Die Ausstellung der Transgender-Künstlerin Greer Lankton

Sexy Greisinnen, die nicht essen wollen, warten glücklich auf den Tod

Die Berliner Galerie Between Bridges zeigt die erste europäische Einzelausstellung der 1996 verstorbenen Transgender-Künstlerin Greer Lankton.

Eine der bekanntesten Puppen der Kunstgeschichte fand kein schönes Ende. »Die stille Frau«, die sich Oskar Kokoschka als lebensgroßes Abbild seiner ehemaligen Geliebten Alma Mahler 1918 von der Puppenmacherin Hermine Moos schaffen ließ, konnte trotz ihrer realistischen Körpermaße die Sehnsucht des Malers nicht stillen. Nachdem er sie »hundertmal gezeichnet und gemalt hatte«, fasst er einen Entschluss. »Ich machte also ein großes Champagner-Fest mit Kammermusik, während dessen mein Kammermädchen Hulda die Puppe mit all ihren schönen Kleidern zum letzten Mal vorführte. Als der Morgen graute – ich war wie alle anderen sehr betrunken –, habe ich im Garten der Puppe den Kopf abgehackt und eine Flasche Rotwein darüber zerschlagen«, erinnert er sich in seinen Memoiren.
Die – fast immer weibliche – Puppe als Menschenersatz beziehungsweise als Darstellerin desselben weckt patriarchale Phantasien von Kindlichkeit und sexueller Verfügbarkeit, denen immer auch das Potential von Störung innewohnt. Die Puppe ist zwar immer greifbar, aber nie wirklich da, und mit ihrer kalten Passivität und der Ungerührtheit entzieht sie sich dem Zugriff. Für die Kunsthistorikerin Sigrid Schade ist die Puppe »eine Androide, die durch Liebe oder Projektion zum Leben erweckt werden kann« – wie in der mythologische Erzählung von Pygmalion und seiner Skulptur. Die Puppe löst nicht nur das Hochgefühl schöpferischer Allmachtsvisionen aus, sondern oftmals auch tiefe Enttäuschung. »Sie steht somit in der Tradition der künstlichen Frau, die letztlich eine Geschichte der Frage nach der Täuschung ist«.
Während das Puppenmotiv im Surrealismus für sexualisierte Zerstückelungsängste gestanden habe und bereits in E.T.A. Hoffmanns Erzählung »Der Sandmann«, in der sich der narzisstische Nathanael in die automatisierte Holzpuppe Olimpia verliebt, die Furcht des 19. Jahrhunderts vor einer seelenlosen Automatengesellschaft symbolisiert habe, sei ab den siebziger Jahren eine neuerliche künstlerische Hinwendung zur Puppe zu beobachten, so Schade.
Künstler und Künstlerinnen wie Cindy Sherman, Tony Oursler, Mike Kelley oder Kiki Smith benutzten die leblosen Körper, um die Krise des Subjekts, mediatisierte Wahrnehmungen von Leiblichkeit, Technophantasien oder feministische Kritiken an Körperfragmentierungen und Pornographisierungen darzustellen. Im Zeitalter von hyperrealistischen »Real Dolls«, die als synthetische Sexpartnerinnen angeboten werden, inszeniert Amber Hawk Swanson die eigene Hochzeit mit der nach ihrem Abbild geschaffenen Zwillings-Sexpuppe, und Suzanne Heintz stellt gleich ein ganzes fiktives Familienleben mit ihren pseudoperfekten Schaufensterpuppen nach.
Die Kunst ist fasziniert von der Puppe, die immer auch ein wohliges Gruseln am »unechten Leben« auszulösen vermag. Beschäftigen sich Künstlerinnen mit der Puppe, wird das allerdings schnell mit bürgerlich-spießiger Handarbeit und Bastelei assoziert. So berichtet die Protagonistin von Siri Hustvedts aktuellem Roman »Die gleißende Welt«, erfolglose Künstlerin und Witwe eines erfolgreichen Galeristen, davon, mit welcher Herablassung ihr in der New Yorker Kunstwelt begegnet wurde, weil sie mit Puppen arbeitet.
Greer Lankton, Szene-Ikone des East Village der achtziger Jahre, die vor allem durch ihre grotesken Puppenkreationen bekannt wurde, bekommt erst jetzt – fast 20 Jahre nach ihrem Tod – ihre erste Einzelausstellung in Europa. In der Galerie Between Bridges, dem kleinen, nicht-kommerziellen Kunstraum im Berliner Niemandsland zwischen Bahnhof Zoo und Schöneberg, den der Fotograf Wolfgang Tillmans geschaffen hat, empfängt eine verkniffene, spindeldürre »Jackie O« im rosa Chanel-Ensemble das Publikum im ersten Raum. Neben ihr in der Glasvitrine sitzen ebenfalls extrem magere Figuren. »Stacy the Model« ist splitternackt, »Peggy (Moffitt)« trägt den hautengen schwarzen Existentialistendress. Die Puppen, die etwa einen Meter groß sind und von Lankton in einem aufwendigen Verfahren aus so verschiedenen Materialien wie