Dem Abkommen nicht abkömmlich
Beim letzten Anlauf hat es geklappt. Am 20. Juni setzte Sidi Ibrahim Ould Sidati im Namen der »Koordination der Bewegungen von Azawad« (CMA) seine Unterschrift unter das seit Monaten verhandelte Friedensabkommen. In der Organisation sind die Akteure der Rebellion im Norden von Mali zusammengeschlossen, die hauptsächlich von Angehörigen der Tuareg-Bevölkerung getragen wurde. Die Vereinbarung soll die Abspaltungstendenzen und bürgerkriegsähnlichen Zustände im Norden des Sahelzonenstaats beenden. Der malische Staatspräsident Ibrahim Boubacar Keïta sagte am Rande der Zeremonie, er sei an diesem Tage »trunken vor Glück«. Die Vereinbarung gewährt dem Norden keine Unabhängigkeit und auch keine Autonomie, wie sie von den Mitgliedern der CMA immer wieder gefordert wurde, ermöglicht aber eine allgemeine Dezentralisierung mit mehr Vollmachten für alle Regionen.
Zwei vorangegangene Versuche, ein solches Friedensabkommen zu erzielen, waren gescheitert. Vom 1. September vergangenen Jahres bis zum 1. März dieses Jahres wurde in Algerien zäh verhandelt. Doch im März lehnte die CMA dann ab, die Vereinbarung zu unterschreiben (Jungle World 12/2015). Nach einigen Wochen erteilte die CMA, die auch international unter starkem politischem Druck stand, dann doch noch ihre Zustimmung. Aber ihre Vertreter erschienen nicht zur Unterzeichnung, die am 15. Mai in der malischen Hauptstadt Bamako stattfand und an der Regierungsvertreter teilnahmen.
Nun fand abermals eine feierliche Veranstaltung im Kongresspalast im Zentrum Bamakos statt. Es war durchaus keine Geheimsitzung: Transparente verkündeten die Zeremonie weithin sichtbar, 160 offizielle Vertreter repräsentierten den malischen Zentralstaat und die Rebellenverbände. Die Europäische Union beglückwünschte die früheren Bürgerkriegsparteien zum Abkommen und versprach, 615 Millionen Euro für dessen Umsetzung zu zahlen. Davon wären 230 Millionen Euro Budgethilfe für den malischen Staat – wenn das Versprechen denn eingehalten wird – die Erfüllung der Zusagen, die parallel zur französischen Militärintervention von Anfang 2013 auf einer »Geberkonferenz« in Brüssel gemacht wurden, ließ zumindest auf sich warten und versprochene Spenden wurden in Kredite umgewandelt. 20 der nun versprochenen Millionen sollen für eine Verbesserung des Bildungssystems vor allem in den Krisenprovinzen im Norden aufgewendet werden und weitere 20 Millionen Euro für die Schaffung von Arbeitsplätzen für die jüngere Generation. Dies soll junge Malier davon abhalten, sich bewaffneten Rebellenverbänden anzuschließen.
Die CMA vertritt nicht alle bewaffneten Gruppen, die derzeit im Norden Malis tätig sind, insbesondere nicht einen Großteil der Jihadisten. Die wichtigsten Mitgliedsorganisationen der CMA sind die Tuareg-Vereinigung »Bewegung für die nationale Befreiung von Azawad« (MNLA) und der »Hohe Rat für die Einheit von Azawad« (HCUA). Dieser entstand als eine Art legaler Arm der vormaligen bewaffneten islamistischen Bewegung Ansar Dine (Unterstützer des Glaubens), die vor allem malische Staatsangehörige organisierte.
Die beiden anderen jihadistischen Verbände, die bei Ausbruch der akuten Staatskrise im ersten Halbjahr 2012 vorübergehend die Macht in Nordmali übernahmen – zunächst zusammen mit dem MNLA, bevor im Juni jenes Jahres das taktische Bündnis zerbrach und die MNLA-Führung nach Burkina Faso floh –, verhandelten hingegen in Algier nicht mit. Es handelt sich um die überwiegend aus ausländischen Jihadisten bestehenden Organisationen »al-Qaida im Land des islamischen Maghreb« (Aqmi) und »Bewegung für die Einheit und den Jihad in Westafrika« (Mujao). Aqmi besteht vorwiegend aus algerischen Staatsangehörigen. Der salafistisch ausgerichtete Mujao rekrutierte auch Staatsbürger aus den westafrikanischen Nachbarländern Malis, fusionierte jedoch inzwischen mit den algerischen Jihadisten der Gruppe »Unterzeichner mit dem Blut«, um gemeinsam die Gruppe al-Mourabitoun zu bilden.
