Übergriffe bei der Kiew Pride

Stolz und Vorurteil

In der Ukraine fand dieses Jahr zum zweiten Mal der Kiew Pride statt. Über 2 000 Polizisten mussten die Demonstrierenden vor Angriffen schützen.

Bis zum letzten Moment hatten Polizei und Behörden den Veranstaltern davon abgeraten, doch der »Marsch für Gleichheit« konnte schließlich am 6. Juni stattfinden. Unter dem Motto »Menschenrechte immer und für alle« bildete er den Abschluss der Kiew-Pride-Woche, deren übrige Veranstaltungen nicht öffentlich waren.
Zuvor hatte die Ankündigung des Kiew Pride bereits für große Aufregung in der Ukraine gesorgt und Themen wie die größte Offensive der ostukrainischen Separatisten seit der Einnahme von Debalzewo fast in den Hintergrund gedrängt. Der Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko, hatte empfohlen, auf den Marsch zu verzichten, da, »während der Krieg im Osten tobt, die Durchführung von Massenaktionen, die auch von der ­Gesellschaft als problematisch wahrgenommen werden, nicht an der Zeit ist«. Es war wohl der Druck westeuropäischer Vertreter in Kiew, die an den Verhandlungen mit Polizei und Stadtverwaltung teilnahmen, der vor allem letztere davon überzeugte, die Demonstration zu genehmigen.

Während die rechtsextreme Szene in Kiew zu einer gewaltsamen Unterbindung der Veranstaltung aufrief, versprachen einige Abgeordnete des ukrainischen Parlaments sowie Botschafter westeuropäischer, überwiegend skandinavischer Staaten, am Marsch teilzunehmen. Unter diesen Bedingungen konnte die Frage der Sicherheit der Versammlung von den zuständigen Behörden nicht mehr ignoriert werden. Das entscheidende Wort war wohl das des Präsidenten Petro Poroschenko, der meinte, obwohl er selbst nicht am Marsch teilnehmen wolle, sehe er keinen Grund für dessen Behinderung.
Die Rechtsextremen hatten offensichtlich ihre eigenen Quellen in der Stadtverwaltung, da ihnen die bei den Verhandlungen vorgeschlagenen Orte für die Versammlung sofort bekannt waren. Der tatsächliche Veranstaltungsort wurde geheim gehalten und erst am Vortag gegen 14 Uhr von der Stadtverwaltung genehmigt. Etwa zwei Stunden vor Beginn des Marsches am 6. Juni erfuhren die Veranstalter aus zwei unabhängigen Quellen, dass rechtsextreme Schläger über die Route Bescheid wüssten. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Pride wurden, nach einem komplizierten Anmeldeverfahren, erst anderthalb Stunden vor Beginn über den Veranstaltungsort per SMS informiert. Der Marsch mit 200 bis 300 Demonstrierenden dauerte nur etwa eine halbe Stunde.

Obwohl Homosexualität seit der ukrainischen Unabhängigkeit nicht mehr unter Strafe steht, ist Homophobie in der ukrainischen Gesellschaft weit verbreitet. Trotz aller Veränderungen, die die ukrainische Rechte seit den frühen neunziger Jahren durchlaufen hat, scheint der Hass auf Homosexuelle unabänderlich zu bleiben. »Wir werden alles Mögliche tun, um diesen sodomitischen Sabbath in Kiew zu unterbinden«, hieß es etwa in einer Pressemitteilung des Rechten Sektors. Hunderte gewaltbereite Rechtsextreme waren vor Beginn des Pride an Ort und Stelle. Nur weil der Marsch von über 2 000 Polizisten beschützt wurde, kam es zu keinen größeren Angriffen. Eine Gruppe Rechtsextremer schaffte es jedoch, Rauch- und Knallkörper in Richtung des Demonstrationszugs zu werfen, wobei ein Polizist verletzt wurde. Doch zum Zug kamen sie nicht durch und wurden sofort verhaftet.
Schwieriger war es für die Demonstrierenden, nach dem Ende des Marsches nach Hause zu kommen. Das Unternehmen, bei dem ein Bus für ihren sicheren Transport gemietet worden war, sagte im letzten Moment ab. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mussten den Ort in Gruppen verlassen, wobei einige von Rechtsextremen gejagt wurden, mindestens zehn Personen erlitten Verletzungen. Die Rechtsextremen wurden von der Polizei verfolgt, mindestens neun Polizisten und mehrere Homophobe wurden verletzt, über 30 von ihnen wurden verhaftet.
Trotzdem kann es als Erfolg gewertet werden, dass der Pride dieses Jahr überhaupt stattfinden konnte. Voriges Jahr musste er wegen Sicherheitsbedenken abgesagt werden.