Mütter richten sich in ihrer Opferrolle ein

Mutter, du Opfer

Karriere, Mutterliebe, Kleinfamilie und Post-Baby-Body müssen gleichermaßen gut funktionieren. Frauen, die all das wollen, unterstützt der Staat.

Als das Patriarchat noch ein klar erkennbarer monolithischer Block war und es – mehr oder weniger – nur biologische Geschlechter gab, von denen eines für schwach erklärt wurde, wussten Feministinnen, wo sie hingehören: auf die Barrikaden. Heute ist alles komplizierter geworden, besonders mit der weiblichen sexuellen und reproduktiven Selbstbestimmung, einem zentralen Thema feministischer Kämpfe der vergangenen Jahrzehnte. Dafür, dass Frauen frei von jeglichen materiellen, politischen oder moralischen Zwängen entscheiden können, ob, wann, wie und mit wem sie sich reproduzieren, hat nicht nur der Feminismus viel getan, sondern auch die Wissenschaft. Doch je mehr Optionen die Reprodukitonsmedizin Frauen zur Verfügung stellt, desto mehr wird aus ihrer individuellen Entscheidung ein ethisches Problem konstruiert. Ob künstliche Befruchtung, Social Freezing, Leihmutterschaft, weibliche Kinderlosigkeit oder Schwangerschaften im Rentenalter: Die Gebär-Mütter sind in die öffentliche Debatte zurückgekehrt. »Dürfen die das?« lautet dann die Frage. Selbstverständlich dürfen sich Frauen Kinder wünschen, sie sollten es sogar, damit Deutschland fortbesteht. Während aber unsere Großmütter und Mütter Kinder bekommen sollten, um ihr wahres Frausein zu erfüllen, werden wir heute dazu animiert, Kinder haben zu wollen, um unserer demographischen Pflicht nachzukommen. Elterngeld, Recht auf Kitaplatz und furchtbar gleichberechtigte Papas: Mutterwerden war noch nie so leicht.

Der Staat ist großzügig mit den Müttern neuester Generation. Er hat begriffen, dass das antiquierte Bild der Kinder produzierenden Haus- und Ehefrau dem Zusammenhalt des Standorts nicht förderlich ist. Vereinbarkeit lautet das Zauberwort, dabei geht es um mehr als nur um das Management des Familien- und Berufsalltags. Es geht um die Schaffung neuer Rollenbilder. Die effiziente Familienmanagerin muss, wie man so schön sagt, »alles unter einen Hut kriegen«. Das neue deutsche Muttersein ist eine Mischung aus »Top Girl« und Muttertier, ein Upgrade der ostdeutschen Mutti.
Die Smart Mummy jettet beruflich durch die Welt und lässt ihre Kinder »fremdbetreuen«. Um ihre Rabenmütterlichkeit auszugleichen, muss sie Affektion irgendwie erzeugen, damit das Mutter-Kind-Bonding nicht gefährdet wird. Etwa durch attachment parenting; langzeit und nach Bedarf stillen, babywearing und co-sleeping bis ins Kleinkindalter. Parallel dazu soll sie permanent am eigenen Marktwert arbeiten. Denn die Konkurrenz auf dem Fleischmarkt ist hart. Hängen Brüste und Bauch auch Monate nach der Geburt noch? Sozial- und Sexleben leiden? Selbst schuld, schau dir die ravenden Mommies an, die das Berliner Nachtleben bevölkern, be a part of it, du musst es nur wollen! Wild im Bett sollst, pardon, willst du auch sein, schreibt der Spiegel. Lässt du dich gerne von dauergeilen 25jährigen, die After-Sex-Selfies auf Instagram posten, Milf nennen, wie es in der Zeit steht? Dann hast du das Top-Mum-Kreuz verdient.

Dass Mütter bei so vielen Anforderungen ihr Leben vor Schwangerschaft und Kind auch mal vermissen, sollte eigentlich selbstverständlicher sein als die angebliche Existenz des Mutterinstinkts. Der Hashtag »regretting motherhood« erschütterte vor einigen Wochen die Nation. Mütter »brechen ein Tabu«, verkündete das deutsche Feuilleton. Eine ärgerliche Debatte über »reuige«, »unglückliche« und »überforderte« Mütter, die selten außerhalb des sozialen Konstrukts Kleinfamilie gedacht werden. Ärgerlich ist vor allem, wenn Frauen, die sich mit den Anforderungen an das Muttersein vermeintlich kritisch beschäftigen, das Bild der von Gewissenskonflikten und Selbstzweifeln geplagten, häufig verlassenen, alleinerziehnden erwerbstätigen Mutter reproduzieren. Ein Blick auf deutschsprachige Mütterblogs genügt, um den Verdacht entstehen zu lassen, dass die modernen Mütter teilweise kräftig zu ihrer eigenen Viktimisierung beitragen.
Auf »Mama arbeitet«, dem meistgelesenen deutschsprachigen Mutterblog, berichtet eine berufstätige, alleinerziehende Mutter dreier Kinder von ihrem, nun ja, etwas stressigen Alltag. Da liest man unter anderem: »Wir Alleinerziehende haben größtenteils zu wenig Geld, zu wenig Zeit (und schon gar nicht für uns selbst!) und wir sind stark Burn-out-gefährdet.« Ansonsten beschäftigen sich die bloggenden Mamas mit Fragen wie: »Habe ich dann wieder eine heile Familie, wie ich sie mir (vielleicht) immer noch wünsche? Was, wenn der neue Partner mein Kind nicht akzeptiert? Nimmt mich überhaupt jemand mit einem Kind?« (»Mutterseelenalleinerziehend«); oder sie beschreiben den »ganz normalen Alltag« arbeitender Mütter: »Sobald die Kinder im Bett sind, fängt für uns Eltern in der Regel der Teil mit der Hausarbeit erst an. Dann wird Wäsche gewaschen, gestaubsaugt und die Küche aufgeräumt. Irgendwas ist ja immer.« (»Meworkingmom«) »Warum tun wir Mütter uns das trotzdem noch an? Warum lassen wir nicht einmal alle Fünfe gerade sein?« (»Mama-Nagement«). Weitere Fragen? Eine vielleicht: War der Feminismus nicht schon längst weiter?