Die umstrittene Austeritätspolitik

Sparen oder gehen

Die Festlegung auf eine wirtschaftsliberale Austeritätspolitik spaltet die EU.

Recht häufig ist derzeit von Enteignung die Rede. Die niedrigen Zinsen werden als Enteignung der Sparer bezeichnet, neue Gesetze können eine Enteignung von Unternehmern darstellen, deren Profiterwartungen enttäuscht werden. Wer hingegen Beiträge für die Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung zahlt, muss damit rechnen, dass die vertraglich vereinbarten Leistungen reduziert oder gestrichen werden. Das gilt nicht als Enteignung, sondern als alternativlos.
Die Autoren des EU-Vertrags wussten, was sie taten, als sie die »unternehmerische Freiheit« zum Grundrecht erhoben, eine proletarische Freiheit aber nicht erwähnten. Die Mitgliedsstaaten verpflichteten sich auf den »Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb« und entsprechende Regeln. Dass damit der Wirtschaftsliberalismus festgeschrieben sei, wurde bestritten, und tatsächlich schien es immerhin noch möglich, soziale Verbesserungen durchzusetzen oder zumindest den Sozialabbau zu mildern. Bis es jemand versucht hat.
Von der griechischen Regierung werden nun die bedingungslose Kapitulation und die Bereitschaft zu einer immer weiter gehenden Enteignung der Lohnabhängigen verlangt. Die Behauptung, bei Befolgung der Austeritätsregeln werde es den Griechen bald wieder besser gehen, ist pure Wirtschaftsesoterik. Die bislang anpassungsbereiten Iren jedenfalls haben davon noch nichts bemerkt. Nach offiziellen Angaben lebte 2013 ein Drittel der Bevölkerung in »erzwungener Deprivation«, 2008 waren es noch 13 Prozent. Aber die EU fordert weitere »Strukturreformen«, ein Druck, dem sich Irland erst entziehen kann, wenn in einigen Jahrzehnten 75 Prozent der Kredite des »Rettungsprogramms« zurückgezahlt worden sind. Wenn Griechenland nun eine andere Politik gestattet würde, müsste sich die irische Regierung unbequemen Fragen stellen. Regierungen, die eine Austeritätspolitik durchgesetzt haben, unterstützen daher die kompromisslose deutsche Haltung.
Das völlige Versagen der traditionellen Sozialdemokratie hat zum Erstarken bestehender (Syriza) und zur Entstehung neuer Parteien (Podemos) geführt. Die Frage ist nicht, warum solche Parteien Erfolg haben, sondern warum dies nicht überall der Fall ist und warum es so selten zu Streiks und Protesten kommt, die mehr als symbolischen Charakter haben. Die soziale Krise in Europa ist nicht zuletzt die Folge des mangelnden Klassenbewusstseins der Lohnabhängigen, die zuletzt in Großbritannien eine konservative Regierung wählten, die mit ihren Austeritätsplänen warb. Nicht einmal in Griechenland gab es bei den Wahlen eine linke Mehrheit gegen die Sparpolitik.
Derzeit gibt es wenig Anlass, auf einen schnellen Aufschwung sozialer Kämpfe zu hoffen. Doch eine Konsolidierung des Austeritätsregimes auf europäischer Ebene ist schon aus wirtschaftlichen Gründen ausgeschlossen, denn langfristig werden aus sozialen Problemen wie der immensen Jugendarbeitslosigkeit in vielen Staaten ökonomische Probleme im globalen Wettbewerb. Eine Abkehr von der Austeritätspolitik wird nach der zu erwartenden Niederlage von Syriza noch unwahrscheinlicher. Die Bevölkerung im nationalstaatlichen Rahmen für die kapitalistische Verwertung in globaler Konkurrenz zu drillen, wird die Lebensverhältnisse nicht verbessern. Dass eine sozialdemokratische Politik in der EU auf institutionellem Weg nicht mehr durchsetzbar ist, stärkt jedoch die extreme Rechte und die nationalpopulistische Linke.