Netzfeminismus ist ein Pulverfass

Shitstorm Politics

Wie junge Frauen, die den Feminismus verteidigen oder eben auch nicht, durch das Netz gejagt werden.

Wir leben in sonderbaren Zeiten. So sonderbar, dass wir bei nahezu all den Begriffen, die wir kennen, ein »Netz« oder »digital« vorn oder ein »2.0« hinten anfügen: Netzpolitik, Digitalwirtschaft, Stadt 2.0. So verwundert es nicht, dass es auch das Wort »Netzfeminismus« gibt. Das ist ein Begriff, der irgendwann in den Anfängen von Twitter Leben eingehaucht bekam. Nur einige Jahre später ist der Netzfeminismus zum neuen Feindbild für bürgerliche Medien, sonstige Konservative, Rechte und Alice Schwarzer geworden. Aber von vorne.
Das Internet ist ein Ort, an dem Menschen in Austausch treten, Ansichten erklären, Gefühle offenbaren, miteinander streiten und sich verlieben. Gerade auf Twitter finden erhitzte Auseinandersetzungen statt, bei denen ein Satz, ja sogar ein simples Emoticon Wellen schlagen kann. Vor allem Rührung und Empörung sind auf dem Kurznachrichtendienst erfolgreich, was nichts anderes heißt als: Sie bekommen viel Aufmerksamkeit. Wie in der Offline-Welt geht es also auch bei Twitter schlicht darum, wem mehr Menschen folgen, wer beliebter und erfolgreicher ist, den höchsten Status hat, wer mit Aufmerksamkeit Geld verdient. Twitter ist aber auch eine Plattform, auf der politisch gestritten wird. Es hat etwas von einem Marktplatz, auf dem alle parallel reden und gehört werden können.
So ist es auch beim Thema Feminismus. Junge Frauen treffen dort auf erfahrene Feministinnen, sie werden selbst zu Feministinnen, erkennen, dass Frauen immer noch und gerade online anders behandelt werden. Denn mit dem Internet kamen auch die Shitstorms, Fluten negativer Nachrichten, die tagelang auf allen Kommunikationskanälen verbreitet werden. In nur wenigen Stunden können ein paar witzig gemeinte, unbedachte Zeichen eine veritable Höllenfahrt für die Verfasserin oder den Verfasser auslösen.
Dass Shitstorms Frauen ganz anders als Männer treffen, hat einige Frauen, die sich schon in der Illusion eingerichtet hatten, Geschlecht sei keine gesellschaftlich wirkmächtige Kategorie mehr, zum Feminismus gebracht: Lernen durch Schmerz. Bezeichnend für diese Entwicklung und für den neuen sogenannten Netzfeminismus war im Jahr 2013 das Hashtag #Aufschrei – unter dem sich seitdem Zehntausende von geteilten Erfahrungen mit Sexismus und sexualisierter Gewalt sammelten. Mit einem Schlag entbrannte eine Debatte: Brauchen wir den Feminismus noch? Während die etablierte Öffentlichkeit diese Frage eher verneinend beantwortete, wurden die Stimmen aus dem Netz immer lauter: »Doch! Wir brauchen Feminismus!«
Die Stimmen, die das forderten, vernetzen sich und diskutieren, organisieren Veranstaltungen, empören sich über Diskriminierung, kritisieren etablierte Medien und, nun ja, die gesellschaftliche Gesamtblödheit. Netzfeminismus ist, so gesehen, ein Sammelbegriff für die deutschsprachige Vernetzung von Feministinnen in den sozialen Medien. Aber weshalb und, vor allem, von wem werden sie angefeindet, mal abgesehen davon, dass Feminismus und die Selbstbezeichnung »Feministin« schon immer für eine gewisse Empörung und Angriffe gesorgt haben?
Da wären zum einen die Antifeministen, die sich im Netz organisieren, um gegen die Netzfeministinnen zu kämpfen. Denn diese, so der Eindruck, den Antifeministen mitunter vermitteln, sind wie Hitler und Stalin zusammen und nochmal doppelt so schlimm. Vorhut dieses heroischen Widerstandes ist der FAZ-Vorzeigeblogger Don Alphonso. Regelmäßig schreibt er über die schrecklichen Untaten junger Frauen. Wie bei der Zeichentrickfigur Cartman aus der Serie »South Park«, der bräsig und selbstgefällig durch die Gegend rennt und Menschen demütigt, wo er nur kann, rantet der FAZ-Blogger immer mal wieder gegen junge Frauen, die nicht das tun, was er gerne hätte, etwa wenn er über die »Aufschrei-Aufschreierinnen« schreibt, die, »wenn sie nicht gerade wieder einen Hangover haben, weil keine von ihnen seit zwei Wochen bei Lanz war (...), der Piratenpartei schnell die nächste Sexismusdebatte« aufdrücken. Seine Stammleserschaft ist mittlerweile recht klein, was daran liegen könnte, dass kaum noch jemand nachvollziehen kann, was eigentlich sein Anliegen ist. Aber diese Leserschaft hat es in sich und ist stets auf dem Kreuzzug gegen das eigenwillige Weibsvolk, das sich einfach nicht so verhalten will, wie es soll. Da ist beispielsweise das Blog »Maennerstreik«, welches Männer dazu auffordert, »gegen feministische Hetze« zu streiken, und ihnen etwa rät, sich »bestmöglich vor den Raubrittern und Blutsaugern in Frauengestalt«, auch »Bildungsnutten« genannt, zu schützen. Auch ist »Maennerstreik« der Meinung, dass die »Antideutschen« hinter dem ganzen »Genderismus« und den »Feminazis« steckten. Ein Streik solcher Männer gegen Frauen wäre schwer zu begrüßen, nur sie tun es einfach nicht. Zur Leserschaft von Don Alphonso gehören auch »germanophile Freiheitsfetischisten für die neodeutsche Kulturwende« und ein eifriger Typ, der sich selbst »Cockspitzenberster« nennt.

