Der BND als Dienstleister für Dienste

Ein fleißiger Helfer

Die neuen Enthüllungen zum BND zeigen das Ausmaß der Spionagetätigkeit des deutschen Geheimdienstes und die Unmöglichkeit seiner Kontrolle.
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Als 2013 bekannt wurde, dass die NSA ein Mobiltelefon der Bundeskanzlerin abgehört hatte, sagte Angela Merkel: »Das geht gar nicht.« Mittlerweile hat jedoch ein Rollentausch stattgefunden: Der BND hat EU-Nachbarländer, die EU-Kommission und europäische Industriebetriebe für die USA überwacht. Plötzlich ist auch Deutschland ein Land, das seine vermeintlichen Freunde ausspioniert. Ein Nebeneffekt des Skandals: Nationalistische Totschlagworte wie »Landesverrat« gehören wieder zum öffentlichen Vokabular. Doch nicht der Staat wirft Linken vor, »vaterlandslose Gesellen« zu sein, sondern die Linkspartei bezichtigt den BND des »Landesverrats«.

Nachdem 2013 durch Edward Snowdens Enthüllungen bekanntgeworden war, dass die NSA weltweit den gesamten Internet-Verkehr überwacht, blieb es zunächst seltsam ruhig. Größer war die Aufregung, als öffentlich wurde, dass die NSA auch deutsche Politiker und Regierungsmitglieder bis hin zu Merkel abhört. Als Anfang 2014 schließlich im Bundestag ein Untersuchungsausschuss eingesetzt wurde, begann eine lange Kette von Kapriolen. Mal bekam der Ausschuss Berge von Akten ausgehändigt, die fast durchgängig geschwärzt waren, mal wurden – angeblich wegen eines Fehlers – Akten unvollständig angeliefert. Was die Abgeordneten am Ende einsehen konnten, war in einem derart akkuraten Zustand, dass Ausschussmitgliedern der Verdacht kam, der BND habe die Akten eigens für den Ausschuss fabriziert. Im Sommer 2014 wurde schließlich bekannt, dass der BND den NSA-Untersuchungsauschuss ausspioniert hatte. Es kam zur Verhaftung eines BND-Mitarbeiters und zur Enttarnung eines US-Spions im Verteidigungsministerium. Anfang 2015 trat dann der Ausschussvorsitzende Roderich Kiesewetter zurück, da er sich auf »aktuelle außenpolitische Herausforderungen« und »Wahlämter« konzentrieren müsse.
Man gewinnt den Eindruck, der BND behindere die Ermittlungen, anstatt sie zu unterstützen. Angesichts der neuesten Enthüllungen ist auch offensichtlich, warum. Jahrelang hat der BND der NSA dabei geholfen, in Europa für die USA zu spionieren. Dabei geht es um 800 000 sogenannte Selektoren, die der BND eigenen Angaben zufolge für die NSA bearbeitet hat. Unter Selektoren kann man sich Suchbegriffe vorstellen, die eine Suchmaschine füttern. Es kann sich um Namen, Telefonnummern, IP-Adressen oder sonstige Angaben handeln, zu denen Daten gesammelt werden sollen. Da der BND als Auslandsgeheimdienst nicht in Deutschland gegen deutsche Bürger spionieren darf, sortierte er nach eigenen Angaben 40 000 dieser Selektoren aus, bearbeitete die übrigen und übermittelte die entsprechenden Daten an die NSA. Wahrscheinlich ist die wahre Zahl jedoch wesentlich höher – nach Informationen des NSA-Untersuchungsausschusses ging die Zahl der Selektoren allein 2013 in die Millionen.
Möchte der BND also verschleiern, der NSA bei massenhafter Überwachung geholfen zu haben? Anders wäre die hohe Zahl kaum zu erklären. Der NSA-Untersuchungsausschuss fordert Klarheit und möchte eine Liste aller Selektoren sehen. Diese bekommt er aber nicht ohne weiteres – die Bundesregierung fragt lieber erst einmal die US-Regierung um Erlaubnis. Das dürfte ein einmaliger Vorgang sein: Ein Auslandsgeheimdienst, dessen Aufgabe es ist, Informationen über Spionage im Ausland zu sammeln, hat Daten über ebensolche ausländische Spionage, rückt diese aber erst heraus, wenn die Verantwortlichen für die betreffenden Spione das erlauben.

