etwa an den Diskurs um die »gefühlte Sicherheit«, mit dem Polizeipräsenz und Überwachung legitimiert werden. Zugleich trennt man zwischen »rechtsextremistischen Rattenfängern mit ihren dumpfen Parolen« (Bayerns Innenminister Joachim Herrmann) und »ganz normalen Bürgern«. Diese Bürger und Bürgerinnen würden jedoch von organisierten Nazikadern verführt, wie beispielsweise der stellvertretende sächsische Ministerpräsident Martin Dulig darlegt: »Die Sorgen vieler werden von wenigen ausgenutzt und instrumentalisiert.« Diese Bagatellisierung nimmt die Kundgebungen und Demonstrationen in ihrer gezielten und bedrohlichen Handlungsbereitschaft nicht ernst. Anstelle einer politischen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichem Rassismus werden Forderungen laut, einen Dialog mit Pegida zu führen. Passend dazu sagt die bundesweite Politik eine noch restriktivere Asylpraxis zu. Der Angst-Diskurs übernimmt damit eine Scharnierfunktion zwischen einer strukturell rassistischen Staatspraxis, den vehement rassistisch auftretenden Bewegungen auf der Straße und zugleich auch dem ökonomischen Erfordernis einer verstärkten Zuwanderung von Fachkräften.

Während sich ganz Deutschland um die »Ängste« von Rassisten sorgt, sind die Stimmen der selbstorganisierten Bewegung von Geflüchteten kaum noch zu hören. Auch die Perspektiven der Geflüchteten in Sammelunterkünften oder der von Rassismus betroffenen Menschen, die im Umfeld von Pegida leben müssen, sind medial kaum präsent. Die »Sorgen und Ängste« der weißen deutschen Bevölkerung sind Hohn angesichts der gegenwärtigen Situation von Menschen, die als »fremd« wahrgenommen werden. Im November 2014 wurde aus einer »Nein zum Heim«-Demonstration heraus eine Unterkunft für Geflüchtete im Köpenicker Allende-Viertel angegriffen, woraufhin die Bewohner und Bewohnerinnen in Panik gerieten und sich im obersten Stockwerk verbarrikadierten – eine erschreckende Parallele zu Rostock-Lichtenhagen. Ein aus dem Irak Geflüchteter beschrieb seine Gefühlswelt anschließend so: »Meine Frau wurde in meiner Heimat ermordet, mein Haus wurde zerbombt, ich bin der Gewalt und Angst entkommen und will zusammen mit meinem kleinen Kind hier in Frieden leben, und nun sind wir schon wieder bedroht und in Angst und Schrecken.« Im Dezember 2014 kam es in Dresden im Anschluss an eine Pegida-Demonstration zu einer rassistischen Hetzjagd auf Jugendliche – Bürger und Polizei sahen zu.
Diese Vorfälle, bei denen Geflüchtete systematisch eingeschüchtert und verängstigt werden, bleiben weitgehend unbeachtet, oft greifen weder Presse noch Politik sie auf. Nur wenn wie in Tröglitz ein Brandanschlag zum Imageproblem für Deutschland zu werden droht, findet er Beachtung und wird als »Frage der Staatsräson« verhandelt.
Das Schweigen großer Teile der radikalen Linken und die zumeist marginalen Proteste gegen die rassistischen Bewegungen machen deutlich, dass die Frage nach einer wirksamen linksradikalen Intervention weiterhin offen bleibt. Es fehlt an einer gesamtgesellschaftlichen Einordnung der Mobilisierungen, einer Benennung der vermeintlichen »Ängste und Sorgen« als Rassismus und an einer klaren Positionierung gegen den rassistischen Mainstream. Dazu würden auch eine deutliche Ablehnung der Hierarchisierung von Fluchtgründen und eine Positionierung gegen die Spaltung in Polit- und Wirtschaftsflüchtlinge zählen. Es ist nicht emanzipatorisch, Geflüchtete als bloße Opfer darzustellen, um das paternalistische Mitleid einer ignoranten Bevölkerung zu wecken.

Mit Blick auf eine antifaschistische Praxis ist deutlich geworden, dass Blockade-Konzepte wie bei Anti-Nazi-Demos allein schon aufgrund der hohen Zahl der Aktionen gegen Flüchtlinge und der häufig spontanen Mobilisierungen kaum wirksam sind. Auch bei Versuchen mit kreativen Protestformen wie beispielsweise der satirischen Angsthasen-Prozession in Dresden zeigen sich die Schwierigkeiten einer angemessenen Reaktion: Allzu leicht werden vermeintliche oder reale Ängste pathologisiert oder wird die bedrohliche Situation der von Rassismus betroffenen Menschen verharmlost. Die geplante Demonstration am 1. Mai unter dem Aufruf »Raus aus der Scheiße, rein in die Stadt. Tröglitz denen, die’s verdienen!« ist sicherlich eine wichtige erste Reaktion auf den Brandanschlag. Doch die gefährlich angestiegene Gewalt gegen Geflüchtete, die Angriffe auf Unterkünfte und das bisherige Scheitern der Linken an einem adäquaten Umgang damit machen deutlich, dass die Debatte um eine wirksame Praxis, um Interventionen und antifaschistische Schutzkonzepte dringend weiter vorangetrieben werden muss.