Die Scheinbewerbung einer muslimischen Kopftuchträgerin in Berlin

Mit dem Kopftuch durch die Wand

Der Fall von Betül Ulusoy hat für Aufmerksamkeit gesorgt. Die muslimische Kopftuchträgerin und Juristin wollte angeblich ein Rechtsreferendariat an einer Berliner Behörde absolvieren. Diese nahm zunächst Anstoß an der Kopfbedeckung. Nun entpuppt sich alles als Inszenierung der vermeintlichen Bewerberin.

Auf einmal soll alles nur heiße Luft gewesen sein. So etwas sorgt verständlicherweise für Ärger und Frustration – jedenfalls bei denen, die am Ende einer geschickten politischen Inszenierung mit der berüchtigten Arschkarte in der Hand recht lächerlich dastehen. In diesem Fall waren es die Repräsentanten der im Berliner Bezirk Neukölln regierenden Koalition von SPD und CDU. Betül Ulusoy, eine muslimische Kopftuchträgerin, hatte eine zeitgemäße Köpenickiade zur Aufführung gebracht, in deren vorläufigem Schlussakt für die Neuköllner Volksvertreter nur die peinlichen Rollen der zeternden Rohrspatzen übrigblieben.

Ulusoy habe »unter Vortäuschung falscher Tatsachen eine Debatte losgetreten, die jeglicher Grundlage entbehre und das Bezirksamt Neukölln öffentlich in Verruf« bringe, tönte die Neuköllner Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) verärgert. An die Verursacherin des Skandals richtete Giffey eine diplomatisch formulierte Drohung, die manch säkulare Adressatin gewiss in Zukunftsängste versetzt hätte: »Wer sich so verhält, setzt seine Glaubwürdigkeit und Integrität als Juristin aufs Spiel.«
Weniger diplomatisch reagierte Giffeys Stellvertreter Falko Liecke (CDU). In der Bild-Zeitung forderte er am Montag ein couragiertes Eingreifen von höchst kompetenter Stelle: »Die Präsidentin des Kammergerichts muss dieses Verhalten missbilligen.« Schließlich sei alles von einer Person losgetreten worden, die »sich geriert hat als Bürgerin, der Unrecht getan wurde, was ja nicht der Fall ist«. Dies sei »eine Provokation des Rechtsstaates«. Und eine solche, das weiß jeder, der mehr als zwei der gängigen Politikerreden und Pressekommentare sich zu Gemüte geführt hat, kann in manchen Fällen den Ausschluss aus der demokratischen Volksgemeinschaft nach sich ziehen. Liecke, dem es bis Redaktionsschluss gelang, sich als cool guy unter den Genasführten zu präsentieren, hatte schon zwei Tage vor dem Platzen der Skandalblase bedeutungsschwangere Ahnungen geäußert: Von einer »Inszenierung« war in einem Statement die Rede, »mit Neukölln als Opfer«.
Was war geschehen, dass eine Kopftuchträgerin eine Bezirksverwaltung in der deutschen Hauptstadt in den Status des »Opfers« versetzen konnte? Ulusoy, »26jährige gläubige Muslima und Juristin« (Tagesspiegel), hatte sich für eine der für ihr zweites juristisches Staatsexamen notwendigen Referendariatsstellen beim Bezirks­amt Neukölln beworben. Als sie dort zur Unterzeichung des Ausbildungsvertrags mit Kopftuch und islamischem Ornat erschien, in dem sie seither auch von den Massenmedien präsentiert wird, habe sie – darüber waren sich alle großen Berliner Medien einig – eine zumindest indirekte Zurückweisung erfahren. »Als der dortige Mitarbeiter gesehen habe, dass sie Kopftuch trägt, habe er bemerkt, das werde hier problematisch gesehen und ›ganz oben‹ entschieden«, beschrieb die Berliner Zeitung den Vorgang. Die Nachricht ergoss sich wie ein frischer Regen über die ausgedörrten Felder des Berliner Multikulti-Medienbetriebs. Seit dem 8. Juni war Betül Ulusoy ein Star nicht nur in Berliner Medien.

