Nazis am 1. Mai

Dezentralisierte Nazis

Am 1. Mai ist die Auswahl für betätigungswillige Nazis groß. Sowohl die NPD als auch »Die Rechte« und der »Der III. Weg« buhlen um Unterstützung für ihre Veranstaltungen.

Nicht nur für Gewerkschafter und Linke ist der 1. Mai ein wichtiges Datum. Auch die extreme Rechte nutzt den »Tag der nationalen Arbeit«, wie er 1933 von den Nationalsozialisten getauft wurde, häufig und gerne für gemeinsame Unternehmungen unter freiem Himmel. In diesem Jahr setzt sich die Entwicklung der vergangenen Jahre fort: weg vom zentralen Großaufmarsch und hin zu einer Vielzahl kleinerer Veranstaltungen.

Das hat mehrere Gründe. Einer liegt in der Konkurrenz, in der verschiedene Strömungen der extrem rechten Szene zueinander stehen. Ein anderer liegt in der durchaus realistischen Einschätzung verschiedener Organisationen und Personen, dass ein zentraler Großaufmarsch derzeit kaum abgehalten werden könnte. Einerseits dürfte ein solcher Versuch mit hoher Wahrscheinlichkeit durch ebenfalls zentral organisierte Gegenkundgebungen und Blockaden verhindert werden. Andererseits haben Großdemonstrationen parallel zum Niedergang der »Autonomen Nationalisten« merklich an Anziehungskraft verloren. Eine Situation wie am 1. Mai 2008, als ein schwarzer Block von ungefähr 500 gewaltbereiten Neonazis bei einer Demonstration der NPD in Hamburg für bundesweite Schlagzeilen sorgte, scheint derzeit jedenfalls schwer vorstellbar. Deshalb möchte die extrem rechte Szene auch in diesem Jahr wieder an vielen Orten gleichzeitig aufmarschieren. In Berlin etwa hat die NPD zwei Kundgebungen in Hohenschönhausen und Marzahn angemeldet, in zwei Stadtteilen, in denen bereits seit Monaten rassistische Anwohner und organisierte Neonazis gemeinsam gegen die Unterbringung von Asylbewerbern demonstrieren.

Die Berliner Nazis konzentrieren sich am 1. Mai also auf ihr rassistisches Kerngeschäft. Auch die geplanten Demonstrationen der NPD in Mönchengladbach und Worms stehen unter ähnlichen Vorzeichen. In Neubrandenburg hingegen setzt die Partei einen anderen Schwerpunkt. »Gute Arbeit hat einen Wert. Gerechtigkeit erkämpfen – Ausbeutung stoppen«, lautet das Motto der dor­tigen Demonstration. Statt einseitig an rassistische Ressentiments in der Bevölkerung zu appellieren, versucht die NPD in Mecklenburg-Vorpommern also offenbar, mit sozialen Themen Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Damit passt ihr Ansatz recht gut zur neuesten Kampagne der Jungen Nationaldemokraten (JN), die sich unter dem Motto »Antikapitalismus ›von rechts‹« an einer ganz eigenen Art der Kapitalismuskritik versuchen. Die Nachwuchsorganisation der NPD wendet sich gegen die »Irrlehre eines Karl Marx, welche die Schuld für die Ausbeutung anderer Menschen bei den Besitzenden sieht«, und erklärt der geneigten Öffentlichkeit, dass das wahre Grundübel die »zerstörerische Wirkung« des »Zinseszinses« sei.

So knüpfen die JN mit ihrer offensichtlich antisemitischen Kampagne an den sogenannten Strasser-Flügel der NSDAP und dessen antikapitalistisch-nationalrevolutionäre Ausrichtung an. Schon das auf der Internetseite der JN verwendete Logo aus Schwert und Hammer ist eine eindeutige Bezugnahme auf die Gebrüder Strasser. Sowohl die Kampfgemeinschaft Revolutionärer Nationalsozialisten – auch bekannt als »Schwarze Front« – in den dreißiger Jahren als auch die rechtsextreme Splitterpartei Deutsch-Soziale Union, der Otto Strasser später in der Bundesrepublik vorstand, nutzten ganz ähnliche Symbole.

