Das Comeback der schwedischen Band Refused

Freiheit, die sie meinen

»Nothing has changed« – auch wenn die schwedische Hardcore-Punk-Band Refused um programmatische Slogans nie verlegen war, dürfte der Refrain des ersten neuen Songs seit 17 Jahren augenzwinkernd gemeint sein. Das neue Album »Freedom« zeigt, dass die Geschichte des Comebacks interessanter ist als das Ergebnis.

Die Geschichte beginnt im vergangenen Jahrhundert. Die meiste Zeit der neunziger Jahre waren Refused eine wenig auffällige Band aus der nordschwedischen Provinzstadt Umeå, die in den ersten Jahren unverkennbar von dem metallischen Sound populärer amerikanischer Hardcore-Bands beeinflusst war. Auf ihrem zweiten Album entwickelten sie einen eigenständigeren Stil, der ihnen einen gewissen Szeneerfolg einbrachte. Ihre politischen Texte kreisten um damals typische Themen wie Antikapitalismus, Tierrechte oder Religion. So weit, so gewöhnlich. Erst mit der Veröffentlichung des dritten Albums »The Shape Of Punk To Come« im Frühjahr 1998 bekamen die Dinge eine neue Dynamik.
Zu dieser Zeit stand die nach außen hin beinahe autistisch abgeschottete Hardcore-Szene in voller Blüte. Die Do-it-yourself-Strukturen, auf die sich die Szene stützte, waren stabil ausgeprägt, und mit dem Boom alternativer Musik in der ersten Hälfte der neunziger Jahre waren musikalische und ästhetische Einflüsse eingesickert, die neue, aufregende Bands und Stile hervorgebracht hatten.
Als »The Shape Of Punk To Come« in dieses Umfeld hinein erschien, galt es manchen schnell als Sensation, durch seinen konzeptionellen Stilwillen provozierte es aber auch viel Ablehnung. Offensichtlich war es für Größeres bestimmt als die Kleingeistigkeit der eigenen Szene – ein Umstand, der in alternativen Musikstrukturen traditionell skeptisch gesehen wird –, thematisch und ästhetisch konnte es aber auch nur aus dieser Szene heraus verstanden werden. Das Album war eines der großen Gesprächsthemen jener Zeit, und man raunte von Bühnen, die unter den energetischen Auftritten der Band zusammengebrochen seien. Aber wer Refused zu dieser Zeit live gesehen hat, wird sich vor allem an Auftritte erinnern, bei denen weder Band noch Publikum so recht zu wissen schienen, was sie aus der Umsetzung dieses begeisternden Monstrums von anmaßendem Konzeptalbum machen sollten.
Konsequenterweise löste sich die Band ein halbes Jahr später während einer Tour in einem Keller in Harrisonburg, Virginia, auf. Die Polizei stellte nach vier Songs den Strom ab. Das vorläufig letzte Lied der Bandgeschichte war eine politische Hymne – »rather be dead, than alive by your oppression, rather be dead, than alive by your design« – und aus der damaligen Perspektive erschien das wie das folgerichtige Ende. Man munkelte, die Band fühle sich in ihren politischen Zielen missverstanden, und tatsächlich wurde die Auflösung noch einmal von einem pompösen, in seinem Schreibstil an die Situationistische Internationale – damals einer der Haupteinflüsse der Band – angelehnten politischen Manifest begleitet.
Solche Anekdoten taugen zur Legendenbildung, die Band erzählt sie heute ein bisschen anders. An einem sonnigen Tag im Mai sitzen Sänger Dennis Lyxzén und Schlagzeuger David Sandström entspannt in einem hippen Berliner Hotel. Sie kommen gerade aus einem Schallplattenladen und auf dem Tisch liegt ein 1200seitiges Buch über die Geschichte des Baltikums.