Es hat schon etwas Bizarres: Junge Frauen schreiben auf Twitter über internationale Politik, Nagellack, Weltraumaufzüge oder eine sexistische Frage im Bewerbungsgespräch. Sie tun das verletzlich, traurig, genervt, empört, zynisch, witzig, glücklich – sie zeigen viele Facetten ihrer Persönlichkeit und werden dafür regelrecht gejagt. Dass das nicht spurlos an ihnen vorbeigeht, verwundert kaum. Die patriarchale Peitsche zeigt eben immer noch Wirkung.
Abgesehen von den reaktionäre Netzbürgermännern ist Netzfeminismus ein verkürzter Begriff für eine gesellschaftliche Entwicklung, die das Netz insgesamt vorangetrieben hat – linke Themen spielen wieder eine Rolle. Auch die netzfeministischen Debatten sind altbekannte. Es gibt Frauen, denen es reicht, wenn Hillary Clinton Präsidentin wird und die je eigene Karriere sexismusfrei verläuft. Dann gibt es Frauen, die aus einer linken Perspektive Machtverhältnisse analysieren und hochakademische Begriffe benutzen, die selbst mit sozialwissenschaftlichem Studium schwierig zu verstehen sind. Dazu gesellen sich Frauen, die unaufhörlich auf innerfeministischen Rassismus, Cis- und Heteroseximus hinweisen und diesen mit teils guten, teils bizarren Argumenten anprangern. Unter den Begriffen »Swerf« (sexworker exclusive radical feminism) und »Terf« (transwomen exclusive radical feminism) werden innerfeministische Streitigkeiten um Prostitution und Trans-Identitäten verhandelt. Auch Nacktprotest, eine der erfolgreichsten feministischen Aktionsformen in den vergangenen Jahren, wird kontrovers diskutiert und teilweise heftig bekämpft. Und zu guter Letzt wird auch der Feminismus einer Alice Schwarzer hinterfragt. Was wiederum dazu führt, dass Schwarzer »die Berliner Bloggerinnenszene« unter dem »Diktat von Sektiererinnen« verloren sieht.

Eigentlich jedoch ist es schön zu sehen, wie eine neue Generation über die Stellung und das Verhältnis der Geschlechter streitet. Dass es dabei auch um Erfolg, um Beliebtheit, Angepasstheit und Macht geht, dürfte nicht verwundern. Wer schreibt wann für welche Zeitung? Wer bekommt wann welchen Auftritt? Wer kann damit Geld verdienen, wer nicht? Feminismus in Zeiten des Kapitalismus war immer schon schwer, Feminismus in Zeiten der spätkapitalistischen, postpostmodernen westlichen Demokratie ist eine wilde Mischung aus Sachzwängen, Egozentrik, Missgunst, Buchverträgen, Beliebheitsranking und Kampf um das Bestehende. Gemeinsam aber haben diese Frauen, die unter dem Label Netzfeminismus vereint werden, eines: Sie fordern die versprochene Gleichberechtigung gnadenlos ein und – profan gesprochen – tun einfach, was sie wollen. Und das eben öffentlich, nachvollziehbar, textualisiert. Ein Pulverfass, das neuerdings auch die Feuilletons beschäftigt.
Dabei verhält es sich mit dem Label Netzfeminismus ein wenig wie mit dem Label »anti­deutsch«: Eigentlich wissen nur noch wenige, woher das kommt was es soll und letztlich wird es nur noch als despektierliche Fremdzuschreibung benutzt. Und so wird aus einem bissigen Tweet einer ARD-Redakteurin, die sarkastisch darauf hinwies, dass ein Text der für den Bachmann-Preis nominierten Autorin Ronja von Rönne von der Frauenorganisation der NPD, dem »Ring Nationaler Frauen«, geliket wurde, zur »Hetzjagd einer Netzfeministin«. Das Pulverfass hat wieder einen Funken gefangen.
Wie beliebig der Begriff »Netzfeminismus« mittlerweile ist, zeigt sich daran, dass Katrin Rönicke, die einmal die Domain netzfeminismus.org registrieren ließ, heute für die FAZ ein Blog schreibt. Unsere Zeiten sind tatsächlich sonderbar.