Flüchtlingsgipfel im Bundeskanzleramt

Eine Frage des Aussortierens

Auf dem Flüchtlingsgipfel im Bundeskanzleramt wurde beschlossen, das Asylverfahren »effizienter« zu gestalten. Dies kann als Drohung verstanden werden.

Ein 36jähriger Finanzbeamter gestand am vergangenen Freitag in Lübeck bei Prozessbeginn, aus »Angst um seine Familie« im Februar einen Brandanschlag auf eine noch unbewohnte Flüchtlingsunterkunft in Escheburg bei Hamburg verübt zu haben. In der Nacht zum Mittwoch vergangener Woche wurde im pfälzischen Limburgerhof ein im Bau befindliches Flüchtlingsheim in Brand gesetzt. Am Wochenende zuvor kam es im sächsischen Freital bei Dresden, wo seit einiger Zeit die rassistische Initiative »Freital wehrt sich« Stimmung gegen die in einem ehemaligen Hotel untergebrachten Flüchtlinge macht, zu einem nächtlichen Angriff mit Feuerwerkskörpern auf die Unterkunft. Örtliche Antifaschisten warnen wegen der Atmosphäre im Dorf bereits vor einem »Lichtenhagen 2.0«.

Am Freitag voriger Woche lud Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Flüchtlingsgipfel nach Berlin. Dabei ging es jedoch nicht um einen neuen »Aufstand der Anständigen« angesichts der zunehmenden Bedrohung, der Flüchtlinge im gesamten Bundesgebiet ausgesetzt sind, sondern vor allem darum, dass die Kosten für die »steigende Zahl der Flüchtlinge nach einer nationalen Kraftanstrengung« verlangten, wie der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU) vorab erklärt hatte. Erst jüngst hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) seine Prognose nach oben korrigiert. Es rechnet im Lauf des Jahres mit über 400 000 Asylanträgen. Die Frage, wer die Kosten für Unterbringung und »Integration« der Flüchtlinge trägt, ist seit jeher einer der großen Streitpunkte zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Denn Flüchtlinge werden nach dem »Königsteiner Schlüssel«, basierend auf Einwohnerzahl und Steuereinnahmen, auf die Länder und von dort auf die Kommunen verteilt, die sich wiederum häufig von der Aufgabe der Unterbringung und Betreuung der Flüchtlinge und vor allem den Kosten überfordert fühlen.
Zwar hat die Bundesregierung beim ersten Flüchtlingsgipfel im Oktober vergangenen Jahres beschlossen, die Kommunen für zwei Jahre mit zusätzlich insgesamt einer Milliarde Euro zu unterstützen, jedoch erwarten diese weitaus höhere Ausgaben. Ebenfalls im Oktober hatte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, daher einen »Marshall-Plan für die Flüchtlingshilfe« gefordert. Die Vertreter der Kommunen wurden zu dem Treffen am Freitag jedoch gar nicht erst eingeladen, was für große Kritik gesorgt hatte. Die Grünen sprachen von einer »Farce« und einem weiteren »Stuhlkreis im Kanzleramt«.
Dem Charakter derartiger Gipfel entsprechend wurde am Freitag tatsächlich nicht viel beschlossen, dafür aber viel guter Wille demonstriert – der jedoch nicht zwingend den Flüchtlingen zugute kommen muss. Bis zur Ministerpräsidentenkonferenz Mitte Juni will Innenminister Thomas de Maizière (CDU) nun ein »Maßnahmen­paket« vorbereiten. Unter anderem soll das Personal des BAMF um 2 000 Stellen fast verdoppelt werden mit dem Ziel, das Asylverfahren »effizienter« zu gestalten. Die Aufgabe sei es, stärker zu unterscheiden zwischen »denen, die eine hohe Anerkennungsquote haben, und denjenigen, von denen wir wissen und von denen wir auch wollen, dass sie unser Land wieder verlassen«, sagte der Innenminister während einer Pressekonferenz. Die Unerwünschten sollen gar nicht erst dezentral verteilt oder gar integriert werden, sondern stattdessen bis zu ihrer Abschiebung in »Erstaufnahmelagern« untergebracht werden – effizientes Aussortieren wird angestrebt. Dies zielt in erster Linie auf die Menschen, die aus den westlichen Balkan-Staaten nach Deutschland kommen. Schon seit geraumer Zeit fordern Politiker, wie jüngst der stellvertretende CDU-Vorsitzende Thomas Strobl und Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU), weitere Länder aus der Region, wie Albanien, Montenegro und das Kosovo, zu sicheren Drittstaaten zu erklären, um Anträge von Menschen aus diesen Ländern gar nicht mehr prüfen zu müssen.

