Turkmenistan wird neuer Energiepartner der EU

Deals mit dem Beschützer

Die Europäische Union intensiviert ihre Wirtschaftsbeziehungen zum gasreichen Turkmenistan. Für die Menschenrechtsverletzungen des totalitären Regimes von Diktator Gurbanguly Berdimuhamedow interessiert sie sich kaum.

Für Maroš Šefčovič war die Reise in die prunkvolle turkmenische Hauptstadt Aşgabat Anfang Mai ein weiterer Schritt auf dem angeblich alternativlosen Weg Europas zu mehr Unabhängigkeit von russischem Gas. »Für Turkmenistan ist es sehr wichtig, seine Exportoptionen zu diversifizieren, während es für Europa sehr wichtig ist, seine Importe zu diversifizieren«, beschrieb der EU-Energiekommissar die Interessen der EU und Turkmenistans. Ab 2019 sollen jährlich zehn bis 30 Millionen Kubikmeter Erdgas aus Turkmenistan nach Europa strömen. Bis dahin soll auch die Transkaspische Gaspipeline fertiggestellt sein, die 300 Kilometer lang am Grund des Kaspischen Meeres verlaufen und den Rohstoff über die Transitländer Aserbaidschan, Georgien und die Türkei transportieren soll. Beschlossen wurde bei dem Treffen aber nichts. Noch gibt es kein Konsortium, das für den Bau solch einer Pipeline Verantwortung übernehmen möchte.

Nicht erst seit der Ukraine-Krise strebt die EU danach, sich aus der Abhängigkeit von Erdgaslieferungen aus Russland zu lösen und über einen Südkorridor neue Handelspartner zu gewinnen. Derzeit stammt ein Drittel aller Gasimporte vom Monopolisten Gazprom. Eine Energiekooperation mit Turkmenistan wird bereits seit Ende der neunziger Jahre diskutiert, konnte aber wegen finanzieller, ökologischer und politischer Bedenken bislang nicht realisiert werden. Experten monieren, dass es wenig sinnvoll sei, zweistellige Milliardenbeträge in die unsichere und technisch komplexe Route zu investieren, anstatt den günstigeren Import von Flüssiggas zu fördern. Grüne Europaabgeordnete wie Annalena Baerbock und Oliver Krischer kritisieren, dass neue Gaspipelineprojekte »fossile Abhängigkeiten zementieren« und die EU auf ihrem verkündeten Weg dahin, die Nummer Eins der Welt auf dem Gebiet erneuerbarer Energien zu sein, zurückwerfen würden. Dennoch wird die EU-Kommission wohl noch in diesem Jahr das 2011 unterzeichnete »Memorandum of Understanding« erneuern, eine Absichtserklärung mit Turkmenistan und Aserbaidschan über die Transkaspische Gaspipeline.
Mit Turkmenistan nähert sich die EU einer der totalitärsten Diktaturen weltweit an. Der zentralasiatische Wüstenstaat verfügt über die viertgrößten Erdgasreserven der Welt, hat sich aber seit seiner Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 kaum der Außenwelt geöffnet. Die vom ersten Staatsoberhaupt Saparmurad Nijasow propagierte außenpolitische Neutralität isolierte das Land nicht nur international, sondern ebnete auch den Weg für ein repressives System, das selbst unter den Nachfolgestaaten der Sowjetunion seinesgleichen sucht. Oppositionelle wurden massenhaft inhaftiert, Bibliotheken außerhalb der Hauptstadt geschlossen, Ballettaufführungen sowie Opern verboten. Im Pressefreiheitsranking der Organisation »Reporter ohne Grenzen« belegt das Land seit jeher einen der letzten Plätze. Um sich schuf Nijasow einen grotesken Personenkult, der dem der nordkoreanischen Kim-Dynastie kaum nachstand. Nijasows offizieller Titel war Türkmenbaşy (»Vater der Turkmenen«), 1999 ließ er sich zum Präsidenten auf Lebenszeit erklären. Eine goldene Statue seiner selbst, die sich mit dem Gesicht zur Sonne dreht, wurde in Aş­ga­bat errichtet. Der mutmaßliche Analphabet Nijasow verfasste auch die Staatsbibel »Ruhnama«, eine Mischung aus turkmenischer Nationalmythologie und Verhaltensempfehlungen für den Alltag, aus der Schüler, Studierende, Beamte, Imame und Staatsmedien jeden Tag zitieren mussten.

