Das neue Album von Helm, »Olympic Mess«

Die Masche der Verfremdung

Dass Luke Younger alias Helm jemals von seiner Musik leben könnte, hätte bis vor Kurzem keiner gedacht. Sein jüngstes Album »Olympic Mess« aber sollte ihm dabei behilflich sein.

Durchaus vorstellbar, dass der Londoner Musiker im vergangenen Jahr vor ratlosen Zuhörern gespielt hat. Mehr als 20 Konzerten eröffnete Luke Younger alias Helm für die Mode-Punker der Band Iceage aus Kopenhagen. Wer für eine ordentliche Portion Uffda-Uffda gekommen war und nur darauf wartete, endlich die Refrains der dänischen Band mitgrölen zu dürfen, konnte bei den abstrakten Klängen des Briten im Vorprogramm eventuell ungeduldig werden.
In Interviews hat Younger von seinen gemischten Erfahrungen auf der Tour berichtet. In Manchester schrie ihm das Publikum nach fünf Minuten herzlich »Fuck off« entgegen und jemand in der ersten Reihe wurde so ungehalten, dass er mit der Faust auf die Bühne hämmerte. Aber Younger erzählte auch von positiven Erlebnissen, etwa wenn im mittleren Westen der USA Menschen nach dem Konzert zu ihm kamen, um sich zu erkundigen, wie diese Musik denn heiße; so etwas Eigenartiges hätten sie noch nie gehört. Und ein Gast in Omaha bedankte sich, zum ersten Mal einen Modular-Synthesizer in natura gesehen zu haben – und stellte die eher zweifelhafte Behauptung auf, ein solches Gerät wäre überhaupt zum ersten Mal in der Stadt gewesen.
Die Frage nach der Benennung dessen, was Younger als Helm musikalisch fabriziert, ist keineswegs naiv. Selbstverständlich lassen sich Eckpunkte festhalten, nichts passt in keine Schublade, irgendein Kästchen zum Einsortieren findet sich immer, aber ohne eine Reihung verschiedener Attribute ist hier nicht auszukommen. Noise, Drone, Industrial, Musique concrète, Field Recordings; alles benutzt Helm und hat daraus mittlerweile einen ganz eigenen Stil gebildet.
Seit fast zehn Jahren veröffentlicht Younger Musik, solo und in verschiedenen Bands. Vor allem sein Drone-/Noise-Duo Birds of Delay mit Steven Warwick, der als Heatsick ebenfalls bei Pan Records veröffentlicht, hat es zu einiger Bekanntheit gebracht. Dem Tape-Noise-Untergrund der frühen Jahre des Jahrtausends entstammend, erschien dem Duo die normierte Klangästhetik dieser Szene, die allen omnipräsenten Stereotypien zum Trotz stolz ihren transgressiven Anspruch behauptete, bald beengend und die Birds of Delay entwickelten sich zum Projekt aus Performance und Musik, das seinen Spaß mit den Konventionen des Genres trieb. Man absolvierte Auftritte, bei denen die geloopten Stimmen der Protagonisten vom Laptop kamen, während die beiden auf der Bühne Karten spielten. Ein größerer Kontrast zu dem Machismo-Gehabe vieler Noise-Performer – etwa den martialischen Auftritten des von Younger geschätzten Dominic Fernow (Prurient/Vatican Shadow), der seinerzeit mit freiem Oberkörper im Feedback seiner Verstärkertürme stand, das er mit zwei Mikrofonen wie im Faustkampf modulierte – ist wohl kaum denkbar.
Nach Warwicks Umzug nach Berlin schlief das Projekt jedoch mehr oder weniger ein – ein neues Album bleibt seit Jahren lediglich angekündigt –, und Younger verlagerte seine Produktivität vor allem auf die Musik von Helm. Dass er inzwischen im Vorprogramm einer Band wie Iceage auf Tour geht, zeigt nicht nur, dass die Grenzen zwischen Indie- beziehungsweise Alternativrock und Noise-Musik keineswegs mehr fest gezogen sind, sondern auch, dass es für solche Musik – trotz allen Unverständnisses, das sie teilweise immer noch provoziert – mittlerweile ein größeres Publikum gibt. Das macht sich auch kommerziell bemerkbar: Younger hat im vergangenen Jahr seinen Job bei einem Musik-Vertrieb an den Nagel gehängt und reist seitdem als Vollzeitmusiker um die Welt.
Neben Kassetten, CDs und Vinyl-Veröffentlichungen bei einer ganzen Reihe von kleinen Labels wie Kye (»Cryptography«, 2011), Hospital Productions (»Geneva Cave«, 2012) und Youngers eigenem Label Alter (»To an End«, 2010) ist »Olympic Mess« das vierte Helm-Release auf dem Berliner Label Pan.
