Die Homo-Ehe wird kommen, die Debatte über die Ehe wird weitergehen

Das E-Wort

Die gleichgeschlechtliche Ehe kommt ­früher oder später. Die Ehe mit dem Goldhamster nicht. Über eine überhitzte ­Debatte.

Ehe ist eine gute Sache. Auch für Homosexuelle und sogar für homosexuelle Linke, findet der CDU-Politiker Jens Spahn. Er schreibt in der Zeit: »Damit hat die bürgerliche – und auch religiöse – Vorstellung vom Zusammenleben der Menschen gegen die linke Verfemung der Ehe eindeutig gewonnen. Darauf sollten wir stolz sein.« Musste es soweit kommen? In der Debatte um die gleich­geschlechtliche Ehe geht es nicht mehr um die rechtliche Gleichstellung. Steuerliche Vorteile, Sozialversicherung, Beamtenrecht – schwule und lesbische Paare dürfen und müssen fast alles, was für Hetero-Paare auch gilt. Beim Adoptionsrecht gibt es noch eine Lücke, Homo-Paare dürfen nur nacheinander adoptieren, nicht gemeinschaftlich, aber auch das wird sich ändern – spätestens, wenn das Bundesverfassungsgericht die Gelegenheit bekommt, einen entsprechenden Fall zu entscheiden. Jetzt geht es um das E-Wort. Es ist die letzte Verteidigungslinie der Union. Soll man zu dem, was längst eine Ehe ist, Ehe sagen?

Spahn ist also dafür, die Ehe soll siegen. Aber für die Mehrheit seiner Unionskollegen ist der Ehebegriff unantastbar. Die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer etwa, warnte kürzlich in der Saarbrücker Zeitung, nach der Homo-Ehe komme womöglich Vielehe und Inzest. Sie erntete reichlich Spott und Kritik: Der CDU-Bundestagsabgeordnete Stefan Kaufmann sprach von »Argumentationsnot«, die FDP-Generalsekretärin Nicola Beer von einer »Unverschämtheit«, SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi sah einen »neuen Tiefpunkt der Debatte« erreicht. Aber bei diesem Thema jagt ein Tiefpunkt den nächsten. Unvermeidlich etwa, dass Ulf Poschardt gleich darauf in der Welt beklagte, Kramp-Karrenbauer sei vom »Bannstrahl links-ökologischer Diskurspolizisten« getroffen worden. Linke Öko­logen dürften sich gewundert haben, aber bei der Welt beschwert man sich ja gerne mal darüber, dass man nicht schreiben dürfe, was man in der Tat ständig schreibt.
Zumal die Diskurspolizei nicht gut aufgepasst hat, als zum Talk bei Anne Will Frauke Petry von der Alternative für Deutschland (AfD) und der CSU-Hardliner Thomas Goppel eingeladen waren. Petry manövrierte sich mit überheblichem Lächeln durch die Sendung, Goppel befand, dass sein schwuler Gesprächspartner, der Seelsorger Norbert Reicherts, wohl ein Problem mit seiner Lebensweise habe. Und während der Bundestags­abgeordnete Volker Beck (Grüne) bei Twitter noch augenzwinkernd fragte, ob wirklich die Ehe mit Goldhamstern komme, lässt die Junge Freiheit in einer Karikatur nicht nur eine dauergewellte Oma mit ihrem Kanarienvogel zum Standesamt marschieren, sondern auch einen Mann mit Turban, der gleich vier angeleinte Burka-Trägerinnen hinter sich herschleift. Kurz: Die Debatte ist vollkommen überhitzt. Und alle wissen, die gleichgeschlechtliche Ehe kommt sowieso. Wahrscheinlich nicht mehr in dieser Legislaturperiode, auch wenn der Bundesrat am Freitag voriger Woche mit einem Entschließungsantrag für die Gleichstellung von homosexuellen Partnerschaften und Ehe noch einmal ein Signal gesetzt. Die SPD spielt vorerst auf Zeit. Die CDU braucht noch ein paar Parteitage.
Bis dahin schlägt man sich mit kleinteiligen Gleichstellungsgesetzen herum. Es ist ein bürokratischer Witz, lieber zahlreiche Vorschriften umständlich so zu ändern, dass das, was für Ehegatten gilt, auch auf »eingetragene Lebenspartner« anzuwenden ist, anstatt mit einem Federstrich Homo-Paare mit Hetero-Paaren gleichzustellen. Es ist ein Zumutung, dass die Union beharrlich jede einzelne Ungleichbehandlung vor dem Verfassungsgericht durchfechten lässt, nur um der eigenen Klientel sagen zu können: Wir waren’s nicht. Und es ist nach wie vor Diskriminierung, dass sich Schwule und Lesben mit der verklemmten »Lebenspartnerschaft« zufrieden geben sollen. Die Homo-Ehe muss kommen und sie wird irgendwann kommen. Und Goppel und Kramp-Karrenbauer sollten sich festhalten, auch die Debatte um die Definition der Ehe wird kommen. Die Frage kann man ja stellen. Warum sollten nicht drei Menschen heiraten? Oder Geschwister? Und Herrchen und Dackel? Bei den Haustieren ist der Fall klar, sie können eben nicht die Rechte und Pflichten wahrnehmen, die Ehegatten nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch haben. Im Übrigen ist es Humbug, dass mit der gleichgeschlechtliche Ehe plötzlich alle Einschränkungen fallen. Die Ehe ist im Bürgerlichen Gesetzbuch gar nicht ausdrücklich definiert. Um die Homo-Ehe einzuführen, müsste der Gesetzgeber hier also eine neue Norm einfügen, die festlegt, wer eigentlich heiraten kann – Mann und Frau, Frau und Frau, Mann und Mann. Daran, dass Ehen zwischen Geschwistern, zwischen Eltern und Kindern oder zwischen mehreren Menschen verboten sind, würde sich nichts ändern. Solche Eheverbote stehen im Gesetz und gelten auch für Lebenspartnerschaften.