Würde das Neuköllner Bezirksamt auf religiöser Neutralität bestehen, oder würde es gemäß dem »Kopftuchurteil« des Bundesverfassungsgerichts vom März das Berliner »Neutralitätsgesetz« von 2005 ignorieren? In diesem Landesgesetz wurde seinerzeit bestimmt, dass Beamte in den Bereichen Schule und Justiz »keine religiösen oder weltanschaulichen Symbole sichtbar tragen« dürfen. Der Berliner Innensenator Frank Henkel (CDU) hatte sofort nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts angekündigt, das Berliner Gesetz »juristisch überprüfen« zu lassen. Wenngleich die Überprüfung noch andauert, war die mediale Zustimmung für Ulusoys Sache gewaltig. War sie zuvor schon als islamische Bloggerin, Nutzerin »sozialer Medien« und Autorin von Springers Welt in Erscheinung getreten, wurde sie nun als eine Art Hoffnungsträgerin für eine irgendwie »buntere« Gesellschaft gehandelt – letzteres wohl vor allem wegen der wechselnden Farben ihrer Kopftücher. Umso größer fiel die öffentliche Zustimmung für die Zusage des Neuköllner Bezirksamts aus. Allerdings dürfe Ulusoy, so die Behörde, keine hoheitlichen Aufgaben ausüben, Rechtsbescheide demnach nicht »fertigen«, sondern nur »entwerfen«. Also: keine Strafbefehle und Aufforderungen zur Eidesstattliche Versicherung mit Allahu akbar unterzeichnen, sondern wie gehabt mit »im Namen des Volkes«.
Inzwischen hat Ulusoy ihr Interesse an der Stelle und das ganze Drumherum zum Fake erklärt. So gut wie alle Medienfuzzis sind nun sauer auf sie. Auf einer öffentlichen Veranstaltung in der sunnitischen Sehitlik-Moschee am Sonntag in Berlin, an der neben Liecke auch der Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) teilnahm, beschrieb die Querulantin ihr Vorgehen freimütig als eine Art Test für die Islamtauglichkeit Berliner Soziotope: »Ich wollte nur sehen, wie Neukölln damit umgeht. Dass sie sauer sind und kleinstaatlich reagieren, ist verständlich.« Ein solider Test soll auch valide Aussagen über zukünftige Möglichkeiten erlauben. »Hier geht es darum«, so die bis dahin als »selbstbewusste Muslima« angehimmelte Frau, dass »das Bezirksamt Neukölln jahrelang willkürlich darüber entschieden hat, ob es Bewerberinnen mit Kopftuch annimmt oder nicht«. Ihr sei es darauf angekommen, »dass über meinen Fall überhaupt diskutiert werden musste«.
Schon zuvor hatten Bild zufolge Berliner »Senatskreise« klargestellt, dass nach Angaben der Staatsekretärin für Justiz im März zwar eine Anfrage von Frau Ulusoy wegen eines Referendariats eingegangen sei, diese aber auf Aufforderungen, sich bei den bewerbungsrelevanten Stellen zu melden, nicht reagiert habe. Bis Montag habe nichts vorgelegen, so die »Senatskreise«. Zwischenzeitlich wurde lanciert, Ulusoy habe eine Referendarsstelle einer anderen Behörde erhalten, der Berliner Kurier erwähnt diesbezüglich das Gesundheitsressort. Die üblichen Islam-Apologeten der seriösen Medien halten sich nun eher zurück.

Mit gutem Grund, möchte man meinen. Christian Bommarius, Kommentator der Berliner Zeitung, dürfte nach dem Wochenende wohl niemand mehr leichtherzig zustimmen. Er schrieb in der vergangenen Woche: »Wenn eine Muslima versichert, das Tuch auf ihrem Kopf sei ganz gewiss kein Zeichen eines missionarischen Auftrags, nicht mehr als ein persönliches religiöses Bekenntnis, wenn sie erklärt, sie empfinde das Kopftuch gerade nicht als Symbol der Unterdrückung muslimischer Frauen, sondern im Gegenteil, ihre freie Entscheidung für das Kopftuch sei Ausdruck der Versöhnung von Tradition (Islam) und Moderne (Zivilgesellschaft), dann ist ihr zunächst zu glauben.« Doch auf wessen Geheiß soll hier zunächst geglaubt werden? Ayatollah Bommarius dürfte seinen Rang als Glaubensautorität vorerst verspielt haben. Das westliche Bedürfnis, sich an den Islam anzuschmiegen, wird freilich weiter akut bleiben. Betül Ulusoy könnte also noch ein weiteres Mal zur Domina deutscher Knechtsseelen aufsteigen.