Hello again

Es ist nie sehr schön, jemandem beim Sterben zuzuschauen – sei es nun der kleinen Fliege beim sinnlosen Paddeln im Waldbeeren-Smoothie oder dem jahrzehntelangen öffentlichen Todeskampf des Helmut Kohl. Der schlimmste bekannte Todeskampf ist aber nach wie vor der der großen Tageszeitungen. Er dauert nun schon fast 15 Jahre, und wie viel Geld, wie viel Lebenszeit auf ihn verwendet wurden, weiß kein Mensch; es macht ihn aber schon besonders groß und tragisch. Letztes brisantes Beispiel ist die Anzeigenkampagne der FAZ, »Ich lese wieder Zeitung«. Zu sehen sind einige zerknautschte Mittdreißiger, die in ihren jeweiligen Schlafanzügen und der völligen Dunkelheit ihrer Kemenaten ein leuchtendes Display vor die entzündeten Augen heben. Darauf: die E-Paper-Version der FAZ. Der Agentur Scholz & Friends zufolge richtet sich die Kampagne an »junge Zeitungsleser, die ihre Nachrichten vorzugsweise über digitale Kanäle beziehen« und »abends im Bett auf ihrem Tabletcomputer die Zeitung vom nächsten Tag ­lesen«.
Vorbei die Bürgerherrlichkeit des Zeitungslesens, des reich gedeckten Frühstückstischs, des vergoldeten Zeitungsständers und bewundernd blickender Haushälterin! Zeitunglesen ist ein Nerd-Hobby geworden, gleichzusetzen dem nächtlichen Netflix-Bingen auf dem Handy. Doch wo uns die Nerds heute was von übertakteten Bitcoin-Farmen erzählen, berichten sie morgen nur mehr die Nachrichten von gestern. Wenn alle schon das Weltgeschehen verdaut und ertragen haben, kommen sie an, gehüllt in wunderliche Rollenspielgewandung aus Zeitungspapier, und sprechen von Leitartiklern, die keiner mehr kennt, und Standpunkten, die keine mehr sind. In ihrem Todeskampf reißt die Presse offenbar noch gleich die Nerdkultur mit ins Unglück.