Die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung

Wer, wie, was und wo?

Die Große Koalition will die Vorratsdatenspeicherung wieder einführen.
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Am 15. Dezember 2014 twitterte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), er sei strikt gegen die Vorratsdatenspeicherung. Es dauerte vier Monate, bis er seine Meinung änderte. Mitte April veröffentlichte er Leitlinien für ein Gesetz, bei dem unter dem Namen »Höchstspeicherfrist« die Vorratsdatenspeicherung wieder eingeführt werden soll. Teilweise gehen die Pläne weit über alte Regelungen hinaus.

Telefonanbieter und Internet-Provider sollen in Zukunft speichern, wer wann wie lange mit wem telefoniert und wo er oder sie sich dabei aufgehalten hat. Diese Daten sollen zehn Wochen lang aufgehoben werden, für den Fall, dass sich Ermittlungsbehörden dafür interessieren. Lediglich die Standortdaten sollen bereits nach vier Wochen gelöscht werden. Das kommt der Überwachung der gesamten Bevölkerung gleich – alle Menschen, die ein Telefon, Handy oder auch das Internet nutzen, werden permanent unter Generalverdacht gestellt. Gleichzeitig bleiben große Bereiche im Dunkeln – Kriminelle benutzen einfach andere Kanäle wie etwa Facebook, Whatsapp oder verschlüsselte Messenger, deren Kommunikation nicht erfasst wird.
Eine solche Vorratsdatenspeicherung gab es in Deutschland bereits, 2010 wurde sie vom Bundesverfassungsgericht verboten. Die anlasslose Speicherung aller Kommunikationsdaten verstoße gegen Grundrechte und sei nur innerhalb eines sehr strengen Rahmens möglich: So müsse im Einzelfall ein Richter entscheiden, ob Ermittlungsbehörden diese Daten abrufen dürfen. Außerdem gab es keine Regelung, die berufliche Geheimnisträger wie Anwälte, Ärzte oder Journalisten schützte. Trotzdem fordern konservative Politiker diese Form der Überwachung und schüren dabei Ängste vor Terroristen, obwohl international kaum ein Fall bekannt ist, der durch die Vorratsdatenspeicherung aufgeklärt werden konnte. Bereits 2010 warnten Netzpolitiker, dass das Urteil nicht das Ende der Vorratsdatenspeicherung bedeute, sondern sich eher wie eine Anleitung für ein neues Gesetz lese. Ausgerechnet Maas, der sich immer als Gegner der Vorratsdatenspeicherung profiliert hatte, hat nun den Leitfaden für dieses neue Gesetz verkündet. Schon im Koalitionsvertrag hatte sich Schwarz-Rot auf eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung geeinigt. Statt sich ein Vorbild an Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) zu nehmen, die 1996 als Bundesjustizministerin zurücktrat, als sie den »Großen Lauschangriff« ausarbeiten sollte, spricht Maas von einem Kompromiss und bewirbt das Ergebnis als Erfolg.
Dabei ist dieser Kompromiss höchst zweifelhaft. Der Richtervorbehalt mag vielleicht noch funktionieren, obwohl zahllose Fälle bekannt sind, in denen überlastete Gerichte den Staatsanwaltschaften vertrauten und deren Anträge auf Hausdurchsuchungen oder Überwachungsmaßnahmen oftmals ohne allzu kritische Prüfung durchwinkten. Schwieriger wird es, die Geheimnisträger zu schützen. Es dürfte für die Ermittlungsbehörden unmöglich sein, Pfarrer, Journalisten oder Anwälte anhand ihrer Telefonnummern zu identifizieren, um dann die Datenabfrage zu unterlassen – allein schon, weil keine Liste solcher beruflichen Geheimnisträger existiert. Es wäre auch schwierig zu kontrollieren, wenn eine Person aus diesen Berufsgruppen einen neuen Handyvertrag abschließt. Und würde es eine solche Liste von Geheimnisträgern geben, wäre sie vermutlich ein gefundenes Fressen für allerlei Geheimdienste.

