Jacinta Nandi kann sich über den Besuch der Queen nicht freuen

Süße Omi

Die Queen besucht Deutschland. Kein Grund zum Jubeln.

Fünfzehn Jahre Deutschland, das heißt fünfzehn Jahre keine Versuche von süßen Omis, mit mir Small Talk zu machen. Das ist es, denke ich, was ich am meisten vermisse in diesem Land – ein bisschen Small Talk mit einer süßen Omi – manchmal fühle ich mich so einsam in meinem Herzen, ich denke, mein Blut könnte gefrieren.
Und dann, vor ein paar Wochen. Ich bin in einer Bäckerei auf der Karl-Marx-Straße. Eine süße deutsche Omi fragt mich, ob ich aus Holland komme.
»Nein«, sage ich. »Ich komme aus England.«
Die süße Omi lächelt, die süße Omi strahlt.
»Dann haben Sie bestimmt schon gehört?«, fragt sie. »Das kleine Baby ist schon da! Ihre Eltern haben Sie bestimmt schon angerufen, um Ihnen das zu sagen! Freuen Sie sich?«
FÜNFZEHN JAHRE HABE ICH DARAUF GEWARTET, MIT EINER FREMDEN OMA IN EINER BÄCKEREI SMALL TALK MACHEN ZU KÖNNEN. Und dann kommt sowas. Zuerst antworte ich nicht, ich lächele nur, ohne meinen Mund aufzumachen, und nicke, kurz, knapp, konzentriert, aber dann, dann plötzlich, dann rutscht es mir aus:
»30 000 Kinder in Großbritannien sind offiziell obdachlos! Warum sollte ich mich freuen wegen diesem Baby? Nur weil dieses Baby reich ist? Soll ich mich freuen, dass meine Eltern dafür zahlen dürfen?«
Die Omi sieht verwirrt aus und ich verlasse die Bäckerei. Ich ärgere mich – über mich selbst, natürlich, aber mehr über das System der Monarchie.
Für die meisten Leute in Deutschland ist die Queen einfach die süßeste Omi der Welt. Eine putzige, kleine Frau mit süßen Juwelen, komischen Hunden und niedlichen, lustigen, unlogischen Sitten. Manche – auch gebildete Menschen, die es besser wissen sollten –, scheinen nicht begriffen zu haben, dass die Frau und ihre Familie subventioniert werden. In einem doch nicht veröffentlichten Text, den ich für die Taz geschrieben habe, bezeichnete ich die Queen als »Großbritanniens Lieblingsbedingungslosesgrundeinkommenempfängerin.« Da rief mich die Lektorin an, um mir ganz höflich zu sagen, dass der Witz zu kompliziert sei. »Dieser Witz ist ein bisschen zu kompliziert«, sagte sie sehr höflich am Telefon. »Was meinst du damit? Es ist für deutsche Leser nicht klar, was du damit sagen willst. Willst du damit suggerieren, dass die Queen subventioniert wird?«
DAS WILL ICH NICHT SUGGERIEREN. Das ist so. Die reichste Frau der Welt kriegt von jedem britischen Steuerzahler ein Pfund pro Jahr, das geben sogar Monarchisten zu, aber da sind die Sicherheitskosten noch nicht mitgerechnet. Die reichste Frau der Welt wird subventioniert – und das in einem Land, wo das Konzept des Sozialstaats ständig in Frage gestellt wird. Wo im Fernsehen Werbung läuft, die einen dazu auffordert, die Nachbarn, die Sozialhilfe beziehen und trotzdem arbeiten gehen, zu verpetzen. Wo palästinensische Flüchtlinge mit Kindern, die von der Sozialhilfenachzahlung ein Fernsehgerät kaufen, es als Sozialschmarotzer auf die Titelseiten der Boulevardpresse schaffen. Wo eine Behinderte, die Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld bezieht, als Sozialhilfebetrügerin in die Breakfast News kommt, weil sie einen Tag in einem Vergnügungspark verbringt. In diesem Land, wo man nicht krank werden darf, wo man nicht arm sein soll, wo es das größte Verbrechen ist, zum Jobcenter zu gehen. In unserem Land sind die Alleinerziehenden genau so sehr Feindbild wie die Asylbewerber. Niemand darf krank sein, niemand soll arm werden, alle, die Hilfe vom Staat brauchen, werden dafür verachtet und erniedrigt. Es gibt nur eine Familie, wo es akzeptiert wird, dass sie das Recht auf Unterstützung des Staats verdient hat: die königliche Familie. Es gibt etwas Masochistisches in dieser Akzeptanz durch die britische Arbeiterklasse: Weil wir wissen, dass diese Familie es nicht braucht, denken wir, dass sie es verdient hat. Man darf nur nicht schwach sein. Wer schwach ist, soll sterben, wer reich ist, soll gedeihen. Es ist ein krankes System.
