Linke in Leipzig diskutieren über Krawalle

Leipziger Allerlei

Nachdem es Anfang Juni einen kleineren nächtlichen Krawall in Leipzig gab, ist die Diskussion über Extremismus wieder in vollem Gange. Aber auch in der Linken wird diskutiert.

Vergangene Woche legte die FDP den anderen Fraktionen im Leipziger Stadtrat eine Resolution zur Unterschrift vor. Unter der Überschrift »Leipzig ist eine freie und offene Stadt« heißt es: »Leipzig ist wieder Schauplatz von politischem und fundamentalistischem Hass, von Extremismus. Es zeigt sich die hässliche Fratze der Ablehnung anders Denkender, Aussehender und Fühlender.« Bereits Anfang Juni hatte die Leipziger Volkszeitung (LVZ) den Polizeipräsidenten Bernd Merbitz besorgt gefragt: »Herr Merbitz, können sich die Leipziger nachts noch sicher auf der Straße fühlen?«
Was war geschehen? Gibt es neue Erkenntnisse über die Verbindungen von organisierten Neonazis und Leipziger Polizisten (Jungle World 22/15)? Sind wieder einmal im Rahmen von Legida mehrere Hundert rechte Hooligans und Neonazis drohend und Parolen brüllend durch die Innenstadt gelaufen? Letzteres stimmt zwar, aber der Anlass für die Aufregung ist diesmal die »linksextremistische Gewalt«, die Leipzig angeblich fest in der Hand habe. In der Nacht zum 6. Juni, während der G7-Gipfel im bayerischen Elmau stattfand, waren in Leipzig etwa 100 Vermummte unangemeldet auf die Straße gegangen, hatten kleinere Barrikaden gebaut und angezündet und die anrückende Polizei mit Steinen beworfen. Dabei gingen ein paar Streifenwagen sowie ein Wartehäuschen kaputt, das Bundesverwaltungsgericht wurde mit Farbbeuteln und Steinen angegriffen. Angeblich sei auch ein Reisebus attackiert worden. Die Polizei sprach von mehreren verletzten Beamten.

Alles in allem dürfte die Aktion nur wenige Minuten gedauert haben, umso länger hält die Diskussion an. Der MDR sprach von einer »Spur der Verwüstung« und produzierte gleich eine Sondersendung zum Thema »Gewalt von links – wenn Extremisten auf dem Vormarsch sind«. Die Bild-Zeitung nahm die »Gewaltorgie« zum Anlass, die Leserschaft im »Chaotenreport Leipzig« über die linke Szene der Stadt aufzuklären und die LVZ brachte noch Tage danach Sonderseiten. Auch im Landtag wurde eineinhalb Stunden hitzig diskutiert und der sächsische Verfassungsschutz sieht sich in seiner Einschätzung bestätigt, dass die Leipziger Szene »in der allerersten Liga der autonomen Szene in Deutschland boxt«. Passend dazu hatte die LVZ Eckhard Jesse, den Herausgeber der Jahrbücher »Extremismus & Demokratie«, zum Interview geladen, in dem er erwartungsgemäß von einer Verharmlosung des Linksextremismus sprach und den Grünen und der Linkspartei eine Mitschuld an den Ausschreitungen unterstellte. In der FDP-Resolution liest man dementsprechend: »Extremismus bleibt Extremismus, ganz gleich ob rechts, links, religiös oder in sonstiger Weise eingefärbt!« Der Extremismusdiskurs bestimmt wieder einmal die Debatte.
Es überrascht jedoch die Vehemenz, mit der die Debatte derzeit geführt wird. Schließlich war es nicht das erste Mal, dass dieses Jahr in Leipzig militante Aktionen stattfanden, ob nun gegen den Polizeiposten im Stadtteil Connewitz oder gegen die Ausländerbehörde. Meist hatte sich die Aufregung nach ein paar Tagen wieder gelegt. Dass dies diesmal nicht der Fall ist, könnte auch daran liegen, dass die ersten Tage nach der nächtlichen Aktion niemand so genau wusste, worum es dabei eigentlich ging. Es gab keine öffentliche Erklärung, keinen offensichtlichen Bezug zu einem Ereignis und die angegriffenen Ziele waren ebenfalls wenig selbsterklärend.