2006 brachte Nijasows Tod den Zahnarzt und stellvertretenden Ministerpräsidenten Gurbanguly Berdimuhamedow an die Macht. Der neue Diktator schaffte einige der bizarrsten Gesetze seines Vorgängers wieder ab. Unter anderem wurden Kultureinrichtungen wieder eröffnet und das Bildungssystem reformiert. Der berüchtigte National­eid aus der Ruhnama, nach dem der Atem desjenigen anhalten solle, der das Land und den Präsidenten verunglimpfe, muss von den Bürgern seitdem nicht mehr mehrmals täglich, sondern nur noch »zu besonderen Anlässen« aufgesagt werden. Das Konterfei Nijasows verschwand nach und nach aus der Öffentlichkeit und wurde durch das Berdimuhamedows ersetzt, der sich von seinen Untertanen bevorzugt Arkadag (»der Beschützer«) titulieren lässt. Zwar amnestierte Berdi­muhamedow nach einem Treffen mit dem österreichischen Bundespräsidenten Heinz Fischer Anfang Mai 1 200 Häftlinge und kündigte an, öffentliche Kundgebungen zuzulassen. Zudem werden der Bevölkerung bestimmte Mengen an Wasser, Gas, Elektrizität und Salz weiterhin kostenfrei zur Verfügung gestellt. Dennoch kann die Lage für die meisten Turkmeninnen und Turkmenen noch immer als katastrophal bezeichnet werden. Den letzten inoffiziellen Schätzungen des CIA World Factbook von 2004 zufolge beträgt die Arbeitslosigkeit 60 Prozent. Für die Baumwollernte werden jährlich Zehntausende Staatsbedienstete und Schulkinder zur Zwangsarbeit einberufen, wie der turkmenische Dienst von Radio Free Europe berichtete.

Reformfreudig zeigt sich Präsident Berdimuhame­dow allenfalls in der Außenpolitik. Der radikale Isolationismus wich einer sanften Annäherung an den Westen, wie sie sich in der Energiepartnerschaft mit Europa niederschlägt. Viele Freunde hat Turkmenistan auch in Deutschland. Bereits 2003 finanzierten Siemens, Daimler-Chrysler und Zeppelin Baumaschinen im Gegenzug für lukrative Aufträge im Land die deutsche Übersetzung der Ruhnama. Die Deutsche Bank war eines der Institute, die im Ausland 2,3 Milliarden Euro turkmenischer Staatsfinanzen verwaltete, die Nijasow zu seinem Privatvermögen erklärt hatte.
Das Deutsch-Turkmenische Forum mit Sitz in Berlin ist die wohl wichtigste Organisation, die deutsche Interessen im zentralasiatischen Land bündelt. Im Vorstand des Vereins sitzen unter anderem Per Fischer (Commerzbank AG), Peter Tils (Deutsche Bank AG) und Philipp Mißfelder, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. »Das Ziel des Vereins ist die Förderung des Völkerverständigungsgedankens durch persönliche Begegnungen zwischen Deutschen und Turkmenen in den Feldern Gesellschaft, Kultur oder Wissenschaft«, sagte Heinrich Schulz, Geschäftsführer des Forums, der Jungle World. »Dies schließt auch die Frage der Menschenrechte mit ein.«
Als Vertreterin des auf Kommunikations- und Sicherheitstechnik spezialisierten Münchner Unternehmens Rohde & Schwarz sitzt auch Viktoria Gerassimova im Vorstand des Deutsch-Turkmenischen Forums. Rohde & Schwarz übernahm einem Bericht des Spiegel zufolge nach dem Ende der DDR Kryptologen der Stasi als Mitarbeiter und entwickelt unter anderem Methoden der Funkortung. Seit 1995 entstanden etwa zwei Modelle des ISMI-Catchers, eines Geräts, mit dem Handybesitzer lokalisiert und unbemerkt abgehört werden können. Rohde & Schwarz beliefert mit seinen Produkten neben der Bundeswehr und anderen staatlichen Institutionen auch die Diktatur in Turkmenistan. 2013 schloss die Firma nach Angaben der Bundesregierung Aufträge im Wert von 38,5 Millionen Euro mit dem Regime Berdimuhamedows ab, unter anderem ging es um »Ausrüstung für Gegenmaßnahmen und elektronische Schutzmaßnahmen«. Heinrich Schulz sagt dazu: »Das Forum hat weder die Aufgabe noch die Möglichkeit zu prüfen, welche Geschäfte die Firma Rohde & Schwarz in Turkmenistan macht oder zu welchem Zweck etwaige gelieferte Produkte eingesetzt werden. Gäbe es in diesem Zusammenhang Gründe zur Beanstandung, wären die zuständigen Stellen in Deutschland sicherlich bereits tätig geworden.«