Feiern als antideutsche Provokation

Das richtige Feiern im falschen

Am 8. Mai wurde nicht Deutschland befreit, sondern die Welt von Deutschland. Bei aller Kritik am Befreiungsbegriff: an diesem Tag hat die deutsche Volksgemeinschaft verloren, das ist ein Grund zum Feiern. So let’s get this party started!

Am 8. Mai 1945 kapitulierte die Wehrmacht vor der militärischen Überlegenheit der Alliierten. Die deutsche Volksgemeinschaft musste schmerzlich zur Kenntnis nehmen: Keine Wunderwaffe, keine »Hermann-Göring-Pille« (Aufputschmittel, die deutsche Soldaten massenhaft bekamen) und kein Führer (der letzte hatte ohnehin schon persönlich kapituliert) würden den so sehnlich erwünschten Endsieg mehr bringen. Der Vernichtungskrieg und die Shoa wurden beendet. Das ist, trotz allem Elend, ein Grund zum Feiern.
Die alliierten Streitkräfte, das lässt sich aus der heutigen Perspektive feststellen, kamen für viele Opfer der Shoa zwar zu spät, aber sie kamen und retteten Hunderttausenden das Leben. Ganz gleich, wie man den 8. Mai nennen mag – Niederlage, Kapitulation, Zusammenbruch, Besatzung oder Befreiung –, die militärisch errungene Unterschrift unter der Kapitulationserklärung ohne jegliche Bedingungen von deutscher Seite steht für all das: Deutschland hat den Krieg verloren, musste kapitulieren, ist zusammengebrochen, wurde in der Folge besetzt und alles, was bis ­dahin noch unter seiner Herrschaft stand, befreit. Diese Ereignisse sind, auch wenn die Begriffe und ihre historischen Nutzer das mitunter anders gesehen haben, etwas, das man feiern kann.
Richtet man jedoch den Blick auf die reale Feierei am 8. Mai, kann man ins Schaudern kommen. Spätestens seit der populären Rede, die der kürzlich verstorbene ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1985 vor dem Deutschen Bundestag in Bonn hielt, ist der 8. Mai für die Mehrheitsgesellschaft zu einem »Tag der Befreiung« geworden, der, so Weizsäcker, »uns alle befreit (hat) von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft«.
Die Deutschen sind im Kollektivbewusstsein eine Opfergruppe der Nazis, die nach dieser Logik 1933 mit Ufos in Nürnberg gelandet sein müssten. So wird seit 30 Jahren an jedem 8. Mai von den wechselnden Vertretern des postnazistischen Deutschlands die immer gleiche Rede gehalten, in der wie selbstverständlich auf die deutschen Zivilisten und Vertriebenen hingewiesen wird, anstatt einmal »Danke« in Richtung Washington, London, Paris oder Moskau zu sagen. Diejenigen, die »Danke« dann doch über die Lippen bekommen, sind häufig linke Antisemiten oder Stalinisten, die sich freuen, politisch korrekt Stalin loben zu können, aber niemals ein positives Wort in Richtung Westen sagen würden. Bei Wodka und Ernst Busch wird die Rote Armee zum einzigen erwähnenswerten Befreier. Auch antinationale Gruppen feiern mitunter mit fragwürdigen Parolen, wie etwa »Wer nicht feiert, hat verloren«, in deren Umkehrschluss die Feiernden zu Siegern oder wenigstens zu irgendwie Unbeteiligten werden. Doch verloren hat die deutsche Volksgemeinschaft und da kommt man halt nicht raus, nur weil man ein paar Jahrzehnte später eine Party feiert. Die Opfer der Shoa kommen in dieser Logik ohnehin nicht vor.
Diese Praxis der bürgerlichen Mitte und der politischen Linken, so abscheulich sie auch sein mag, sollte aber nicht daran hindern, die richtige politische Praxis zu suchen. Mit einem Slogan wie »Deutschland kaputt, Hurra!« kann heute noch um die Deutungshoheit über den 8. Mai gekämpft werden. Eine Party, die sich die zerstörte deutsche Infrastruktur und das zerstörte nationalsozialistische Regime als positive Bezugspunkte wählt, ärgert und provoziert mehr Deutsche als nur die Nazis, die den 8. Mai bis heute als schmerzhafte Niederlage begreifen und am liebsten ein allgemeines Tanzverbot und Trauerbeflaggung hätten. Die Party stößt diejenigen vor den Kopf, die am 8. Mai über deutsche Opfer, das vermeintliche Elend der Besatzung oder Vertriebene nachdenken.
Was keine Alternative ist: Den Tag ignorieren und schweigen. Der Tag ist politisch. Alle politischen Fraktionen werden ihn auf ihre Weise nutzen. Die Deutschnationalen werden »Feiern? Wir nicht!« in die Welt hinausposaunen. Allein das ist schon Grund zum Feiern. Wenn man dann die Gelegenheit nutzt, um der Mitte der Gesellschaft ihre verlogene Gedenk- und Erinnerungspraxis vorzuhalten, ist man auf einem guten Weg. Eine Party ist in diesem Fall die richtige Wahl. Sie drückt Freude aus. Freude über die deutsche Niederlage und das Ende von Vernichtungskrieg und Shoa.