Suizidbeihilfe soll straffrei bleiben

Der assistierte Suizid

Der Bundestag hat sich in einer fraktionsübergreifenden Debatte mit der gesetzlichen Neuregelung der Sterbehilfe beschäftigt. Über die Folgen einer Liberalisierung wird auch aufgrund eines Falls von Sterbehilfe in Belgien debattiert.

Mit dem Fall einer 24jährigen Belgierin beschäftigt sich derzeit auch die internationale Presse. Die junge Frau, die in den Medien Laura genannt wird, hat eine Depression und lebt seit drei Jahren in der Psychiatrie. Ihr wird geholfen, trotzdem sagte sie in einem Gespräch mit der Zeitung De Morgen: »Das Leben, das ist nichts für mich.« Laura hat Sterbehilfe beantragt. Obwohl die junge Frau körperlich gesund ist, haben Ärzte ihrem Gesuch nun nachgegeben. In Deutschland wäre das unmöglich, in Belgien ist es gängige Praxis. Belgien hat im Jahr 2002 wie zuvor schon die Niederlande die »Euthanasie« erlaubt. Bei der Sterbehilfe haben die Niederlande, Belgien und Luxemburg die liberalste Gesetzgebung weltweit. Kritiker monieren, dass in diesen Ländern der Personenkreis, dem Sterbehilfe bewilligt wird, immer größer werde. Die Zahlen scheinen dies zu bestätigen. In Belgien ist die Zahl der Fälle von Sterbehilfe jüngst rasant gestiegen, von 1 432 Fällen im Jahr 2012 auf 1 807 im darauffolgenden Jahr. Im Februar vorigen Jahres hat das belgische Parlament auch der Sterbehilfe für Kinder zugestimmt – ohne Altersbegrenzung. In den Niederlanden wird derzeit debattiert, ob die Sterbehilfe auch auf Kinder ausgeweitet werden soll.

Von belgischen Verhältnissen ist Deutschland – man möchte sagen: zum Glück – weit entfernt. Und so wird es auch in Zukunft wohl bleiben, denn bei der gesetzlichen Neuregelung der Sterbehilfe steht hierzulande eine Liberalisierung, die so weit geht wie in den Beneluxstaaten, nicht zur Debatte. Der Bundestag will mit dem Thema behutsam und sachlich umgehen, eine Legalisierung wurde gänzlich ausgeklammert. Vor rund einem Dreivierteljahr hatte der Bundestag schon einmal das Thema Sterbehilfe debattiert. Die Abgeordneten hofften auf eine breite öffentliche Diskussion. In den ersten Monaten nach der Bundestagsdebatte widmeten sich zahlreiche Fernsehsendungen und Dokumentationen dem Thema Sterbehilfe, darüber hinaus gab es Plakatkampagnen wie »Mein Ende gehört mir«. In den vergangenen Monaten wurde es dann wieder stiller um das Thema Sterbehilfe, bis zum Donnerstag voriger Woche, als im Bundestag fraktionsübergreifend erstmals verschiedene Gesetzesentwürfe debattiert wurden. Insgesamt lagen dem Parlament vier Anträge für ein Gesetz vor. Erstellt wurden sie von fraktionsübergreifenden Gruppen, was deutlich macht, dass es beim Thema Sterbehilfe auch innerhalb der einzelnen Parteien keine einheitliche Meinung gibt. Im November will der Bundestag über die Entwürfe entscheiden. Über die Anträge wurde im Parlament fast drei Stunden debattiert.

