Nazis, Legida und Polizei

»Alexander K. ist Legida«

Daten aus dem gestohlenen Smartphone eines bekannten Nazis sorgen in Leipzig für Unruhe. Sie belegen dessen enge Verbindungen zu Legida – und zur Polizei.

Der 2. März war kein guter Tag für den bekannten Leipziger Nazi Alexander Kurth. Gleich zweimal wurde er am Rande einer Legida-Demonstration in Leipzig verprügelt: zuerst auf dem Hinweg und ein weiteres Mal nach Demonstration in der Kneipe seiner Frau. Beim zweiten Überfall stahlen ihm die Angreifer auch noch sein Smartphone. Mittlerweile wurden schon zweimal Daten aus dem Gerät auf der Internetplattform Indymedia veröffentlicht – und sie haben es in sich.

Kurth ist kein Unbekannter. Als ehemaliger NPD-Kader gehört er zu den führenden Neonazis in Leipzig und Umgebung, er hat bundesweit Kontakte und saß wegen diverser Gewaltdelikte im Gefängnis. Vergangenes Jahr musste die Stadtratswahl in Leipzig wiederholt werden, da Kurth wegen seiner Vorstrafen gar nicht für die NPD hätte kandidieren dürfen. Er verließ diese daraufhin und versucht nun, den Landesverband der neonazistischen Partei »Die Rechte« in Sachsen aufzubauen.
Aus den geleakten Daten seines Smartphones lässt sich Aufschlussreiches über Strukturen, Streitereien und Ansichten in der Naziszene erfahren – zuallererst aber, dass diese keinerlei Sicherheitsstandards in ihrer Kommunikation beachtet. Die Datensätze bestehen vor allem aus eingesprochenen Kurznachrichten, die über den Messenger-Dienst Whatsapp verschickt wurden. Es ging um Interna, Streitigkeiten und taktische Absprachen zwischen der NPD und »Die Rechte«, um den chronischen Mangel an fähigen Autoren sowie um Trennungen und Alkoholismus bei Kameraden und Kameradinnen. Vor allem aber wurde über die eigene Szene gelästert, in der das »Menschenmaterial« sehr zu wünschen übrig lasse beziehungsweise sich zu viele »Minusmenschen« bewegten. Die NPD sei eine »liberale Blockpartei« mit einem »widerlich-demokratischen« Vorstand, Patrick Wieschke von der NPD Thüringen ein »pädophiler Mutterschläger« und Jürgen Gansel von der NPD Sachsen ein »Untermensch«. Des Weiteren unterhielt sich Kurth über »Kanackenheime« und »Negerkinder«, verehrte Adolf Hitler und beklagte sich über das »Weltjudentum«. Hin und wieder verabschiedete man sich dann auch ganz traditionell mit »Heil Hitler«.
Interessant wird es vor allem mit Blick auf die rassistischen Montagsdemonstrationen von Legida und ihre engen Verbindungen zu organisierten Neonazis. Diese sind nun nachweisbar. In der Öffentlichkeit hielten sich Veranstalter und Nazis bedeckt und verzichteten nach Absprache aufs gegenseitige Grüßen. Intern informierte Kurth die Organisatoren vorab, wie viele Nazis aus anderen Städten anreisten, half mit Technik, Fahnen und Ordnerdiensten aus und beriet sie bei den Reden. So seien Aufrufe zum Lesen deutscher Literatur doch eher unsinnig bei einem Publikum, das zur Hälfte die Namen Goethe und Schiller nicht einmal fehlerfrei schreiben könne, kritisierte der belesene Nazi Kurth noch auf dem Rückweg von einer Legida-Demonstration die Organisatoren. Nicht ahnend, was noch kommen sollte, witzelte in einem protokollierten Chat ein befreundeter Neonazi, er sehe den Artikel mit der Schlagzeile schon vor seinem inneren Auge: »Alexander K. ist Legida«.

