Berlin Beatet Bestes. Folge 297.

False Flag

Berlin Beatet Bestes. Folge 297. Polecats: Rockabilly Guy (1981).

Am 17. Juni 2015 wurden neun Afroamerikaner in der Emanuel African Methodist Episcopal Church in Charleston, South Carolina, von einem 21jährigen weißen Rassisten ermordet. Bevor er schoss, saß er eine Stunde lang mit den Lehrerinnen, Bibliothekarinnen und Pastoren zusammen, die sich friedlich dem Bibelstudium widmeten. Er hätte seine Mission fast nicht ausgeführt, da die Kirchenmitglieder so nett zu ihm waren, gab er später zu. Das sinnlose Ziel seiner Tat: einen Rassenkrieg provozieren. Nicht zufällig geschah dies im tiefen, rassistischen Süden der USA. Nach der Tat protestierten Tausende Amerikaner gegen Rassismus und gegen die Confederate Flag, das Symbol der ehemaligen Sklavenhalterstaaten, die noch immer an vielen offiziellen Gebäuden gezeigt wird. Gerade mal vier Jahre, von 1861 bis 1865, gab es diese Konföderierten Staaten, die von keinem Land der Erde anerkannt wurden, bis sie untergingen, so wie das Kalifat des sogenannten Islamischen Staates auch untergehen wird. Knapp 100 Jahre nach dem Ende des amerikanischen Bürgerkriegs, nach der Aufhebung der Rassentrennung an Schulen 1954, wurde die Südstaatenfahne als politisches Symbol wiedereingeführt. Sie sollte vor allem die Bürgerrechtsbewegung einschüchtern.
Zu meiner Schande muss ich bekennen, dass es eine Zeit gab, in der auch ich diese Flagge trug. Als Button an meiner Baseballjacke. 1981 war ich ein 15jähriger Teddy Boy, da gehörte das irgendwie dazu, so wie für Punks das umkreiste A. In den frühen achtziger Jahren schien eine ganze Teenager-Generation aus der Zeit gefallen zu sein. Tausende von 15jährigen waren Mods, Rockabillys, Punks oder Hippies. Hauptsache nicht so sein wie die Mehrheit, die normalen Disco-Kids. Die Blue Cats, Polecats und Stray Cats kamen mir da gerade recht. Nun trug ich plötzlich die Fahne der Südstaaten am Revers. In der Raucherecke wurde ich verarscht. Niemand kapierte es. Ich auch nicht. Rock ’n’ Roll war doch schwarz. Das wusste ich schon damals, die Geschichte steht in jedem Rock-Buch. 1952 gründete Sam Phillips das Label Sun Records und nahm in den ersten Jahren ausschließlich afroamerikanischen Rhythm & Blues auf. Es waren diese Platten, die Elvis hörte, bevor er das Sun-Studio betrat, um die Blaupausen für den Rockabilly-Sound aufzunehmen. Trotzdem schienen einige Teds den Spruch »The South will rise again« ernst zu nehmen. Mit Rassisten wollte ich nichts zu tun haben. 1982 machte ich Schluss und verkaufte meine Gene-Vincent-Platten. Meine neue Freundin war Mod und Friseurin, mit ihr ging ich zum Depeche-Mode-Konzert.
Rockabilly mag ich noch heute, aber von den Typen habe ich mich seitdem ferngehalten. Von Tokio bis São Paulo betrachten viele Rockabillys die »Rebel Flag« noch immer als ihre Fahne. Für sie besteht wenig Hoffnung auf Weiterentwicklung. Zum Glück werden sie irgendwann einfach aussterben. Neue Rockabillys wachsen jedenfalls schon lange nicht mehr nach. Junge Leute fallen heute nicht mehr aus der Zeit. Bis auf die Salafisten.
Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.