Neue Details im Fall der verdeckten Ermittlerin des LKA in Hamburg

Puzzeln mit Iris

Über den Einsatz einer verdeckten Ermittlerin in Hamburgs linker Szene werden immer mehr Details bekannt. Nun soll die Innenrevision mögliche Rechtsverstöße der Polizei klären, Forderungen nach der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses werden lauter.

Anfang November vorigen Jahres enthüllte eine Recherchegruppe aus dem Umfeld der Roten Flora, dass eine Beamtin der Abteilung Staatsschutz des Landeskriminalamts (LKA) über Jahre als verdeckte Ermittlerin (VE) Hamburgs linke Szene ausgeforscht hat. Seitdem werden immer mehr Details der Spitzelaffäre bekannt. Von 2001 bis 2006 war die Polizistin Iris P. in der Szene unter dem Decknamen Iris Schneider im Einsatz. Nun bestätigte Iris P. gegenüber einer internen Ermittlungsgruppe der Polizei zum ersten Mal, dass sie im besetzten autonomen Zentrum Rote Flora und beim selbstverwalteten Radio Freies Sender Kombinat (FSK) aktiv war. »Wir fordern Aufklärung, als Entschädigung für den Einsatz der verdeckten Ermittlerin in unserem Radiosender«, sagt Werner Pomrehn vom FSK.
»Ihre Berichte lassen, das wurde ja bereits in der Januarsitzung des Innenausschusses deutlich, Rückschlüsse auf Personen zu, obwohl sie das eigentlich nicht dürften«, sagt Christiane Schneider, innenpolitische Sprecherin der Fraktion der Hamburger Linkspartei. »De facto erhebt die Polizei, wenn sie Beamte in der Szene einsetzt, personenbezogene Daten.«

Während die Polizei seit Januar nichts mehr zum Fall verlauten ließ und die Landespolitik sich nach der Bürgerschaftswahl Mitte Februar mit einer rot-grünen Koalition neu konstituierte, kümmerte man sich beim ausgeforschten Sender FSK selbst um die Aufarbeitung. Die feministische Redaktionsgruppe »re[h]v[v]o[l]te radio« veröffentlichte am 8. Mai unter dem Titel »Ausgeforscht« ein 14seitiges Dossier, in dem detailliert nachgewiesen wird, dass P. in der Redaktion verdeckt ermittelnd journalistisch tätig war; damit ist der Fall auch presserechtlich relevant. »In den Archiven des FSK finden sich verschiedene Mitschnitte, die Auskunft darüber geben, dass die Polizeibeamtin«, heißt es im Dossier, » nicht nur als Moderatorin, sondern auch als Produzentin, Interviewerin und Interviewte im FSK tätig war.« Überdies wird berichtet, dass P. rechtswidrig Privatwohnungen betreten habe. »Sie hat bei vielen Gelegenheiten unsere Wohnungen betreten, zum Teil mehrmals die Woche«, schreiben die Radiomacherinnen. »Sie hat mit uns Tee getrunken, Musik gehört, gepuzzelt und geplaudert.«
Nachdem Iris P. ein halbes Jahr lang ihre Kontakte zum Sender FSK bagatellisiert hatte und ihre VE-Führer sich an nichts genau erinnern konnten, trat die LKA-Beamtin angesichts der akribischen Recherche des FSK die Flucht nach vorne an: Am 9. Juni schickte sie eine ausführliche Erklärung an die Ermittlungsgruppe des LKA, in der sie einräumte, die vom FSK und aus dem Umfeld der Roten Flora genannten Details über ihren Einsatz würden weitgehend zutreffen. Bekannt wurden ihre Aussagen Mitte Juni, kurz vor der letzten Sitzung des Innenausschusses vor der Sommerpause. »So teilte die Beamtin mit, dass sie im FSK gearbeitet und den betreffenden Jingle erstellt habe«, heißt es in den Antworten des Senats auf eine kleine Anfrage der Linksparteiabgeordneten Schneider. »Auch gibt sie an, Wohnungen ihres damaligen sozialen Umfeldes betreten und an Ausflügen teilgenommen zu haben.« Iris P. ist jedoch nicht bereit, die alleinige Verantwortung zu übernehmen: »Ihr Handeln sei jeweils mit ihrer VE-Führung abgesprochen gewesen.«