Interessanterweise gibt es mit der Kleinstpartei »Der III. Weg« eine weitere Organisation in der extremen Rechten, bei der ein entsprechendes Logo Verwendung findet. Und auch sie ruft für den 1. Mai zu einer Demonstration auf. Bereits im Vorjahr hielt die Partei, die ihren organisatorischen Schwerpunkt in Nordbayern hat und als Auffangbecken für die verbotene Kameradschaft »Freies Netz Süd« gilt, eine Demonstration in Plauen ab, die prompt mit ungefähr 600 Teilnehmern der bundesweit größte rechte Aufmarsch an jenem Tag wurde.

Auch in diesem Jahr dürfte Thüringen das Bundesland sein, in dem es am heißesten hergeht. Immerhin hat dort nicht nur »Der III. Weg« zu einer Demonstration aufgerufen. Zur gleichen Zeit will die NPD in Erfurt demonstrieren. Hinzu kommt ein geplanter Aufmarsch des extrem rechten Hooligan-Netzwerks »Gemeinsam Stark Deutschland«, das sich von den »Hooligans gegen Salafisten« abgespalten hat. Er soll einen Tag später ebenfalls in der thüringischen Landeshauptstadt stattfinden.

In Thüringen lässt sich beobachten, wo derzeit die Konfliktlinien in der extremen Rechten verlaufen. Die NPD unter ihrem neuen Landesvorsitzenden Tobias Kammler sucht demonstrativ die Nähe zum Pegida-Ableger Thügida und versucht, die Welle rassistischer Proteste gegen Flüchtlingsunterkünfte für sich zu nutzen. Vielen Neonazis ist das jedoch nicht genug. Sie wollen Teil einer Bewegung sein und fühlen sich von den national-revolutionären Ideen wie jenen der Partei »Der III. Weg« angesprochen.

Ähnlich sieht es in Nordrhein-Westfalen aus, wo die Partei »Die Rechte« unter Rückgriff auf linke Bildsprache und klassenkämpferisches Vokabular, wie etwa der Rede vom »traditionellen Kampf um die Rechte der Arbeiter« und von der »kapitalistischen Ausbeutung«, ganz im Stil der traditionellen Kreuzberger Maifestspiele zu einer »18-Uhr-Demo« an einem noch nicht bekannt­gegebenen Ort im Ruhrgebiet aufruft. Man wolle »etwas Neues probieren« und »ein deutliches Zeichen setzen«, heißt es in einem im Internet kursierenden Aufruf – Formulierungen, die Schlimmes befürchten lassen.

Angesichts dieser Entwicklungen lässt sich die neue Kampagne der JN wohl am ehesten als Versuch verstehen, die eigene Gefolgschaft bei Laune zu halten und sich gegenüber der bewegungsinternen Konkurrenz von »Der III. Weg« und »Die Rechte« als nicht minder nationalrevolutionär zu zeigen. Dieses Unterfangen ist nicht gerade einfach, denn immerhin können NPD und JN wegen des drohenden Parteiverbots nicht ganz so offen zu Systemopposition und nationaler Re­volution aufrufen, wie es manchen Strömungen ihrer Klientel wohl lieb wäre.

Zugleich scheint das Konzept des »seriösen Radikalismus«, das der ehemalige NPD-Parteivorsitzende Holger Apfel einst ausgegeben hatte, angesichts des Erscheinens der »Alternative für Deutschland« (AfD) auf der Bildfläche nicht länger erfolgversprechend zu sein. Vielmehr wird die NPD aufgerieben zwischen den bürgerlich auftretenden Rechtspopulisten der AfD und den sich offen nationalsozialistisch gebenden Kameradschaften samt ihren parteiförmigen Auffangorganisationen. Was die NPD bräuchte, wäre ein Ereignis, an dem sie sich wieder einmal als führende Kraft im Nazimilieu inszenieren könnte. Doch es scheint bereits absehbar, dass am 1. Mai andere für Schlagzeilen sorgen werden.