Das Massaker an streikenden Bergleuten in Südafrika soll juristisch aufgeklärt werden

Das Warten hat kein Ende

Fast drei Jahre nach dem Massaker im südafrikanischen Marikana liegt nun der Abschlussbericht der Untersuchungskommission vor. Das Ergebnis enttäuscht.

Das Ausmaß der Gewalt und die rücksichtlose Brutalität, mit der gegen die Arbeiter vorgegangen wurde, hatten Erinnerungen an vergleich­bare Massaker des Apartheidstaates geweckt: Am 16. August 2012 erschossen Polizisten 34 streikende Bergleute der Platinmine Lonmin im südafrikanischen Marikana. Die daraufhin eingerichtete Untersuchungskommission unter Leitung des pensionierten Richters Ian Farlam hörte in den folgenden zweieinhalb Jahren an 300 Sitzungstagen Zeugen und wertete alle verfügbaren Unterlagen aus. Ihren Abschlussbericht legte sie Ende März vor, doch die südafrikanische Öffentlichkeit musste weitere drei Monate warten, bis das 650seitige Dokument veröffentlicht wurde. Präsident Jakob Zuma hat den Ruf, unangenehme Dinge einfach auszusitzen, weshalb schon spekuliert wurde, ob die Veröffentlichung des Berichts gerichtlich erzwungen werden müsste. Doch dann ging plötzlich alles sehr schnell. Nur wenige Stunden, nachdem die Veröffentlichung angekündigt worden war, fasste Zuma in einem Fernsehauftritt die wichtigsten Erkenntnisse der Kommission zusammen. Der Zeitpunkt war offensichtlich so gewählt, dass er direkt auf den Beginn der Parlamentsferien fiel, wodurch sich Zuma eine Debatte mit der linksnationalistischen Oppositionspartei Economic Freedom Fighters (EFF) ersparte. Deren Abgeordnete hatten ihn in den letzten Monaten wegen Korruptionsvorwürfen in die Mangel genommen und wurden daraufhin von Sicherheitskräften aus dem Parlament geworfen. Der kurzfristig gewählte Zeitpunkt bedeutete allerdings auch, dass sich die Angehörigen der Opfer nach langem Warten den Bericht auf dem Handy eines ihrer Anwälte anhören mussten.

Inhaltlich hat der Bericht allerdings wenig Überraschendes zu bieten. Festgestellt wurde, dass es entgegen den Behauptungen der Polizei keinen Angriff auf diese gegeben hatte und dass im Nachhinein Beweise gefälscht wurden, um die Behauptung zu untermauern, dass das Massaker ein Akt der Selbstverteidigung gewesen sei. Bezeichnend für das Vorgehen der Kommission ist allerdings, dass nur höherrangige Polizeivertreter, aber keine am Einsatz beteiligten Polizisten direkt vernommen wurden. Auch die Autopsieberichte, aus denen immerhin hervorgeht, dass 14 Arbeitern in den Rücken geschossen wurde, wurden nur sehr kursorisch zur Kenntnis genommen. So kommt der Bericht zu dem Schluss, dass einigen der Polizisten zwar versuchter Mord vorgeworfen werden könne, sich aber individuelle Verantwortlichkeiten nicht ermitteln ­ließen. Immerhin wird die Kompetenz der Polizeipräsidentin und des ehemaligen Polizeiministers in Zweifel gezogen und eine weitergehende Untersuchung durch andere Gremien empfohlen.

Lonmin dagegen wird unter anderem attestiert, den sozialen Auflagen, an die die Vergabe der Bergbaulizenz gekoppelt war, wie etwa der Bau von Häusern für die Minenarbeiter, nicht nach­gekommen zu sein. Doch insgesamt wird das Massaker vor allem als Summe operativer Fehlentscheidungen bewertet, ohne die Verstrickungen von Staat, Führungspersonen des African Natinal Congress (ANC) und der Wirtschaft genauer in Augenschein zu nehmen. So kommt auch die wohl kontroverseste Figur im ganzen Marikana-Debakel, Cyril Ramaphosa, ungeschoren davon. Der Veteran des ANC und der etablierten Gewerkschaft NUM saß 2012 als Vertreter der von ihm geleiteten Holding im Aufsichtsrat von Lonmin und machte seinen politischen Einfluss geltend, um den Streik der Gewerkschaft AMCU polizeilich zu beenden. In den E-Mails, die vor dem Massaker zwischen ihm, dem Management von Lonmin, der Polizei und der Ministerin für Bodenschätze ausgetauscht wurden, hatte Ramaphosa das Verhalten der Arbeiter als »kriminelle Handlungen« bezeichnet, die »entsprechende Maßnahmen« nach sich ziehen müssten. Wenige Monate nach Marikana wurde er zum stellvertretenden Vor­sitzenden des ANC gewählt und könnte Südafrikas nächster Präsident werden. Die Angehörigen der Opfer werden nun eine Zivilklage einreichen, doch es ist fraglich, ob sie jemals irgendeine Form von Entschädigung erhalten. Erneut bestätigt sich, dass das Leben eines armen schwarzen Menschen im heutigen Südafrika nur wenig mehr wert ist als im Vorgängerstaat.