Die polizeiinterne Ermittlungsgruppe wird deshalb ihre Arbeit beenden, teilte Innensenator Michael Neumann (SPD) am 15. Juni in der Sitzung des Innenausschusses mit. »Die Leute, die heute zur Aufarbeitung beitragen, haben damals zwar keine Verantwortung getragen«, dennoch könne es zu »interpersonellen Konflikten« im LKA kommen. Neumann hat die Disziplinarabteilung der Polizei und die an die Behördenleitung angebundene Innenrevision mit der weiteren Untersuchung beauftragt; dabei geht es auch um die Klärung der Frage, ob die damaligen VE-Führer von Iris P. ihre »Beratungs- und Unterstützungspflichten verletzt haben«.
»Schon aus den vom FSK bereitgestellten Informationen ist eine weitaus größere Verstrickung der verdeckten Ermittlerin in die Arbeit des Senders erkennbar«, sagt die Bürgerschaftsabgeordnete Antje Möller (Grüne). »Damit ist die Verletzung der Rundfunk- und Medienfreiheit nicht mehr wegzudiskutieren.« Die Arbeit beim FSK scheine Teil des Auftrags gewesen zu sein.
Die Innenrevision soll bis zum 28. August einen Bericht vorlegen, mit dem sich dann der Innenausschuss der Bürgerschaft befassen wird. »Wir werden die Möglichkeiten der Aufklärung durch die Innenrevision nutzen«, so Möller. »Das gemeinsame Aufklärungsinteresse in der Koalition ist hoch«, sagt sie. Die Linkspartei erkennt diesen Aufklärungswillen an. »Immerhin, intern klärt jetzt nicht mehr das LKA die eigenen Rechtsbrüche auf, sondern eine von der Polizei nicht abhängige Ebene in der Innenbehörde«, sagt Schneider. Sie gibt aber auch zu bedenken, dass die Innenbehörde bisher aus eigener Initiative nichts zutage gefördert habe, »was nicht die Betroffenen selbst schon öffentlich gemacht« haben. Für eine umfassende Aufklärung der Spähaffäre fordert sie einen Untersuchungsausschuss. Wenn der Bericht der Innenrevision vorliegt, will ihre Fraktion entscheiden, ob sie einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss beantragt. Die anderen Oppositionsparteien werden dies wohl nicht unterstützen: Der Einsatz von Iris P. fällt in die Regierungszeit von CDU, FDP und Schill-Partei. »Damit ein Untersuchungsausschuss eingerichtet wird, bedarf es deshalb der Zustimmung durch SPD und Grüne«, so Schneider. »Ich bin nicht ganz pessimistisch, aber es wird schwer.« Möller erklärt: »Ob es zu einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss kommt, wird von den Ergebnissen der genannten Aufklärungsbemühungen abhängen, das sieht auch meine Fraktion so.«

Beim Radiosender FSK ist man skeptisch, ob die angekündigte Untersuchung der Innenrevision die geforderte Aufklärung bringen wird. Dort favorisiert man die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses. Die ehrenamtlichen Radiomacher vom FSK haben gute Argumente: Niemand weiß besser als sie, welchen Schaden der verdeckte Einsatz von Iris P. angerichtet hat. Iris P. ist nicht die erste enttarnte und wird nicht die letzte verdeckte Ermittlerin in der außerparlamentarischen Linken sein, aber ihr Einsatz ist durch die Recherchen der von ihr bespitzelten linken Szene so gut dokumentiert, dass die Forderung nach Konsequenzen auch für die parlamentarische Opposition und die rot-grüne Koalition auf die Tagesordnung rücken dürfte. Pomrehn sagt: »Es wird deutlich, dass es innerhalb des Hamburger Polizeiapparats Bereiche gibt, die sich der Kontrolle durch die Landesregierung entziehen.« Dies betreffe nicht nur die Gesamteinsatzführung im Polizeipräsidium, sondern auch den Staatsschutz. Wenn die Bürgerschaft keinen Untersuchungsausschuss einsetzt, wäre das eine Carte blanche für den Staatsschutz, weiterhin bei den Einsätzen verdeckter Ermittlerinnen und Ermittler rechtliche Einschränkungen zu ignorieren. »Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss kann aber auch nicht alles offenlegen, wie wir gerade beim NSU-Untersuchungsausschuss im Hessischen Landtag sehen«, so Pomrehn. Aber unbequem für eine eigenmächtig agierende Polizei wäre ein Untersuchungsausschuss schon.