Wertvolles Argument

Jetzt sind sie noch kleine Schüler, aber eines Tages sollen mündige Bürger einer aufgeklärten Demokratie aus ihnen werden und dafür, so hat die ­Regierung beschlossen, müssen sie das Argumentieren erlernen. Also bringen wir es ihnen in der Schule bei, von oben und unten, von vorne und von hinten, immer wieder, in allen möglichen Fächern, vor allem aber in Deutsch. Dabei raufen wir uns häufig und mit Hingabe die Haare, weil es ihnen so arg schwerfällt, das Argumentieren, und sie ihre Meinung nicht oder nicht überzeugend vertreten können, oft auch deswegen, weil sie keine haben.
Das sei nicht so schlimm, versichern wir ihnen, sie könnten ja auch die Argumente abwägen und am Ende unentschieden sein sagen’s und verteilen flink hilfreiche Zettel mit einer Art Strickmuster für argumentative Texte – ein Argument dafür, eines dagegen und immer mit einem Beispiel illustrieren – sowie den notwendigen sprachlichen Mitteln, also etwa: Ich sehe auf beiden Seiten wichtige Argumente und Abschließend lässt sich die Frage meiner Meinung nach nicht klären.
Als Nächstes sitzen wir dann wieder herum und raufen uns die armen Haare, während wir die Ergebnisse unseres Unterrichtes studieren: »Heute wird wieder über Schuluniformen kontrovers diskutiert. Daher taucht häufig die Frage auf, ob wir Schuluniformen tragen sollten. Einer der wichtigsten Gründe, der für Schuluniformen spricht, ist, dass wir vielleicht Schuluniformen tragen sollten. Zum Beispiel in England werden Schuluniformen getragen. Die Gegner dieser Ansicht betonen, dass Schuluniformen nicht getragen werden sollten. Der wichtigste Einwand bezieht sich darauf, dass ich keine Schuluniform tragen will. Beispielsweise will Aylin auch keine tragen. Dagegen lässt sich vorbringen, dass die Schuluniformen für die Jungs besser aussehen. Andererseits die für die Mädchen nicht. Ich sehe auf beiden Seiten wichtige Argumente. Abschließend lässt sich die Frage meiner Meinung nach nicht klären.«
Gut, das Thema war ja auch blöd, wir suchen bessere Themen: späterer Schulanfang nach wichtigen Fußballturnieren, Mitbestimmungsrecht bei der Auswahl des Essensersatzes, der statt richtigen Essens in der Mensa serviert wird, oder halt der Klassiker, Abschaffung der Hausaufgaben. Und gleich werden sie aufgeregt und melden sich und fragen, ob dann, wenn sie jetzt genug gute Argumente dafür finden, die Schule später anfangen und das schlechte Essen in der Mensa besser werde und sie nie wieder Hausaufgaben machen müssten. Und wir lachen und finden sie putzig und sagen ihnen, sie sollen jetzt mit dem Blödsinn aufhören und anfangen zu schreiben, und das machen sie dann auch und haben schon wieder was gelernt, was richtig Wichtiges, vielleicht sogar das Allerwichtigste, das man als Bürger dieser aufgeklärten Demokratie gelernt haben sollte.