Die neuen Diskussionen um »Charlie Hebdo«

Säkularismus ist keine französische Spezialität

Der amerikanische PEN-Club zeichnet »Charlie Hebdo« mit einem Preis für ­Meinungsfreiheit aus. In der Begründung hält sich die Organisation aber merkwürdig zurück.

Am Ende ging die umstrittene Preisvergabe des PEN-Clubs glatt über die Bühne. Während vor dem mit einem großen Polizeiaufgebot gesicherten Naturkundemuseum in New York, wo die Galaveranstaltung am Dienstag vergangener Woche stattfand, eine Handvoll Demonstranten gegen die Auszeichnung für Charlie Hebdo protestierte, nahm Gérard Biard, der Chefredakteur der Satirezeitung, den Award für Courage und Meinungsfreiheit entgegen. In einer unaufgeregten Rede betonte er, seine Zeitung sei für ihre scharfen Angriffe bekannt, die Grenzen der Meinungsfreiheit seien jedoch von denen verletzt worden, die Menschen erschossen hätten.
Emotionale Worte fand der in Kalifornien lebende französisch-kongolesische Schriftsteller Alain Mabackou in seiner Laudatio. Er er­innerte an »seinen ermordeten engen Freund Bernard Maris«, der bei Charlie Hebdo für Wirtschaftsthemen zuständig war. »Ich vermisse ihn heute Abend ganz besonders«, sagte Mabackou.
Dominique Sopo von der französischen Organisation SOS Racisme rückte das Bild zurecht, das die Boykotteure der Preisvergabe von der Zeitung gemalt hatten. Charlie Hebdo, erklärte Sopo in seiner Rede, sei nicht rassistisch, sondern ganz im Gegenteil ein verlässlicher Verbündeter im Kampf gegen Rassismus. Er verwies auf die langjährige Kooperation zwischen seiner Organisation und der Satirezeitung. Das Blatt karikiere jene, die schwarze, jüdische und arabische Menschen ausgrenzten.
Sechs geladene Autoren, darunter Peter Carey und Rachel Kushner, waren der Gala wie angekündigt aus Protest gegen die vermeintlich »kulturelle Intoleranz« von Charlie Hebdo ferngeblieben. Für sie waren unter anderem Art Spiegelman und Neil Geiman als table hosts des Gala-Diners eingesprungen. Für Spiegelman hat die schroffe Ablehnung, die Charlie Hebdo durch viele Intellektuelle erfährt, auch mit einer Geringschätzung des Cartoons zu tun, der nach wie vor als Medium des Vulgären gelte. »Würden sie schreiben, wäre es etwas anderes«, sagte der Zeichner am Rande der Veranstaltung gegenüber einem Reporter. Rund 200 nicht zur Gala geladene Autoren hatten den Protestbrief der sechs Schriftsteller gegen Charlie Hebdo unterzeichnet. Die sich anschließende Debatte drehte sich schnell um Fragen von Universalismus versus Multikulturalismus.
Man sei sich im Klaren darüber gewesen, dass die Preisvergabe für Diskussionen sorgen würde, hatte der Präsident des PEN, Andrew Solomon, vor der Veranstaltung erklärt. Aus diesem Grund hatte der PEN seine Entscheidung, das französische Satireblatt mit dem Award auszuzeichnen, wohl auch mit zurückhaltenden Worten begründet. Man wollte nicht weiter polarisieren. Ausdrücklich solle das Blatt für seinen Einsatz für die Meinungsfreiheit geehrt werden, nicht für seine Inhalte. Unter dem Titel »Rejecting the Assassin’s Veto« hatte der PEN bei seinen Mitgliedern um Unterstützung für den umstrittenen Preisträger geworben. »Wir glauben nicht«, so die Begründung der Jury, »dass jeder von uns die Aussagen der Karikaturen in Charlie Hebdo mögen muss, um die Bedeutung des Mediums der Satire anzuerkennen und dem Mut der Mitarbeiter zu applaudieren, an diesen Werten trotz der Bedrohung ihres Lebens festzuhalten.«
Das klang defensiv und ein bisschen nach ­einem Trostpreis. Der verdrucksten Argumentation, nur der Mut, nicht der Inhalt werde mit dem Preis ausgezeichnet, wollten denn auch nicht alle PEN-Autoren folgen. Nur wenn die Aussage eines Werkes preiswürdig sei, könne man auch den Mut honorieren, diese zu verbreiten, argumentierten Autoren wie Kushner und Carey nicht zu Unrecht. »Mut« bewiesen schließlich auch die weit rechts stehenden Veranstalter eines Mohammed-Karikaturen-Wettbewerbs in Texas, die zwei Tage vor der PEN-Gala von islamistischen Terroristen angegriffen wurden. Die Zeichnungen, die bald im Internet kursierten, waren stumpfe, geifernde Cartoons. Es fehlt der schockierende Witz und die emanzipative Perspektive, die die Karikaturen von Charlie Hebdo auszeichnen. »1 000 Peitschenhiebe, wenn ihr euch nicht totlacht« war so ein legendärer Cartoon. In guter aufklärerischer Tradition wird der politische Islam wie andere Herrschaftsideologien auch bei seinen Widersprüchen gepackt. Die Auseinandersetzung beschränkte sich dabei nicht auf die bildliche Darstellung. 2006 veröffentlichte Charlie Hebdo beispielsweise das unter anderem von Salman Rushdie, Caroline Fourest und Ayaan Hirsi Ali unterzeichnete »Manifest der 12«, das sich gegen den Islamismus als neue globale totalitäre Bedrohung wendet und zur Verteidigung der Prinzipien von Freiheit, Gleichheit und Laizismus aufruft.
Auch wenn es an der intellektuellen Gegnerschaft so vieler Autoren gegenüber Charlie Hebdo nicht das Geringste geändert hätte, wäre es doch gut gewesen, wenn der PEN den Mut aufgebracht hätte, zu sagen, dass Charlie Hebdo Werte vertreten hat, für die es sich einzustehen lohnt. So blieb es dem Chefredakteur Gérard Biard vorbehalten, in seiner Dankesrede darauf hinzuweisen, dass der Säkularismus »kein F-Wort« ist und »auch keine typisch französische kulturelle Besonderheit wie stinkender Käse oder schlaffe Präsidenten.«