Kleiderbügeln, Strumpfhosen, Farbe, Glasaugen und echtem Haar kons­truiert wurden, sind mit ihrer ambivalenten Geschlechtlichkeit immer auch ein Spiegelbild der Künstlerin selbst. Greer, die 1958 in Flint, Michigan, als Greg Robert zur Welt gekommen war und sich mit 21 Jahren einer ge­schlechts­an­gleichenden Operation unterzog, hatte schon als feminines Kind mit zehn Jahren angefangen, Puppen zu basteln. Beim Eintritt in die Art School vertiefte sie dieses Interesse und fertigte Figuren, die mit der ihnen eigenen Versehrtheit an die Puppen des deutschen Surrealisten Hans Bellmer erinnern. Dabei repräsentieren sie nie gefällige Proportionen, sondern in all ihrem Glamour immer Extreme. Die Wesen sind extrem dünn, extrem fett, blutig, zerfetzt und wie vom Aids-Tod angeknabbert, es sind sexy Greisinnen oder unheimliche Kinder. »Schönheit« interessierte die Undergroundkünstlerin, die immer wieder von Nan Goldin, Peter Hujar oder David Wojnarowicz fotografiert wurde, nicht. In einem Interview mit der Zeitschrift I-D gab sie zu Protokoll, dass all ihre Puppen durch ganz alltäglich-menschliche Probleme gezeichnet seien: »Essstörungen, Depression, sie finden keine Jobs, ihre Wohnung ist zu klein. Sie haben auch schlechte Angewohnheiten. Ich meine, manche von ihnen essen zu viel, manche essen gar nicht. Sie gehen zu spät ins Bett, rauchen zu viel.« Ihre geschmackvollste Puppe möge sie überhaupt nicht, denn wie im wahren Leben seien die Bestaussehenden oft die Fadesten: »Die Hübschesten sind nicht sehr interessant.«
In den Ausstellungsräumen der Galerie Between Bridges begegnen einem eine peitschenschwingende Divine, die fast aus ihrem Bikini platzt, an den Hüften zusammengewachsene Zwillinge im Bauchtanz-Outfit, ein übergroßer »Albino Hermaphrodite« mit halb erigiertem Penis im Kinderwagen und eine nackte, ausgemergelte ältere Dame mit Glatzkopf und angedeutetem Stinkefinger. Doch es sind nicht nur Greers Puppen zu sehen, die sie zu Lebzeiten im Schaufenster der von ihrem Ehemann betriebenen »Boutique Einstein’s« ausstellte und von denen es eine – die Puppe der Modepäpstin Diana Vreeland – sogar bis in die Auslage des Luxuskaufhauses Barney’s schaffte. Auch Polaroids von Puppen, biographische Dokumente und Zeichnungen werden gezeigt. In diesen Wasserfarbenbildern notiert Lankton mit großer Akribie in Wort und Bild ihren »Operation Day«. Sie erinnert sich an eine »new fullness between her legs« direkt nach dem Aufwachen aus der Narkose und malt einen dünnen Schlauch, der aus ihrer neu geschaffenen, noch blutenden Vagina ragt. Auch in Herstory, einem in einer Vitrine ausgelegten Fanzine, rekonstruiert Lankton in so expliziten wie poetischen bunten Zeichnungen unerschrocken die Operation. In ihrer Beschäftigung mit Körperbildern, Gender, Sexualität und (Geschlechter-)Performance nimmt sie einerseits Themen der feministischen Avantgarde der siebziger Jahre auf, andererseits antizipierte sie, deren Lieblingsmodell die Transfrau Candy Darling war, bereits Perspektiven von Queerness und Transgender, die erst Jahre später in die Kunstproduktion drängen sollten.
Dass Lankton, die von Nan Goldin als eine Pionierin im Verwischen der Grenzen zwischen folk art und fine art gefeiert wurde, also als Mittlerin zwischen Kunsthandwerk und Bildender Kunst, ihre eigenen Erfolge nicht mehr zu Lebzeiten auskosten konnte, passt ins Bild der Prophetin, die jetzt erst »nach Hause kommt«, wie die New York Times anlässlich ihrer Retro­spektive in New York im vergangenen Jahr schrieb. 1995 stellte sie auf der Whitney Biennale sowie der Venedig Biennale aus und bereitete eine riesige Installation in der Mattress Factory in Pittsburgh vor. 1996 wählte Nan Goldin ein Porträt von Greer als Motiv für das Veranstaltungsplaktat ihrer erste Solo-Show am Whitney Museum in New York. Während Lanktons Gesicht in der ganzen Stadt plakatiert war, starb die Künstlerin in Chicago an einer Überdosis Drogen, abgemagert auf 40 Kilo. Die Ausstellung in Berlin zeigt ein Foto von 1984, in dem die Künstlerin nackt in der Badewanne sitzt, umringt von ihren dürren, blutenden, verzerrt blickenden und teils kahlköpfigen Puppen, die alle vom Tod gezeichnet scheinen. Greer Lankton lacht schelmisch und wirkt glücklich wie nie.

Greer Lankton. Galerie Between Bridges, Berlin. Bis 20. Juni