Es lassen sich weitere aufschlussreiche Informationen finden. Der Landesvorsitzende der NPD-Jugendorganisation, Paul Rzehaczek, kündigte in einem Gespräch an, am 1. Mai dezentral »bei linken Veranstaltungen« für »Furore« zu sorgen. Am 1. Mai kam es in Weimar zu einem Überfall von Nazis auf die DGB-Kundgebung. Ebenso liefern die Daten den Beweis, dass hinter der Leipziger Bürgerinitiative »Gohlis sagt nein«, die gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft ins Leben gerufen wurde, organisierte Nazis stecken. Kurth selbst betreut die Facebook-Seite.
Eine zweite Veröffentlichung auf Indymedia durch »161Boxing«, wie sich die derzeitigen Besitzer des Smartphones nennen, birgt indes noch mehr politische Sprengkraft. Aus ihr geht hervor, dass Kurth zu mindestens einem Beamten der Leipziger Polizei enge freundschaftliche Verbindungen pflegt, die auch auf geteilten politischen Überzeugungen beruhen. Fernando V., ein 28jähriger Bereitschaftspolizist, tauschte während Legida-Demonstrationen mit Kurth Auskünfte über Standorte aus und fragte nach Abschluss der Kundgebungen bei den Kameraden besorgt nach, ob sie alle »heile rausgekommen« seien. Als sich in der Silvesternacht während einer antifaschistischen Aktion Menschen vor Kurths Haus versammelten, rief dieser nicht die Polizei, sondern schrieb seinem Freund: »Vor meinem Haus sollen Zecken stehen. Habt ihr Einsatzkräfte in der Nähe?« Die Antwort: »Ich bin nicht im Einsatz, aber rufe jemanden an.«
Aus der veröffentlichten Kommunikation geht zudem hervor, dass der Beamte weitere bekannte Neonazis aus der Region persönlich kennt. Sein Whatsapp-Profil hat der Bereitschaftspolizist mit »Der Kampf der Kulturen beginnt« überschrieben. Allwöchentlich fieberte er bei dem Geschehen von Legida mit und schlug sogar selbst Redner vor.
Erstaunlicherweise bestätigte die Leipziger Polizei bereits kurz nach Veröffentlichung die Echtheit der Daten und schaltete das als Reaktion auf den NSU gegründete »Operative Abwehrzentrum« (OAZ) ein. Der Polizeibeamte Fernando V. hatte bereits im März öffentliche Aufmerksamkeit erhalten, damals jedoch aus einem ganz anderen und angesichts des neuen Skandals etwas absurd anmutenden Grund: In einem Porträt der Morgenpost Sachsen wurde der gebürtige Kolumbianer als einer von »Sachsens Multikulti-Polizisten« vorgestellt. Nun muss sich der Vorzeigepo­lizist wohl einem Disziplinarverfahren stellen. Zwei weitere Leipziger Polizeibeamte sind aufgrund der geleakten Daten von den Untersuchungen betroffen: Roger B. gratulierte beispielsweise seinem Neffen auf Facebook mit den Worten »Fein fein deutscher vater deutsches kind 88« zur Geburt seiner Tochter.

Linkspartei und Grüne fordern Aufklärung im Landtag, auch in der nächsten Sitzung des Innenausschusses soll der Skandal behandelt werden. Die veröffentlichten Interna dürften auch Konflikte in der neonazistischen Szene nach sich ziehen. Schließlich befinden sich nicht nur die Chats, sondern auch umfangreiche persönliche Daten Kurths wie Telefonnummern und Fotos von Bekannten und Kameraden in der Hand von »161Boxing«. Die Gruppe hat bereits weitere ­Veröffentlichungen angekündigt. Der Nachweis der bisher vehement bestrittenen Verbindung zwischen gewalttätigen Nazis und Legida dürfte zudem nicht nur die öffentliche Meinung über die Leipziger Wutbürger verändern, sondern auch Stadt und Polizei mehr Möglichkeiten geben, die Aufmärsche einzuschränken.
Die Frage ist, ob die Polizei daran überhaupt ein Interesse hat. Journalisten und Politiker hatten von Beginn an polizeiliche Gewalt gegen Gegendemonstranten sowie mangelndes Einschreiten bei Angriffen von Legida-Teilnehmern beklagt. Eine Erklärung für diese Untätigkeit könnte sein, dass Polizisten im Einsatz die Kritiker als »marodierende linke Gutmenschen« betrachtet haben. So beschrieb Fernando V. diese seinem Nazi­freund.