Lyxzén: »Das Merkwürdige war, dass wir uns aufgelöst hatten, bevor irgendjemand das Album mochte. Wir waren sechs Monate auf Tour und niemandem schien es zu gefallen. Die Leute dachten, wir seien prätentiöse Idioten. Erst nachdem wir uns aufgelöst hatten, wurde es ein großes Album.«
»The Shape Of Punk To Come« setzte posthum zu einem Siegeszug an und schoss alternative Musik zusammen mit »Relationship Of Command« von der texanischen Band At The Drive-In nicht nur ins neue Jahrtausend, sondern auch in den Mainstream – eine Entwicklung, die erst 2011 mit dem Grammy-Gewinn der kanadischen Indierock-Band The Arcade Fire ihren Abschluss fand. Während nicht wenige der Protagonisten, die in den neunziger Jahren in autonomen Zentren oder besetzten Häusern gespielt hatten, nun im Mainstream reüssierten, machten die Mitglieder von Refused nur bedingt erfolgreich in neuen Konstellationen weiter oder wandten sich ganz von der Musik ab.
»Die Aufnahmen von ›The Shape Of Punk To Come‹ waren anstrengend und wir haben viel gestritten«, sagt Lyxzén. »Wir haben uns auch nicht im Guten getrennt. Wegen dieser Erinnerungen habe ich mich lange von der Platte entfremdet gefühlt und wollte nichts mehr damit zu tun haben. Aber wir sind diese Sache nicht losgeworden und egal, was wir gemacht haben, wir wurden immer mit Refused verglichen.«
Die Wucht, die das Album entfalten konnte, lässt sich nur aus der Zeit heraus erklären. Hardcore hatte sich Anfang der achtziger Jahre als radikalere und schnellere Weiterentwicklung des Punk-Rock entwickelt. Durch die Abschottung nach außen versuchte er die Fehler, die zu dessen Verwässerung geführt hatten, zu vermeiden. Ideen wie das Do-it-yourself oder der Straight-Edge-Gedanke – Konsumverzicht als gelebter Antikapitalismus – wurden dafür prägend. Es ging um den Moment, um die Konzentration auf die Show als physischer, emotionaler und künstlerischer Ausdruck, und das sorgte dafür, dass Hardcore bis in die neunziger Jahre hinein nicht referentiell wurde.
»The Shape Of Punk To Come« brach mit dieser Prämisse. Indem Refused Bezüge auf musikalischer, textlicher und ästhetischer Ebene in einen eigenen, künstlerisch geschlossenen Entwurf von Widerstand einordneten und diesen programmatisch als Punk definierten, schufen sie so etwas wie das erste postmoderne Hardcore-Album. Man gab sich keine Mühe, die Herkunft der Referenzen zu verbergen, sie waren für jeden, der eine halbwegs sortierte Plattensammlung besaß, offensichtlich. Was aus heutiger Sicht wie kalter Kaffee anmutet, war damals unerhört und hatte einen Anteil daran, dass die hermetische Szene wenig später gleichzeitig implodieren und explodieren sollte. Nun also nicht nur eine Reunion, die hatte die Band bereits 2012 hinter sich gebracht, sondern auch ein neues Album.
»Es begann damit, dass Kristofer Steen wieder anfing, Gitarre zu spielen, und nach Umeå zurückkehrte«, sagt Sandström. »Plötzlich waren wir alle wieder am selben Ort, und Kris und ich begannen, gemeinsam Musik zu machen. Das entwickelte sich über einige Jahre, und irgendwann hat es sich angefühlt wie Refused. Dennis haben wir zunächst gefragt, ob er als Gastsänger bei einem Song mitmachen wolle. Eigentlich ist es eine neue Band. Es ist nicht Refused aus den Neunzigern, aber es ist so nahe dran, dass wir es nicht anders hätten nennen können.«
Sind die Reunion vor drei Jahren und das Album auch Versuche, die Autorität über den eigenen Mythos zurückzuerlangen? Lyxzén sagt: »Bei der Reunion wollten wir vor allem spielen und sehen, ob wir die Songs noch rüberbringen. Dass wir dabei den Mythos zerlegten, war ein angenehmer Nebeneffekt. Das hat uns später die Möglichkeit eröffnet, neue Musik zu schreiben.« Sandström meint: »Refused hat eine gewisse Anziehungskraft. Wir wurden da alle reingezogen. Ich glaube nicht, dass das nur intellektuell ablief, das war eher gefühlsgesteuert.« »Es wäre bestimmt einfacher und sicherer gewesen, eine neue Band zu gründen«, sagt Lyxzén. »Wir spielen mit uns selber, mit unserer Vergangenheit und unserem Vermächtnis. Die Fallhöhe ist sehr hoch. Wir wissen, dass es nicht viele gute Comeback-Alben gibt.«
»Freedom« ist merkwürdig disparat geworden. Refused waren immer gut darin, Einflüsse aufzugreifen und zu einem eigenen Stil zu vermengen. Das ist auch diesmal nicht anders. Im Unterschied zu früheren Alben findet das Ergebnis aber zu keiner einheitlichen Form. Immer wieder stößt man auf Passagen, die an Refused erinnern, wie man sie kannte, sei es im einleitenden »Elektra«, dem phasenweise großartigen »Dawkins Christ« oder dem hymnischen »366«, das an den Titelsong des Vorgängeralbums denken lässt. In beinahe jedem Song gibt es aber auch Elemente, die den dynamischen Fluss zu stören scheinen oder ihn unterbrechen: Sprechteile, Choreinsätze, melodramatische Passagen, auch breitbeinige Rockismen, Bläsersätze und »Uh-Ah«-Gesänge. Aus Perspektive der Band mag das progressiv oder sogar »radikal« sein, wie der Waschzettel des Labels unnötig großspurig verkündet. Aus der Sicht des Hörers wirkt das eher inkonsequent und zerfahren. Was diese Elemente miteinander verbindet, wird nicht recht klar.