Eines der Ziele des Abkommens besteht darin, die nach wie vor in weiten Teilen Nordmalis präsenten Jihadistengruppen sowie die lose mit ihnen zusammenarbeitenden Schmuggler und kriminellen Gruppen zu isolieren. Aus Sicht der Nachbarländer, die angesichts der in den vergangenen Monaten zu verzeichnenden Zunahme jihadistischer Aktivitäten nervös wurden, war es dafür höchste Zeit. Am 10. Juni fand erstmals ein jihadistischer Anschlag im äußersten Süden Malis statt, als ein Armeeposten in Misséni überfallen wurde. Bislang waren solche Vorkommnisse auf das geographische Zentrum des Landes und den Norden beschränkt geblieben. Bei dem Angriff in der Nähe der Grenze zum Nachbarland Côte d’Ivoire wurde ein Offizier getötet, zwei weitere Personen wurden verletzt. Die malische Regierung verdächtigt die salafistische Sekte Dawa – der Name bezeichnet im Arabischen den Aufruf zum Gebet – und sucht in der Provinzhauptstadt Sikasso sowie in Bamako nach Anführern der Gruppe.
Ein Hindernis für den Abschluss der Vereinbarung war zuletzt die Präsenz von teilweise unkontrollierbaren Milizen, die sich auch zur Unterstützung der Regierung beziehungsweise unter Anhängern einer Aufrechterhaltung der staatlichen Einheit Malis gebildet hatten. Der Wildwuchs an Milizen entwickelte sich immer mehr zum ernsthaften Problem, auch wenn einige politische Kräfte in Mali ihnen beste »patriotische Absichten« unterstellen.
Die wichtigsten dieser Milizen haben sich in der »Plattform« zusammengeschlossen, unter ihnen an führender Stelle die »Selbstverteidigungsgruppe von Imghad-Tuareg und Verbündeten« (Gatia). Diese Gruppen hielten die Stadt Ménaka im äußersten Osten Malis besetzt und weigerten sich abzuziehen, mit der Begründung, im Falle eines Einzugs der Tuareg-Rebellen des MNLA um die Sicherheit »ihrer« Zivilbevölkerung zu fürchten. Die Kombattanten des MNLA werden in naher Zukunft, in einem noch in Einzelgesprächen mit der Regierung näher zu klärenden Modus, in die Streitkräfte eingegliedert werden. Nachdem die malische Zentralregierung den Gruppen der »Plattform« Sicherheitsgarantien, auch für die ihnen nahestehende Bevölkerung, gegeben und eine Präsenz mit eigenen Truppen zugesichert hatte, konnte das »Problem Ménaka« gelöst werden. Es hatte seit Wochen jeden Fortschritt in den Gesprächen zwischen Rebellen und Zentralregierung blockiert. Am Freitag voriger Woche haben die Milizen der »Plattform« Ménaka schließlich verlassen.
Nicht alle Hürden sind schon beseitigt. Neben möglicherweise zähen Gesprächen über die weiteren Einzelheiten, etwa über die Entwaffnung von Teilen der MNLA-Verbände und die Eingliederung der übrigen in die Armee, stellt sich auch die Frage des Umgangs mit den Gegnern des Abkommens. Ein Teil der malischen Opposition spricht von Verrat und einem Ausverkauf des Landes. Auch sind dem Vernehmen nach nicht alle Anhänger und Kombattanten des MNLA mit dem Abkommen glücklich. Letztere werden jedoch einerseits durch die Aussicht auf Armeeposten ruhiggestellt, andererseits werden ihre Reihen dadurch geschwächt, dass viele libysche Kämpfer Mali nun verlassen. Sie waren seit 2011 mit malischen Tuareg, die sich zeitweise in Libyen aufgehalten hatten und nach dem Sturz Muammar al-Gaddafis zurückkehrten, in Nordmali eingedrungen. Am Donnerstag vergangener Woche meldeten malische Medien ihre massenhafte Rückkehr nach Libyen.