Das 2012 erschienene Album »Impossible Symmetry« ist ein düsteres Gebilde aus Field Recordings, verfremdeten Samples und Synthesizersounds. Über einem Fundament aus tiefem Grollen und dumpfen Geräusch-Loops fliegen fremdartige Klänge durch weite Hallräume. Kaum einmal werden die Sounds harsch oder schneidend, fast das gesamte Album ist durch eine bedrohlich unterkühlte Atmosphäre geprägt, alles ist akribisch arrangiert. Selbst die wuchtigen Glockenschläge in »Arcane Matters« wirken nicht plakativ, werden sie doch durch die Alltags-Hinterhof-Sounds, mit denen sie unterlegt sind, aufgefangen, was ihnen eine finster-drohende Atmosphäre verleiht. Mit »Silencer« (2013) und »The Hollow Organ« (2014) folgten ebenfalls bei Pan zwei EPs, die Helms Sound in noch dunklere Gefilde brachten. Die bereits auf »Impossible Symmetry« verwendeten Elemente sind hier aufs Äußerste komprimiert, die verhallte Weitläufigkeit ist einer erstickenden Dichte gewichen. »Silencer« ist geprägt durch perkussive Schlagzeug- und Becken-Loops, über denen sich fräsende Flächen und Feedbacks ausbreiten, befestigt durch ein Fundament aus wuchtigem Bass. Vor allem die rhythmischen Loops treiben die Songs voran.
Angesichts dieser musikalischen Entwicklung wäre es nicht überraschend gewesen, hätte das neue Helm-Album mit krachigem Proto-Techno à la Pete Swanson, Container, Concrete Fence oder Vatican Shadow aufgewartet, der derzeit so in M0de ist. Glücklicherweise folgt Younger diesem Weg nicht, den etliche Noise-Musiker – teils überzeugend, teils mit eher mäßigen Resultaten – in den vergangenen Jahren genommen haben. Vielmehr scheint es, als habe die klangliche Dichte der letzten beiden EPs kaum noch eine Möglichkeit zur Steigerung gelassen. »Olympic Mess« gestattet sich mehr Ruhe und versucht gar nicht erst, deren Wucht noch zu übertreffen. Eine sonnige Angelegenheit ist das neue Album dennoch nicht geworden. Songtitel wie »I Exist In A Fog« oder »Often Destroyed« zeigen, dass hier eher mit musikalischer Schwermut zu rechnen ist. Doch mit offensiver Emotionslenkung hat die Musik von Helm nichts am Hut. Und Younger betont, auf die plakativen Bebilderungen vieler Industrial- und Noise-Releases wie verfallende Industriegebäude oder schwarzweiße Panoramen der Großstadtwüste bei seinen Veröffentlichungen stets verzichtet zu haben. Die Musik setzt nie auf naheliegende Assoziationen und bleibt eher abstrakt und unnahbar. Dieser Verfremdungseffekt zwingt zur Aufmerksamkeit auf das tatsächlich Gehörte – auf dem jüngsten Album mehr denn je.
Die Songs auf »Olympic Mess« benutzen die gleichen Techniken wie die vorhergehenden Veröffentlichungen, setzen sie aber defensiver und zugleich konzentrierter ein. Fast alle Songs besitzen ein motorisches Fundament aus rhythmischen Loops, die meist aus Samples oder verfremdeten Field Recordings bestehen, aber etwas weniger mächtig als auf den vorhergehenden EPs daherkommen. Während vor allem die Stücke auf »The Hollow Organ« in epischem Kolossal-Sound zu zergehen schienen, ist auf »Olympic Mess« alles greifbarer, konkreter. Der Anfang von »I Exist In A Fog« hätte auch auf einer der EPs seinen Platz finden können, biegt hier aber nach vier Minuten zu einem weniger bombastischen Finale ab, das dem Klangspektrum neue Facetten gibt. Wenn »Outerzone 2015«, mit über zwölf Minuten Spielzeit eines der zentralen Stücke des Albums, nach neun Minuten in einem flächigen, vielleicht aus bearbeiteten Violinen-Samples gewobenen Loop-Teppich zur Ruhe kommt, dann erinnert das an die verwickelten, langwierigen Dramaturgien, die Marc Richter als Black to Comm in den vergangenen Jahren der Perfektion nahegebracht hat. Und selbst ein Song wie »The Evening In Reverse«, der sich nach und nach zum wuchtigen Droner entwickelt, bleibt dabei immer differenziert.
»Olympic Mess« ist so präzise und filigran komponiert wie vorherige Helm-Veröffentlichungen, dabei aber einfallsreicher und variabler. Die alles erschlagende Wucht ist zurückgenommen, ohne dass die Stücke an Dringlichkeit verloren hätten. Das Album zeigt Luke Younger als meisterhaften Arrangeur, der mit seinen Werkzeugen so sicher umzugehen weiß, dass er seinen Sound durch neue Elemente weiterentwickeln kann, ohne dessen unverkennbar eigenen Charakter zu verlieren. Eine herausragende Platte.

Helm: Olympic Mess. (Pan Records)