Refused waren immer auch dezidiert politisch. Die monotone Revolutionsrhetorik früherer Tage ist auf »Freedom« einer zurückhaltenden Betrachtung singulärer, durchaus ambitionierter Themen gewichen, wie zum Beispiel die Festung Europa, das Verhältnis der liberalen Gesellschaft zu gewaltsamer Veränderung, Männlichkeit als soziales Konstrukt oder Konflikte im Kongo. Im Vordergrund steht nicht mehr die agitatorische Wirkung der Texte, sondern das Bemühen, für jedes Thema eine angemessene sprachliche Form zu finden. Das funktioniert nicht in jedem Fall (»murder, murder – kill, kill, kill«) und die Themenwahl wirkt eher zufällig. Aber es ist dieser neue Ansatz, so idealistisch und beinahe aus der Zeit gefallen er erscheinen mag, der paradoxerweise am ehesten einen neuen Zugang zu der Band ermöglicht.
»Natürlich verändert sich in 20 Jahren deine Vorstellung von der Welt«, sagt Lyxzén. »Wir haben uns vorgenommen, intelligente, komplexe Texte zu komplexen Themen zu schreiben und Ideen vorzustellen. Dazu gehört, dass wir versuchen, die Strukturen aufzuzeigen, in denen wir leben.« Sandström fügt hinzu: »Und wie man in ihnen zurechtkommen kann. Aber auch, wie wir denken, was wir problematisch finden und was wir durch unser Leben zu diesen Strukturen beitragen.« Lyxzén: »Ich glaube, wir haben immer noch eine ganz gute Vorstellung davon, wer der Feind ist und was falsch läuft in der Welt. Aber wenn man älter wird, versteht man auch seinen eigenen Beitrag dazu. Wenn man jung ist, trägt man alles nach außen und sagt fuck you zu jedem. Man hat dann das Gefühl, man sei kein Teil des Problems. Heute greifen wir nach außen und nach innen an. Das ist ein großer Unterschied.«
»Wir wollen die Sprache weiterentwickeln, über die wir gestolpert sind«, sagt Sandström. »Weiter über Themen schreiben, die uns wichtig sind. Nicht, um die Leute zu erziehen, das hätte eine gewisse Arroganz. Aber als Künstler hat man die Freiheit, eine Meinung zu Dingen haben zu können und diese auszudrücken. Und eine Stimme für Ideen zu sein, die keine eigene Stimme haben. Ich nehme mich deswegen aber nicht besonders wichtig.«
Vielleicht ist es diese Art Freiheit, von der »Freedom« erzählt. Das Album ist kein großer Wurf, erst recht nicht gemessen am Maßstab des Vorgängers. Aber es ist die bemerkenswerte Neuerfindung einer Band, die nicht den Eindruck vermittelt, als sei sie naiv in die Sache hineingeraten. Es wird interessant sein zu beobachten, ob Refused ein Publikum finden, das wie sie selber bereit ist, die Vergangenheit loszulassen.

Refused: Freedom (Epitaph Europe/Indigo)