Die Piratenpartei und das Leistungsschutzrecht

Über Nacht zum Leistungsschützer

Der ehemalige Landesvorsitzende der Berliner Piratenpartei setzt sich mittlerweile für das Leistungsschutzrecht ein.
Von

Christopher Lauer hat eine beachtliche Wandlung vollzogen. Der ehemalige Landesvorsitzende der Piratenpartei in Berlin und ehemalige Fraktionsvorsitzende im Berliner Abgeordnetenhaus übt sein Mandat seit dem Austritt aus der Partei im September 2014 weiterhin als parteiloses Mitglied der Piratenfraktion aus. Seit April ist er zudem als »Leiter für strategische Innovation« im Axel-Springer-Verlag tätig. In mehreren Zeitungsartikeln, Interviews und auf Twitter setzte er sich seither für das Leistungsschutzrecht ein. Die Berliner Piratenpartei bemüht sich um Schadensbegrenzung, schließlich fordert sie dessen Abschaffung.
Das Leistungsschutzrecht entstand wesentlich auf Betreiben des Axel-Springer-Verlags. Es zwingt Dienste wie Google News seit August 2013, eine Vergütung zu zahlen, sobald sie Anlesertexte etwa von Zeitungsartikeln zitieren. Simon Weiß, medienpolitischer Sprecher der Piratenfraktion, stellt auf Nachfrage klar, dass die Fraktion das Leistungsschutzrecht ablehne, und bezeichnet es als »gefährlichen Unfug«. »Google hält sich ja an die Bestimmungen des Leistungsschutzrechts. Dieses ist aber so schlecht durchdacht, dass es den Verlagen gar nicht nutzen kann, egal was Google macht«, sagt Weiß der Jungle World. Er fügt an, dass das Leistungsschutzrecht Googles Monopolstellung sogar noch stärke, weil es anderen Suchdiensten und sogenannten Aggregatoren schade.

Tatsächlich hat Google einfach Verlage aus »Google News« ausgeschlossen, die auf eine Vergütung bestehen, und mit den übrigen eine Vereinbarung geschlossen. Das ist durchaus im Sinne der Verlage, die zwar kein Geld, dafür aber Verbreitung erhalten. Sogar die Bild-Zeitung des Axel-Springer-Verlags findet sich weiterhin auf Google News. Geschadet hat das Leistungsschutzrecht dafür etlichen ähnlichen Diensten wie Rivva, denen das Geld fehlt, um Verlage zu besänftigen. Branchenkundige beklagen zudem ein ungeheures Maß an Rechtsunsicherheit. Google hat hingegen Ende April mit acht europäischen Verlagen eine »Digital News Initiative« gegründet und stellt ihnen 150 Millionen Euro zur Verfügung, um »Innovation im Bereich Publishing« zu fördern. Geld fließt unter anderem an Zeit und Spiegel Online.
Dies kann man als eine Gefahr für unabhängigen Journalismus betrachten. Lauer nennt das Vorgehen »Industriespionage« und fordert Google auf, stattdessen lieber das Leistungsschutzrecht zu akzeptieren. Er twitterte: »Welch starke Emotionen es auslösen kann, wenn man internationale Konzerne zum Einhalten von geltenden Gesetzen auffordert.« Das klingt gerade so, als ob Google das nicht täte. Der Suchdienst tut es aber.
Auch Lauer hält die Gesetze ein. Formal ist nichts daran auszusetzen, dass er als Parlamentarier für den Axel-Springer-Verlag tätig ist. Das Berliner Abgeordnetenhaus ist ein Teilzeitparlament, die Abgeordneten bekommen eine Diät, die nur ungefähr halb so hoch ist wie in anderen Bundesländern, und gehen nebenher anderen Tätigkeiten nach. Das wird ein Problem, wenn sie von Arbeitgebern abhängig sind, und ist besonders unseriös, wenn sie plötzlich das Gegenteil dessen vertreten, was bisher ihre Meinung war. Noch 2012 rief Lauer auf Twitter zur Unterzeichnung einer Petition gegen das Leistungsschutzrecht auf. Was genau seinen Sinneswandel herbeigeführt hat, sagt er nicht. Selbst wenn Lauer sich bei einigen Abstimmungen künftig enthalten sollte, ist der Schaden für die Piratenpartei groß.

Entsprechend verärgert klingt der Blogpost, in dem der Berliner Landesvorstand die Fraktion zu einer Stellungnahme auffordert. Die antwortet – ebenfalls per Blogpost – unter der Überschrift: »Leistungsschutzrecht? Dagegen seit 2012!« Beide Texte erwähnen Christopher Lauer mit keiner Silbe. Über die Personalie wird öffentlich nicht geredet, wohl auch, weil die Piratenpartei Lauer nichts Substantielles vorwerfen kann. Penibel hält er sich an ihre Forderung nach Transparenz und macht sein Handeln öffentlich. Gemaßregelt werden kann er für seinen Einsatz für das Leistungsschutzrecht nicht, weil die Partei seit jeher den Fraktionszwang ablehnt und Abgeordneten eine abweichende Meinung zugesteht. Und so bleibt Lauer weiterhin parteiloses Mitglied der Piratenfraktion.