Über die Definition – und die Funktion – von Ehe kann man trotzdem nachdenken. Vor einigen Jahren haben in England zwei Schwestern die Gerichte beschäftigt. Die beiden Damen waren damals schon weit über 80 Jahre alt und wollten heiraten, um Erbschaftssteuer zu sparen. Sie lebten seit 30 Jahren auf dem großzügigen Landsitz ihrer Eltern und wollten verhindern, dass eine der beiden das Anwesen verkaufen muss, wenn die andere stirbt. Sie zogen bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, hatten aber keinen Erfolg. Natürlich ging es ihnen nicht um das E-Wort, sondern schlicht um Absicherung im Alter. Dafür muss man nicht die Ehedefinition ändern. Aber die Frage bleibt, wer noch alles »Keimzelle der Gesellschaft« sein kann und für gegenseitige Absicherung sorgen darf oder muss. Reiner Müller schreibt dazu in der FAZ, die Samenbank sei es jedenfalls nicht. Mag sein. Aber was, wenn drei oder vier Erwachsene gemeinsam Kinder großziehen? Etwa als Samenspender, als leibliche Mutter und als Ehepartner der biologischen Eltern? Warum sollten sie sich dann nicht auch gegenseitig wie in einer Ehe absichern?

Bisher bemühen vor allem die Gegner der gleichgeschlechtlichen Ehe diese Möglichkeit als ­Horrorszenario. Die Befürworter haben wenig Lust, sich an dieser Debatte zu beteiligen. Den meisten Schwulen und Lesben dürfte das Theater der Union mittlerweile auf die Nerven gehen. Den Konservativen, weil sie keine Avantgarde sein wollen, und den Linken, weil sie keine Lust haben, das spießige Institut Ehe abzufeiern. »Welchem Zweck hat die Ehe traditionell gedient? Sie hat Männern Besitz zugeschustert, zum dem auch Frauen und Kinder gehörten. Darum ging es. 2 000 Jahre lang«, schreibt der Publizist Paul Schulz in der Süddeutschen Zeitung. Und er hat auch recht, wenn er eine gewisse Ironie darin sieht, dass sich Schwule heute von einem Staat trauen lassen, der sie noch vor wenigen Jahrzehnten verfolgt hat. Das waren nicht nur die Nazis. Das war auch die Bundesrepublik.
Spahn formuliert sein eingangs zitiertes Plädoyer für den Sieg der bürgerlichen Ehe über die Linke übrigens in einem beispiellos verdrehten Artikel in der Zeit, der sich mit keinem Wort gegen die Mehrheit seiner eigenen Partei wendet, sondern gegen die muslimischen Gemeinden, die nun »den Turbo einlegen« müssten, um zu einer »offenen, pluralen« Gesellschaft aufzuschließen. Homo-Ehe gegen die Islamisierung des Abendlandes? Ist das die neue Linie der Union? Dann besten Dank. Stattdessen: Heiraten und heiraten lassen. Oder eben nicht heiraten.