In Bitterfeld bedrohen Neonazis Linke mit dem Tod

Battlefield Bitterfeld

Ein Brandanschlag auf ein linkes Kulturzentrum ist der bisherige Höhepunkt neonazistischer Gewalt in den vergangenen Wochen in Bitterfeld. Für Lokalpolitik und Presse handelt es sich bei den Angriffen um Auseinandersetzungen »links- und rechtsextremer Gruppierungen«.

»Focus the Facts!« Unter diesem Motto fand am Sonntag eine antifaschistische Demonstration in Bitterfeld statt, an der ungefähr 400 Menschen teilnahmen. Anlass waren anhaltende Angriffe durch Rechtsextreme. Neben dem Naziproblem der Stadt – am selben Tag veranstalteten die »Brigade Halle« und die Partei »Die Rechte« als Reak­tion eine Kundgebung mit etwa 80 Personen – wiesen die Antifaschisten insbesondere auf das Verhalten lokaler Politiker hin. Spätestens seit einem Brandanschlag auf das Alternative Kulturwerk (AKW) zeigen sich die Angegriffenen verärgert über das Schweigen der Stadtoberen.

Zwischen dem Bahnhof von Bitterfeld-Wolfen, einem Chemiewerk und Photovoltaikanlagen liegt das AKW. Auf dem großen Gelände befinden sich Konzerträume, ein Infoladen, eine Teeküche und ein Wagenplatz. Seit 1997 soll das auch als »Festung« bezeichnete Zentrum dem eigenen Anspruch zufolge einen Raum bieten, in dem nicht nur gesellschaftliche Verwertungslogik und ostdeutsche Alltags­tristesse, sondern auch Nazis außen vor bleiben müssen.
Die Idee ist von bitterer Aktualität: Die Bitterfelder Naziszene bedroht, bedrängt und verprügelt zurzeit häufig linke und alternative Jugendliche sowie Geflüchtete. Beim ersten der vier Angriffe, die sich seit Mitte März ereignet haben, drangen fünf bis sechs Vermummte in eine Wohnung ein, wo sie den Mieter und seine Freundin nach Angaben der Polizei schlugen und mit den Worten bedrohten: »Scheiß Dreckszecke, lass dich nicht mehr auf der Straße blicken, sonst bist du tot!« Ein weiteres gewaltsames Eindringen in eine benachbarte Wohnung, in der sich ein Zeuge des Vorfalls verschanzte, misslang ihnen jedoch.
In der Nacht vom 1. auf den 2. April fand ein ähnlicher Überfall statt. Zwei Unbekannte drangen in die Wohnung eines alternativen Jugend­lichen ein, unter anderem stießen sie ihm einen Schraubenzieher in den Oberschenkel. In den folgenden Wochen kam es auf offener Straße zu einem weiteren Angriff auf einen linken Jugend­lichen und auf zwei Flüchtlinge aus Mali.
Zudem hatten Neonazis Drohungen gegen das AKW und Personen aus dessen Umkreis geäußert. Auch in sozialen Netzwerken und mit Gegröle aus fahrenden Autos ließen sie keinen Zweifel daran, dass sie das Kulturprojekt missbilligten. Schließlich warfen Unbekannte in der Nacht zum 18. April einen Brandsatz auf einen auf dem Gelände stehenden Wohnwagen. Das Feuer brannte sich durch das Dach, bevor es den Anwesenden gelang, es zu löschen. Am Abend des 6. Mai kam es dann zu einem Angriff auf das Büro der Partei »Die Linke«, bei dem eine Scheibe eingeschlagen und Reizgas versprüht wurde. Ein Anwesender erlitt Schleimhautrötungen.