Die meiste Unterstützung erhielt der gemeinsam von Michael Brand (CDU), Kerstin Griese (SPD), Kathrin Vogler (Die Linke) und Elisabeth Scharfenberg (Grüne) eingebrachte Antrag. Er sieht vor, dass Suizidbeihilfe auch in Zukunft straffrei bleiben soll, jedoch nicht deren geschäftsmäßige Förderung. Der Entwurf zielt also in erster Linie auf dubiose Vereine ab, die Sterbehilfe als Dienstleistung anbieten. Nicht immer aus altruistischen Gründen, sondern oftmals gegen Bares. Die Abgeordneten formulieren in ihrem Antrag jedoch explizit, dass sie »auf Wiederholung angelegtes, organisiertes Handeln« künftig verbieten wollen. Das würde bedeuten, dass auch Einzelpersonen unter die Regelung fallen, wenn sie wiederholt beim Suizid assistieren. Der Antrag wurde von 210 Abgeordneten unterzeichnet, damit hat er derzeit die Mehrheit, auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) favorisiert ihn.
Die Gruppe um Renate Künast (Grüne) und Petra Sitte (Die Linke) möchte die Beihilfe zum Suizid ebenfalls weiterhin straffrei belassen. Mit einem entscheidenden Unterschied: der von ihnen präsentierte Gesetzentwurf sieht vor, Sterbehilfevereine lediglich zu verbieten, wenn sie ihr Angebot gewerbsmäßig betreiben, andernfalls bliebe die Tätigkeit dieser Vereine legal. Es gebe Momente, in denen man sich weder an seine Familie noch an einen Arzt wenden möchte, »deshalb brauchen wir eine kompetente dritte Seite«, sagte Sitte in der Debatte.
Eine Abgeordnetengruppe um Peter Hintze (CDU) und die beiden SPD-Politiker Carola Reimann und Karl Lauterbach möchte einen ärztlich assistierten Suizid ermöglichen. Ihr Gruppenantrag will mit einer Neuregelung im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) Rechtssicherheit für Ärzte schaffen, die Suizidbeihilfe leisten. Der Entwurf solle Ärzten Handlungsfreiheit in den we­nigen Situationen geben, in denen die Palliativmedizin an ihre Grenzen stößt, sagte Hintze. Bislang verbieten zehn von 17 Landesärztekammern ihren Mitgliedern eine ärztliche Beihilfe zum Suizid. Eine Änderung im BGB würde rechtlich über den Vorgaben der berufsständischen Selbstverwaltung der Ärzte stehen.

Einen vierten, sehr rigorosen Entwurf hat eine Gruppe um die CDU-Abgeordneten Patrick Sensburg und Thomas Dörflinger ins Parlament eingebracht. Er sieht vor, einen neuen Paragraphen 217 im Strafgesetzbuch zu schaffen, der »Anstiftung und Beihilfe zur Selbsttötung« verbietet. Damit wäre in Zukunft die Beihilfe zum Suizid, egal von wem sie geleistet wird, eine Straftat. Dem Entwurf werden die geringsten Chancen in einer Abstimmung zugesprochen. Sensburg räumte in der Debatte selbst ein, dass es Ausnahmefälle geben könne, beispielsweise bei großem Leid. Doch über diese Ausnahmefälle könne man nicht zu einer generellen Regelung kommen.
Die Debatte, die vorige Woche im Bundestag geführt wurde, fand sowohl in den Medien als auch in der Öffentlichkeit viel Anerkennung, wie so oft bei Debatten ohne Fraktionzwang. Verbände der Palliativ- und Hospizbewegung begrüßten erwartungsgemäß den Antrag, den die Gruppe um Brand und Griese eingereicht hatte. »Mit der Möglichkeit, auch gegen die geschäftsmäßige, d. h. regelmäßig wiederkehrende oder serielle Unterstützung der Selbsttötung vorzugehen, auch wenn sie nicht auf Gewinn abzielt, folgt der Gesetzentwurf einer zentralen Forderung des DHPV«, so Benno Bolze, der Geschäftsführer des Deutschen Hospiz- und Palliativverbands.
Heftige Wortgefechte blieben in der Bundestagsdebatte ebenso aus wie gegenseitige Schuldzuweisungen. Insofern kann man gespannt auf den Herbst warten, wenn die Anträge schließlich in ein Gesetz münden sollen. Wahrscheinlich wird dann die geschäftsmäßige Suizidhilfe verboten und Vereine wie »Sterbehilfe Deutschland« von Roger Kusch müssten ihre Tätigkeit ins Ausland verlegen. Ebenfalls für den Herbst steht die Verabschiedung eines neuen Hospiz- und Palliativgesetzes (HPG) an. Es soll die flächendeckende Versorgung mit Hospiz- und Palliativangeboten sicherstellen, eine Forderung, die von Verbänden schon seit langem gestellt wird. Denn noch immer sterben viele Menschen in Deutschland allein und ohne professionellen Beistand. Laura wird die Entscheidungen des deutschen Bundestags wohl nicht mehr erleben, über ihren Todestag wird in Belgien gerade beraten.