Wenn Deutsche da mitmachen wollen, okay, bitte schön, bitte schön. Macht’s mit. »Ooooh, die Queen kommt nach Berlin, diese süße Omi mit den lustigen Juwelen, wie sollen wir sie ansprechen, bringt die ihre Corgis mit? Die Queen ist so eine süße Omi!« Oder: »Die Queen kommt! Darf ich ihr die Hand reichen? Ich brauche Etikette-Tipps, um zu lernen, wie man umgeht mit der Queen, diese süße Omi, die unsere Stadt besucht!« Irgendwie habt ihr recht. Man kann gar nichts gegen die Queen sagen. Die ist ganz okay. Die Queen ist auch tatsächlich eine süße Omi, und sie hat tatsächlich ihre Arbeit ein Leben lang ganz gut gemacht. Für mich persönlich wäre ein Leben voller Luxus statt der Freiheit – wählen zu dürfen, zum Beispiel – ein verschwendetes Leben, aber, na gut, als die Queen Queen geworden ist, war es für sie wahrscheinlich undenkbar, die Rolle abzulehnen. Um die Rolle der Queen abzulehnen, würde man eine sehr starke Persönlichkeit brauchen, und die hat unsere Queen nicht. Eigentlich hat sie gar keine Persönlichkeit, und das ist sehr wichtig für die königliche Familie. Erfolgreiche royal family members dürfen keine Persönlichkeit haben – Kate Middleton ist perfekt, William auch. Die Queen ist super. Charles, Diana, Harry – die haben beziehungsweise hatten zu viel Persönlichkeit, das geht nicht. Die Monarchisten bei uns in England werfen den Antimonarchisten vor, die königliche Familie zu »hassen«, aber ich denke, die Menschen, die erwarten von anderen Menschen, so wenig Persönlichkeit wie möglich zu haben, um ihre Rolle im Leben zu erfüllen, sie können nicht sagen, dass sie diese Menschen respektieren.
Meiner Meinung nach ist die Queen aber nicht nur eine süße Omi. Sie ist ein Symbol und auch Werkzeug der Unterdrückung. Sie repräsentiert die Unterdrückung und die Selbstmordwünsche der britischen Arbeiterklasse – aber nicht nur das. Sie ist auch das Symbol der rassistischen und kolonialistischen Unterdrückung des British Empire. Meiner Meinung nach soll die Monarchie sterben mit ihr – und viel länger zu warten haben wir nicht – und nachher könnten wir, wir Briten, anfangen drüber nachzudenken, über den Kolonialismus: und es könnte sogar vielleicht eine Art Vergangenheitsbewältigung stattfinden, oder zumindest, man könnte versuchen, dass so was stattfindet.
Wichtig ist aber: Der britischen Arbeiterklasse wird ständig durch Propaganda gesagt, dass die Queen so beliebt ist im Ausland. Deswegen ist es meinetwegen nicht okay, wenn ihr Deutschen sie süß findet. Sie ist süß. Aber es gibt süße Omis in Großbritannien, die Hunger haben. Es gibt obdachlose Kinder. Es gibt Armut und Kinderarmut und Obdachlosigkeit und Elend. Es gibt auch eine Atmosphäre von Paranoia und Verachtung den Armen gegenüber, die man sich in Deutschland (noch) nicht so richtig vorstellen kann. Ihr solltet wissen, was ihr gut findet. Ihr solltet sagen, immer wenn ihr drüber sprecht: »Ich finde es okay, dass die Queen so reich ist, deswegen, weil die Armen in Großbritannien mir scheißegal sind.« Ihr solltet das zumindest sagen. Zumindest das. Die Armen in Großbritannien sind euch egal, und es ist unsolidarisch von euch, das nicht zu erkennen.

Jacinta Nandi wurde 1980 in London geboren und kam mit 20 nach Berlin. Sie ist ist Mitglied der Neuköllner Lesebühnen Rakete 2000 und der Surfpoeten im Mauersegler. Gerade erschien ihr neuer Roman »Nichts gegen blasen«.