Keine Wodkapartys mit Stalinisten

Nur ein bescheidenes Dankeschön

Den 8. Mai mit großen Partys zu begehen, heißt, mit großrussischen Chauvinisten, linken Antisemiten und Freunden der Staatsraison zu feiern.

Ilja Ehrenburg beschließt in seinen Memoiren eine Reflexion über den 8. und 9.Mai so: »Zusammen mit allen anderen litt ich, verzweifelte ich, hasste und liebte ich. Ich lernte viele Menschen besser kennen (…) , liebte sie stärker, es gab so viel Unglück, so viel seelische Kraft. Daran dachte ich auch in der Nacht, als die Lichter der Raketen erloschen und die Lieder verklungen waren, als Frauen in ihre Kissen schluchzten, (…) dachte an das Leid, an die Tapferkeit, an Liebe und Treue.«
Am 8. und 9.Mai 1945 kapitulierten die deutschen Truppen. Der deutsche Vernichtungskrieg war beendet. Dank weitgehender Übereinstimmung von Führung und Volksgemeinschaft konnten die Nazis ihr Vernichtungsprogramm bis in die letzten Tage fortführen und das europäische Judentum fast gänzlich vernichten. Sechs Millionen Juden, Männer, Frauen, Kinder und Greise, verloren ihr Leben in den Gaskammern oder vor Erschießungskommandos. Millionenfach verloren Soldaten der Alliierten, millionenfach verloren vor allem in Osteuropa Zivilisten ihr Leben, ihre jugendliche Unbeschwertheit und ihre Gesundheit, weil deutsche Soldaten den antisemitischen Rassenwahn in die mörderische Tat umsetzten konnten. Der Nationalsozialismus ist nur im Zusammenhang mit der Ausrottung der europäischen Juden zu denken, der deutsche Krieg war ein Raub-, Weltanschauungs- und Vernichtungskrieg. Die wenigen Widerstandskämpfer in Deutschland, häufig von den Volksgenossen an die Gestapo verraten, waren geköpft, an den Fleischerhaken aufgehängt oder zu Tode gefoltert, sie verloren ihr Leben für die naive Hoffnung auf ein besseres Deutschland.
Seit einigen Jahren steigen zum Datum der Niederlage des Nationalsozialismus vielerorts Partys, einige unter der Parole »Wer nicht feiert, hat verloren«. Angesichts der Verlierer von zwölf Jahren NS-Diktatur ein perfides Motto. Im besten Falle ergibt es nur dann einen Sinn, wenn man den Nationalsozialismus als gewöhnliche Diktatur begreift, dem eine den Deutschen geschenkte (und von den anderen Nationen erkämpfte) Freiheit nach 1945 folgte und wenn man den Krieg als klassisch imperialistischen begreift und den Sieg über Deutschland als ein Schritt der Befreiung der Völker vom Kapitalismus betrachtet – der Zusammenhang von Antisemitismus, Vernichtungskrieg und Nationalsozialismus muss dabei unberücksichtigt bleiben. Dagegen ist das Motto »Deutschland kaputt, Hurra!«, bei dem erkennbar der Wunsch Vater des Gedankens ist, zwar nicht perfide, dennoch bleibt die Frage, warum eigentlich eine Feier in Deutschland zu diesem Datum notwendig sein soll.
Der 8. Mai ist in Deutschland mittlerweile kein Datum einer als schändlich wahrgenommenen Niederlage mehr, sondern von der Mehrheit in Politik und Gesellschaft als positiver Bezugspunkt deutscher Identität vereinnahmt worden. Der nachvollziehbare Wunsch, trotzdem zu feiern und sich (zumindest moralisch) auf der Seite der Alliierten zu wähnen, dient zunächst dazu, sich untereinander eine gute Gesinnung zu attestieren. Darüber hinaus hilft es zu verdrängen, dass man Teil der postnazistischen Gesellschaft ist, und verwischt auch die Tatsache, dass von den Alliierten nur der westliche Teil übrig geblieben ist, während jene, die vermeintlich die Tradition der Roten Armee bemühen, größtenteils großrussische Chauvinisten sind.
Mit Wodka oder Cocktails und je nach Gusto bei russischer Folklore, beim Anstimmen von Partisanenliedern oder beim Sound des Neuesten aus dem Underground lässt sich die notwendige Auseinandersetzung, was der Nationalsozialismus wirklich war, umgehen, denn die würde unweigerlich zu Konflikten mit den feiernden Russophilen, Stalinisten, linken Antisemiten, Volksfreunden und Staatsfetischisten führen. Diese Konflikte werden bei Wein und Gesang wieder einmal vertagt.
Und diejenigen, die nicht das Ansehen der deutschen Nation, sondern die Opfer im Blick haben, die ein Bewusstsein haben, welch ein Segen es für die Menschheit war, dass es den Alliierten gelang, eben nicht nur irgendeinen Faschismus, sondern die nationalsozialistische deutsche Volksgemeinschaft mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln niederzukämpfen – wie sollen die ihre Dankbarkeit ausdrücken?
Mehr als ein bescheidenes Dankeschön, ein Spasibo, Thank You oder Merci steht uns in Deutschland nicht zu. Seine 13. Symphonie schrieb Schostakowitsch anlässlich des Massakers in Babyn Jar – man lege diese Musik auf und überlege dann, ob die Party steigen kann.