Ebenso problematisch ist die Erfassung der Standortdaten. Auf Nachfragen des Neuen Deutschland und des Blogs Netzpolitik.org teilte das Justizministerium mit, dass diese bei jedem Kommunikationsvorgang erfasst werden sollten. Die Pläne sehen zudem vor, den Standort von Smartphone-Besitzern auch dann zu speichern, wenn diese nicht telefonieren. Damit würde der Staat lückenlose Bewegungsprofile aller Menschen erhalten, die mobiles Internet mit sich herumtragen. Seitens des Justizministeriums wird abgewiegelt, solche Daten sollten nur zur Aufklärung schwerer Straftaten verwendet werden. Welche das sein sollen, steht ebenfalls in den Leitlinien, darunter finden sich auch Verstöße gegen Paragraph 125a StGB. Der Paragraph regelt schweren Landfriedensbruch und fand unter anderem schon Anwendung gegen Personen, die auf Demonstrationen Glasflaschen geworfen haben. Es ist zu befürchten, dass die geplante Vorratsdatenspeicherung in Verbindung mit der schon bestehenden Funkzellenabfrage in Zukunft genutzt werden könnte, um missliebige Demonstranten – bis hin zu Blockierern von Nazi-Demos – vor Gericht zu zerren. Als sei das noch nicht genug, will die Bundesregierung auch noch einen neuen Straftatbestand schaffen. Bei dem Urteil von 2010 hatte das Bundesverfassungsgericht unter anderem die Bedingung gestellt, dass die auf Vorrat gespeicherten Daten vor Diebstahl und Missbrauch zu schützen seien. Um das umzusetzen, plant die Bundesregierung einen neuen Paragraphen 202d StGB: »Datenhehlerei«. Bestraft werden soll, wer Daten ausspäht und unerlaubt weitergibt. Das klingt zunächst gut, allerdings kennt der Entwurf keinerlei Ausnahmen für Journalisten oder Whistleblower. Zur Veranschaulichung: Edward Snowden bekäme in Deutschland nicht nur kein Asyl, er müsste gemäß des neuen Paragraphen hierzulande sogar vor Gericht gestellt werden. Insgesamt geht die neue Leitlinie weiter als die alte Vorratsdatenspeicherung. Maas findet hingegen, es sei ein Entgegenkommen, dass die Daten nur zehn Wochen gespeichert würden – früher war es ein halbes Jahr.

Allerdings formiert sich langsam der Widerstand. Während die Piratenpartei in einem für sie so wichtigen Thema medial nicht mehr in Erscheinung tritt, hat Malte Spitz von den Grünen angekündigt, einen Gegenantrag im Bundestag einzubringen, dem sich vermutlich auch die Linkspartei anschließen dürfte. Angesichts der erdrückenden Mehrheit, die Schwarz-Rot stellt, ist das ein hoffnungsloses Unterfangen. Geradezu verzweifelt versucht hingegen ein kleines Grüppchen sozialdemokratischer Netzpolitiker um den Abgeordneten Lars Klingbeil, die Vorratsdatenspeicherung doch noch zu verhindern. Erste Rebellen kündigten an, im Bundestag dagegen zu stimmen, während einige Bezirksgliederungen und Ortsvereine Beschlüsse gegen die Vorratsdatenspeicherung verabschiedet haben. Sie hoffen, das Vorhaben noch mit einem Beschluss auf dem Parteikonvent am 20. Juni kippen zu können. Wenig spricht dafür, dass sie damit Erfolg haben werden. Weite Teile der SPD befürworten die Vorratsdatenspeicherung, Vizekanzler Sigmar Gab­riel hat sie immer wieder öffentlich gefordert. Die Delegierten werden sich also sehr genau über­legen, ob sie wirklich ihre eigene Parteiführung beschädigen wollen – wenn es auf dem Konvent nicht ohnehin zu spät dafür ist: Das Gesetz soll noch vor der parlamentarischen Sommerpause den Bundestag passieren.
Dann übernehmen wohl andere. Wolfgang Kubicki (FDP) hat bereits angekündigt, erneut vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Ob das Gericht die Vorratsdatenspeicherung ein weiteres Mal kippt, ist fraglich, schließlich wird sich das Gesetz an den Kriterien des Urteils von 2010 orientieren. Zudem wird in der CDU mittlerweile laut über die Entmachtung des Verfassungsgerichts nachgedacht, weil es für die Union in den vergangenen Jahren einige politisch unbequeme Urteile gefällt hat. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat kürzlich erst eine entsprechende Grundgesetzänderung gefordert, mit der die Zuständigkeit des Gerichts beschnitten werden soll. Eine Mehrheit im Bundestag wäre rechnerisch vorhanden. Bleibt am Ende nur noch der Europäische Gerichtshof. Der hatte erst 2014 die entsprechende EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für nichtig erklärt.