Flüchtlingsräte warnen angesichts der Vorschläge vor einer weiteren Diskriminierung und Entrechtung der Roma-Flüchtlinge aus diesen Ländern. Pro Asyl sieht in der Kategorisierung nach Herkunftsland einen Verstoß gegen das Diskriminierungverbot. Asyl zeichne sich gerade dadurch aus, ein Individualrecht zu sein, so die Organisation. Grundsätzlich seien die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels »dürftig und enttäuschend«, sagte der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt.
Kaum etwas anderes jedoch war zu erwarten. Schließlich wurden zu dem »Flüchtlingsgipfel«, auf dem auch die Art der Unterbringung und Möglichkeiten der Integration diskutiert wurden, keine Vertreter lokaler Initiativen, Hilfsorganisationen, geschweige denn Flüchtlingsgruppen eingeladen. Und dies in einer Zeit, in der das Massensterben im Mittelmeer nicht mehr zu ignorieren ist und rassistische Angriffe hierzulande ein neues Höchstmaß erreicht haben.
Im Zuge der Diskussion über das meist als »Problem« dargestellte Flüchtlingsthema geht es erneut hauptsächlich um die Kosten sowie die Belastung für die Gemeinden und die deutsche Gesellschaft, deren Aufnahmefähigkeit angeblich an ihre Grenzen gelangt. Einer der wenigen, die versuchen, die nationalistisch und rassistisch eingefärbte Diskussion mit nüchternen Tatsachen zu entschärfen, ist der Nürnberger Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD), der auch dem Deutschen Städtetag vorsitzt. Angesichts der Panikmache vor steigenden Flüchtlingszahlen und der Überforderung der Kommunen sagte er jüngst: »Im Vergleich zu den Millionen Vertriebenen, Spätaussiedlern und Gastarbeitern, die wir integriert haben, sind diese Zahlen zu managen.« Und mit Blick auf die tatsächlichen Relationen fügte er hinzu: »Wenn im Libanon 1,5 Millionen Menschen in Zelten wohnen, dann dürfen wir nicht über 60 000 jammern. Das verbietet sich.«
Innenminister de Maizière sieht das anders und behauptete im April sogar, Deutschland sei das Land »mit den meisten Asylanträgen weltweit«. Das ist eine absurde Behauptung angesichts der riesigen Flüchtlingslager in den Nachbarstaaten von Krisenländern. Aber sie erfüllt ihren Zweck. Sie vermittelt moralische Absolution und rechtfertigt zugleich neue repressive Maßnahmen. Dabei leben in Deutschland derzeit ­gerade einmal 629 000 Menschen – weniger als ein Prozent der Bevölkerung – mit Asyl- oder Duldungsstatus, wie eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im März ergab.
Auch der häufig angeführte Hinweis, in Deutschland würden europaweit die meisten Asylan­träge gestellt, verzerrt die Wirklichkeit. Denn auf die Einwohnerzahl umgerechnet steht Deutschland gerade einmal an neunter Stelle. Und die Zahl der Anträge sagt noch wenig über die Aufnahmequote aus, die in Deutschland derzeit bei 30 Prozent liegt. Darüber hinaus wird die Tatsache ignoriert, dass in vielen südeuropäischen Ländern Millionen Illegalisierte leben, die dort jedoch – im Gegensatz zu Deutschland – auch ohne Aufenthaltsgenehmigung ein Mindestmaß an Schutz und bürgerlichen Rechten genießen, während diese Gruppe hierzulande sofort ins Gefängnis gesteckt wird. Dieser Umstand ist sicherlich auch den Flüchtlingen bekannt, was wiederum die Zahl der Asylanträge zum eigenen Schutz vor Haft und Abschiebung im Vergleich zu anderen Ländern deutlich erhöht.

Ein kritischer Blick auf die Zahlen vermittelt also ein durchaus anderes Bild der sogenannten deutschen Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen. Nicht zuletzt liegen die Asylanträge trotz des großen Anstiegs in jüngster Zeit noch immer unterhalb der Zahlen am Anfang der neunziger Jahre. Besorgniserregend sind also nicht die Flüchtlingszahlen, sondern die Reaktionen von Politik und Gesellschaft, die ebenfalls an die neunziger Jahre erinnern.