So zeigte sich Juliane Nagel, Stadträtin und Landtagsabgeordnete der Linkspartei, »irritiert«, ihr Parteikollege Volker Külow sah unpolitische »Kriminelle« am Werk. Aus dieser Situation heraus ist auch in der linken Szene eine Diskussion entstanden, in der es um Militanz und ihre Vermittelbarkeit geht. Einig sind sich die meisten Beiträge, dass man sich nicht auf die bürgerliche Diskussion über Gewalt und das von Polizei und Politik beschworene Bedrohungsszenario einlassen sollte. Uneinigkeit herrscht jedoch über die Aktion an sich.
Vertreter der linksradikalen Gruppen Prisma und The Future Is Unwritten äußerten sich gegenüber dem Neuen Deutschland skeptisch zu Sinn und Zweck der Aktion. Im Online-Forum linksunten.indymedia wird die Kritik deutlicher: In einem Text ist die Rede von »Militanzromantik«, die Aktion wird als »Theateraufführung« bezeichnet, die vor allem der »nihilistischen Selbstbestärkung der Teilnehmenden« gedient habe. Tatsächlich lehnt sich das mit etwas Verzögerung veröffentlichte Bekennerschreiben an das Manifest »Der kommende Aufstand« an. Es sei um das Durchbrechen des Normalzustandes gegangen, der sich durch allgegenwärtige »heimliche« Gewalt auszeichne, sei es bei polizeilicher Repression, auf dem Arbeitsamt oder bei Abschiebungen. Die mit Pathos aufgeladene Folgerung daraus lautet: »Unsere Gewalt ist grob, sie ist laut, sie kommt mit Feuer und Rauch, mit Krawall und Zerstörung.« Der Text, der explizit an Vertreter von Polizei, Justiz und Politik gerichtet ist, endet mit den Zeilen: »Haltet den Blick immer auf die Dunkelheit gerichtet. Der Aufstand wird kommen.«
Andere in Leipzig stellen die Frage, ob es denn überhaupt sinnvoll sei, zu versuchen, eine solche Aktion zu vermitteln, die eben vor allem einen Ausdruck der Negation darstelle. Ein Interview mit zwei »Linksautonomen« im MDR zeigt exemplarisch, dass dieser Versuch auch nach hinten losgehen kann. Auf die Frage des Unterschiedes zwischen rechter und linker Gewalt verweisen diese auf Körperverletzungen und Morde, die von rechts begangen würden. Für die Linken gebe es dort »eine Grenze und die meisten Leute haben einfach keine Lust, diese Grenze zu übertreten«. Auf dem Internetportal leipzig.antifa.de wurde diese Aussage scharf kritisiert: »Eine blödsinnigere Begründung, warum in der radikalen Linken Mord und schwere Verletzungen mehrheitlich abgelehnt werden, hat es wohl von ›Autonomen‹ schon länger nicht mehr gegeben.«

Gar nicht erst beim »Distanzierungslimbo« mitzumachen, wird in einem anderen Beitrag auf dem Portal gefordert: »Der Feind wird immer links stehen, völlig egal, ob diese Linken eine friedliche Demonstration veranstalten, einen ›Wissenschaftler‹ argumentativ stellen oder irgendwer eine Scheibe einwirft.«
Wenn man die aktuelle Situation in Sachsen betrachtet, ist das durchaus nachvollziehbar. Schließlich sehen das Innenministerium und die Polizei aufgrund eines kleinen Krawalls und ein paar eingeworfener Fensterscheiben in Leipzig bereits den Rechtsstaat und das staatliche Gewaltmonopol in Gefahr – jedoch nicht im gerade mal 100 Kilometer entfernten Freital, wo vorige Woche erneut ein rassistischer Bürgermob über Tage hinweg die dort ankommenden Flüchtlinge bedrohte und mit Böllern und Flaschen angriff. Festnahmen gab es vor Ort keine, auch nicht, als Eier auf die Polizisten flogen. Stattdessen kam es zur gleichen Zeit in Leipzig zu einer Hausdurchsuchung bei einem linken Aktivisten – er soll vor fast zwei Jahren am Rande einer Nazidemonstration ein Ei geworfen haben.
Dass in Freital auch Fernando V., der Leipziger Polizeibeamte, dem engste Verbindungen zu organisierten Neonazis nachgewiesen werden konnten, zum »Schutz« der Flüchtlinge eingesetzt war, kann wohl kaum noch als Zufall angesehen werden. Vielmehr zeigt dies, welche politische Agenda auch weiterhin die »sächsische Demokratie« bestimmt.