Keine interviewten Nachbarn mehr

So ein ruhiger, durchschnittlicher Mensch, der immer so nett grüßte und nie schlampig angezogen war – so lautet sie in aller Regel, die Standardbeschreibung befragter Nachbarn, wenn irgendwo auf der Welt jemand zum mutmaßlichen Mörder wurde. Es spricht nicht für den Boulevardjournalismus und seinen eher noch dusseligeren Ableger, den boulevardesken Journalismus, dass seine Vertreter nach Jahrzehnten seiner Existenz immer noch der Meinung sind, die generelle Unauffälligkeit eines Täters sei eine prima Meldung. Mit anderen Worten: Das Erstaunen darüber, dass in ihrem Sinne erfolgreiche Mörder so gut wie niemals schon Wochen vor ihren Taten mit Messern, Äxten, Pistolen – oder womit man sonst noch so Leute umbringen kann – durch ihre Wohnviertel ziehen und blutrünstig gucken oder die Nachbarschaft darüber informieren, dass es nun reiche und man plane, demnächst folgende Personen, allerdings nicht unbedingt in alphabetischer Reihenfolge, zu töten, könnte durchaus mal so langsam ein Ende finden.
Das Gleiche gilt übrigens auch für Interviews mit Angehörigen mutmaßlicher Täter, die meistens auch nur betonen können, dass sie schockiert seien und niemals im Leben gedacht hätten, dass so etwas passieren würde. Dass irgendwann tatsächlich mal ein Ehepartner sagt: »Ja doch, wir haben gestern beim Abendessen darüber gesprochen und fanden das alle, auch die Kinder, eine Superidee, dass Papa loszieht und seinen Chef köpft und anschließend versucht, die Gasfabrik in die Luft zu sprengen, wir sind wirklich alle sehr stolz auf ihn«, ist einfach erstmal nicht zu erwarten. Und bis es soweit ist, könnte ruhig Schluss sein mit dem Interviewen von Nachbarn, Familie, Freunden über im Prinzip Garnix, danke.