Seit deutlich ist, dass die französische Regierung, die EU-Kommission und Industrieunternehmen Ziel der Spionage waren und das Kanzleramt seit 2005 zumindest teilweise Bescheid wusste, ist aus einem Geheimdienstskandal eine Staatsaffäre geworden. Gregor Gysi (Linkspartei) fasste es im Interview mit der »Tagesschau« so zusammen: Wenn die Regierung von nichts gewusst habe, sei sie ein schlechter Kontrolleur. Habe sie davon gewusst, sei sie in Straftaten wie »Landesverrat« und Industriespionage verwickelt. Spätestens seit Airbus Anzeige wegen Wirtschaftsspionage erstatten will, ist Generalbundesanwalt Harald Range gezwungen, Ermittlungen aufzunehmen und zu prüfen, ob der Verdacht für die Aufnahme eines Verfahrens reicht. Doch wer wäre anzuklagen? Der BND-Präsident Gerhard Schindler, der erst seit 2010 im Amt ist? Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU), der von Amts wegen für die Kontrolle des Geheimdienstes zuständig ist? Oder doch sein Vorgänger Ronald Pofalla, der den Skandal 2013 für beendet erklärt hatte und später zurücktreten musste? Oder Thomas de Maizière (CDU), der derzeitige Innenminister, der angab, nichts von Wirtschaftsspionage gewusst zu haben, obwohl mittlerweile bekannt ist, dass dem Kanzleramt seit 2008 entsprechende Informationen vorlagen? Die einzige Konstante in all den Jahren der Spionage ist Bundeskanzlerin Merkel selbst.
Auch wenn erste Kommentatoren von einem Regierungswechsel träumen – Spitzenpolitiker der SPD sind genauso verstrickt. Die Anfänge des Skandals liegen in einem »Memorandum of Agreement«, in dem der BND und die NSA unter Kanzler Gerhard Schröder und Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier ihre Zusammenarbeit vereinbarten. Unter dem Eindruck der Anschläge vom 11. September 2001 begannen die Geheimdienste für den »War on Terror« das Projekt »Eikonal« zur Überwachung des internationalen Datenverkehrs. Damals übergaben die USA die Überwachungsstation in Bad Aibling mit der Vereinbarung an Deutschland, weiterhin einen Raum nutzen zu dürfen, um Daten für sich selbst abzuzweigen.
Im Bundestag gibt es also keine Mehrheiten für eine grundlegende Änderung – nicht einmal nach Neuwahlen. Dabei wäre gerade das Parlament gefragt. Dem Grundgesetz zufolge ist es dafür zuständig, den Geheimdienst zu kontrollieren. Doch das geschieht mit einem Ausschuss, der keinen nennenswerten Stab hat und mit Abgeordneten besetzt ist, die sich auch um andere Ausschüsse und ihre Wahlkreise kümmern müssen. Nötig wäre ein parlamentarischer Beauftragter mit eigenen Ermittlungsbefugnissen und genug Personal, um notfalls unangekündigt Akten des BND zu konfiszieren. Doch die Einrichtung eines solchen Postens ist nicht in Sicht.

Auch die radikale Forderung nach der Abschaffung der Geheimdienste bleibt Träumerei. Ohne eigenen Geheimdienst kann kein Nationalstaat in der Staatenkonkurrenz bestehen. Ohne BND geriete die Bundesregierung erst recht ins Hintertreffen gegenüber den USA und anderen ausländischen »Partnern«. Manche verweisen auf einen vermeintlich sinnvollen Ausweg aus der Bredouille: Die EU-Staaten sollten gemeinsam einen Auslandsgeheimdienst schaffen. Damit seien die Probleme zwar nicht aus der Welt, aber ein solcher Geheimdienst könne selbstbewusster gegenüber den USA auftreten und klaren Regeln für seine Kompetenzen in der EU unterworfen werden. Auch diese Lösung ist Träumerei – wobei sie durchaus auch das Zeug zum Albtraum hat.