Dass es sich bei Bitterfeld um eine Stadt mit großer Naziszene und entsprechend gesinntem Umland handelt, ist nicht neu. Doch seit Anfang des Jahres wird dieses Milieu spürbar umtriebiger. Ein Grund hierfür könnte der Zuzug Maik Mosebachs und seiner Lebensgefährtin Maria-Lui­se Süss-Lindert aus Nordhessen in das benachbarte Sandersdorf-Brehna sein. Von dort aus versucht das Paar, die neonazistische Kleinstpartei »III. Weg« in der Region zu etablieren. Der »III. Weg« ist aus dem inzwischen verbotenen »Freien Netz Süd« hervorgegangen.
Mosebach betätigte sich zuvor in der NPD und in der Partei »Die Rechte«, Süss-Lindert in der verbotenen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei, der Deutschen Frauenfront und ebenfalls bei »Die Rechte«. Nachdem seit Beginn des Jahres wiederholt Mitglieder der Parteien »III. Weg« und »Die Rechte« zu den wöchentlichen »Montagsmahnwachen« auf dem Bitterfelder Marktplatz erschienen waren, wurden häufig linke Beobachter bedroht. Bei einer Demonstration unter dem Motto »Deutsche schützen! Gegen linke Gewalt!« forderte Süss-Lindert dazu auf, dem AKW »Einhalt zu gebieten«, beziehungsweise dort »aufzuräumen«.
Eine besondere Dimension für Linke haben die Drohungen, Angriffe und der Brandanschlag auch deshalb, weil in lokalen und regionalen Medien die Tendenz zu beobachten ist, Täter und Opfer beziehungsweise Nazis und Antifaschisten gleichzusetzen. Nicht nur der »III. Weg«, Altermedia und regionale Naziportale wie »HalleMax« verbreiten Behauptungen über linke Gewalt. Die Mitteldeutsche Zeitung und der MDR konstatieren in ihrer bisherigen Berichterstattung Ähnliches. So meldete der MDR »Auseinandersetzungen zwischen links- und rechtsextremen Gruppierungen«. Solche gab es jedoch nicht. Antifaschisten hielten spontane Demonstrationen ab und sprühten vereinzelt Parolen an Hauswände. Die Gewalttaten gingen ausschließlich von Nazis aus.
Die parteilose Bitterfelder Oberbürgermeisterin Petra Wust verfasste mit Kommunalpolitikern dennoch einen »offenen Brief gegen Extremismus«, den die Mitteldeutsche Zeitung zitierte. Die Politiker zeigten sich darin »entsetzt und fassungslos über die aktuellen Geschehnisse« und verwiesen auf eine »wachsende Anzahl gewalttätiger Übergriffe einzelner Gruppierungen des linken wie des rechten Ran­des des politischen Spektrums«. Schließlich hielten sie fest: »Wir sind weltoffen und tolerant!«
Die CDU wiederum beschwerte sich über »das Problem, dass dadurch die Händler und die Innenstadt Umsatzeinbußen haben«. Am Ostersonntag hatte eine linke Spontandemonstration in der Innenstadt stattgefunden. Das Sprühen einzelner Graffiti hatte für Unmut bei Lokalpolitikern gesorgt. Ein Polizeisprecher äußerte im MDR, Beamte wollten fortan durch eine verstärkte Präsenz an Montagen versuchen, »ein Aufeinandertreffen verschiedener Spektren im Raum Bitterfeld zu unterbinden«. Die Bewohner des AKW erhielten, abgesehen von sporadischen zusätzlichen Streifenfahrten in der Umgebung, bisher wenig Unterstützung. Einige Beobachter sprechen deshalb mittlerweile lakonisch von »Battlefield«, wenn es um Bitterfeld geht.

Man scheint in Bitterfeld zudem zu befürchten, als weiteres abschreckendes Beispiel aus der ostdeutschen Provinz herhalten zu müssen. So sorgten sich die Lokalpolitiker um Oberbürgermeisterin Wust in ihrem »offenen Brief« auch um das »schlechte Licht auf unsere Stadt«. Nachdem das Dorf Tröglitz im Süden Sachsen-Anhalts nach einem Brandanschlag auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft bundesweit Aufmerksamkeit erhalten hat, wünschen sich die Verantwortlichen in Bitterfeld keinesfalls ähnliche Beachtung.
Ähnlich wie in Tröglitz werden auch dort nur rechte Einzeltäter ausgemacht und für ihr undemokratisches Verhalten gerügt. Zudem wird die linke Szene – und sei es, weil sie die Nazis provoziert – als Störfaktor betrachtet. Kurz nach dem Tröglitzer Anschlag sagte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), man werde »keinen Schritt zurückweichen«. Das lässt sich auch in Bitterfeld weniger als Kampfansage gegen Rassismus und Neonazismus verstehen, sondern als Bekräftigung der Politik des Wegschauens und Kleinredens.