Berlin Beatet Bestes. Folge 295.

Der amerikanischste Deutsche

Berlin Beatet Bestes. Folge 295. Ilja Glusgal: Sensation in Dixieland (1955).

Sensation in Dixieland/Der schwarze Joe mit seiner Band/spielt Tanzmusik heut’ voller Schwung./Jedermann in Dixieland,/den Klang von Joes Piano kennt./Er klimpert mit Begeisterung./Sein schräges Spiel klingt ganz verrückt,/so das alles nach ihm schaut./Und die Tasten, die er nieder drückt,/sind so schwarz wie seine Haut.«

»Außer Götz Alzmann und dir findet das keiner gut«, konstatierte mein Co-Moderator Jörg Heidemann naserümpfend, nachdem ich den Titel in unserer Radiosendung gespielt hatte. »Ist doch mal was Lustiges«, versuchte ich meine Musikauswahl zu verteidigen. »Ich bin fassungslos«, raunte Jörg nur. »Lustig hat bei mir auch immer eine Berechtigung«, warf ich noch ein, aber Jörg blieb hart. »Ich kann jetzt gar nichts weiter dazu sagen«, meinte er und spielte auch schon den nächsten Titel.
Irgendwie kann ich natürlich verstehen, dass er »Sensation in Dixieland« ablehnt. Echte Jazz-Fans lehnten Jazz-Schlager schon immer ab und auch der 60 Jahre alte Text klingt heute rassistisch, selbst wenn das sicher nicht beabsichtigt war. Da ist es wenig überraschend, dass die Platte nie wiederveröffentlicht wurde.
Ilja Glusgal wurde 1921 in Berlin geboren und hatte ­einen jüdischen Familienhintergrund. Schon als Teenager spielte er Schlagzeug zusammen mit seinem Freund, dem Berliner Jazz-Gitarristen Coco Schumann. »Ilja konnte großartig ›scatten‹, also in rasendem Tempo eine Menge unverständlicher Wörter singen«, erinnert sich Schumann in seiner Autobiographie »Der Ghetto-Swinger«. Ein Foto im Buch zeigt Schumann und Glusgal 1940 beim konspirativen Jammen im Wannseebad. Im März 1943 wurde Coco Schumann von der Kriminalpolizei einbestellt und nach Theresienstadt verschleppt. Es begann eine Odyssee durch die Lager von Auschwitz und Dachau, die er nur knapp überlebte. Ilja Glusgal soll erstmals 1942 professionell in der Band von Lubo d’Orio getrommelt haben. Wie und wo er die letzten Kriegsjahre überstand, ist nicht bekannt. Bereits 1946 spielte er aber wieder im neugegründeten Radio Berlin Tanzorchester, dessen Leiter Michael Jary ihn für erste Gesangstitel auswählte und schnell zu einem der ersten Stars der frühen Nachkriegsjahre machte. Es folgten Dutzende Platten und bis Mitte der fünfziger Jahre elf Filmauftritte. Mit seinem temperamentvollen, weichen Timbre und ehrlichen Jazz-Feeling war Ilja Glusgal vielleicht der amerikanischste deutsche Schlagersänger, den es je gab.
Noch auf Englisch sang er Louis Primas »Angelina«, Louis Armstrongs »Jeepers Creepers« sowie den Western-Swing-Song »I’m an Old Cow-Hand« von Roy Rogers. Wirklich sensationell lustig und leicht anzüglich ist »Sensation am Broadway«, seine deutsche Version von »Lullaby Of Broadway«. Ende der Fünfziger wanderte er in die USA aus und starb 1983 in San Francisco.
Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.