Journalistischer Grexorismus

Die Entscheidung der griechischen Regierung, das aktuelle Angebot der Euro-Gruppe abzulehnen und stattdessen ein Referendum darüber anzukündigen, wertet Ulf Poschardt von der Welt auf N24 als »Provokation«. Bild zufolge droht Griechenland nun statt dem »Grexit« der »Graccident«. Beim Focus scheint man sich derzeit vor allem um das Wohlergehen von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zu sorgen. Schäuble habe in Interviews mit ARD und ZDF ausgesehen, »als habe er gerade eine Ohrfeige bekommen«. Die habe ihm Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras »ausgeteilt«. Eine »monatelange Taktik von Tarnen, Tricksen und Täuschen« wirft Dorothea Siems in der Welt Tsipras vor. Von Siems’ Rat an die »Verantwortlichen in der Euro-Zone, kühlen Kopf zu bewahren«, hielt der ARD-Korrespondent Rolf-Dieter Krause offenbar wenig. In der Talkshow »Hart aber fair« polterte er, man solle »die Jungs von Syriza« endlich »zum Teufel jagen«. Lediglich Cerstin Gammelin von der Süddeutschen Zeitung hat sich die Mühe gemacht, das »Angebot« der Euro-Gruppe genauer anzusehen. Sie stellt fest: »Ein konkretes Angebot der Gläubiger für ein drittes Programm oder die geforderte Umschuldung findet sich in dem Dokument nicht.« Auch liberale englischsprachige Wirtschaftsexperten finden deutliche Worte. In der New York Times bezeichnet Paul Krugman die Austeritätspolitik als »zutiefst destruktiv«, sie lasse nicht einmal »bescheidenes Wachstum« zu. Ambrose Evans-Pritchard, Wirtschaftsredakteur des konservativen britischen Telegraph, bezeichnete den vor zwei Wochen präsentierten Plan des griechischen Finanzministers, Yanis Varoufakis, als »rational, vernünftig, fair«. Das Vorgehen der EU erinnere ihn hingegen an das der USA in Guatemala im Jahre 1954, als die CIA die Linksregierung von Jacobo Arbenz aus dem Amt putschte. Das habe die Kubanische Revolution und »30 Jahre Guerillakrieg in Lateinamerika« zur Folge gehabt.