In den USA darf nun gleichgeschlechtlich geheiratet werden

Der schönste Tag

Das Oberste Gericht der USA hat entschieden, dass die gleichgeschlechtliche Ehe in allen Bundesstaaten anerkannt und ermöglicht werden muss. Die Mehrheit der Bürger befürwortet sie, doch ihre Gegner wollen nicht aufgeben.

»Was für ein aufregender Tag«, sagte Richter Jackson Bedford am 26. Juni in Fulton, im US-Bundesstaat Georgia, vor Dutzenden Anwesenden. Im Gerichtssaal brach Jubel aus, die Menschen nahmen an einer Massenhochzeit für gleichgeschlechtliche Paare teil. Nur wenige Stunden zuvor hatte der Oberste Gerichtshof der USA mit fünf zu vier Stimmen ein Urteil gefällt, das einen jahrzehntelangen Kampf um rechtliche Gleichstellung entschieden hat. Seit jenem Freitag verstößt es in allen 50 Bundesstaaten der USA gegen das Gesetz, gleichgeschlechtlichen Paaren die Eheschließung zu verweigern oder eine in einem anderen Bundesstaat eingegangene Ehe nicht anzuerkennen. Es ist das Resultat einer jahrzehntelangen, vorsichtigen Rechtsstrategie, gepaart mit solider Öffentlichkeitsarbeit. Der Anwalt Evan Wolfson, der 2003 die Organisation »Freedom to Marry« gründete, setzt sich bereits seit den neunziger Jahren für die gleichgeschlecht­liche Ehe ein. Seine Organisation verfolgte das Ziel, ein positives Urteil des Obersten Gerichts zu erwirken. Und nun war es so weit.

Die gleichgeschlechtliche Ehe ist längst im Mainstream der USA angekommen, einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup vom 21. Mai zufolge befürworten sie 55 Prozent aller befragten Amerikaner und Amerikanerinnen, ein historischer Höchstwert. Es war ein langer Weg. Vor genau 45 Jahren hatte erstmals ein homosexuelles Paar im US-Bundesstaat Minnesota eine Heiratserlaubnis beantragt. 1996 unterschrieb der damalige Präsident Bill Clinton den heute berüchtigten »Defense of Marriage Act« (DOMA), ein Gesetz, das die Ehe als rechtliche Verbindung zwischen Mann und Frau festlegte; außerdem müssen US-Bundesstaaten und sonstige US-Verwaltungseinheiten keine anderswo geschlossenen, gleichgeschlechtlichen Ehen anerkennen. Doch am 26. Juni 2013 wurde das Gesetz vom Obersten Gerichtshof zu wesentlichen Teilen außer Kraft gesetzt. Der Auslöser war die Klage Edith Windsors, deren Ehefrau Thea Spyer 2009 verstorben war. Die Ehe war in Kanada geschlossen worden und wurde wegen des DOMA in den USA nicht anerkannt. Die US-Steuerbehörden weigerten sich, das Ehegattensplitting anzuerkennen, und forderten eine Nachzahlung von Steuern – über 360 000 US-Dollar. Das damalige Urteil des Obersten Gerichts machte die Forderung nichtig, aber die rechtliche Unklarheit bei der gleichgeschlechtlichen Ehe blieb.
Immerhin inspirierte das Urteil Jim Obergefell und John Arthur aus Ohio, endlich zu heiraten. Arthur litt an einer tödlichen Erkrankung des Nervensystems. Die beiden Männer wünschten sich, Arthurs Tod als Ehepartner ins Auge blicken zu können. Doch der Bundesstaat Ohio ließ das nicht zu. Daher entschlossen sich die beiden, nach Massachusetts zu fliegen, wo eine gleichgeschlechtliche Eheschließung legal möglich war. Kein leichtes Unterfangen, denn Arthurs fortgeschrittene Symptome ließen eine Reise nur unter besonderen Umständen zu. Per Crowdfunding trieb Obergefell schließlich 13 000 US-Dollar auf, um einen medizinischen Sondertransport in einem Charterflugzeug bezahlen zu können. Die beiden heirateten noch auf der Rollbahn in Boston. Als Arthur 2013 verstarb, erklärte sich der wohlwollende Bestatter Robert Grunn bereit, Arthurs Ehemann Jim Obergefell auf der Todesurkunde auch als solchen auszugeben. Schließlich hat das Wort »Ehemann« auch für das Erbrecht entscheidende Bedeutung. Doch das verstieß gegen geltendes Recht in Ohio. Zusammen mit dem Bürgerrechtsanwalt Al Gerhardstein, der den Bundesstaat als eine »Insel der Intoleranz« bezeichnete, reichten Obergefell und Grunn Klage ein. Zwei Jahre später kam der Fall vor das Oberste Gericht.

Als am 26. Juni das Urteil fiel, kam der Witwer sichtlich gerührt aus dem Gebäude – und wurde sofort von Tausenden jubelnder Aktivisten empfangen. Der schriftliche Urteilsspruch wurde von Richter Anthony Kennedy verfasst, der eher als konservativ gilt, in gesellschaftlichen Fragen aber zum klassisch-liberalen Verständnis von Freiheit neigt. In seinem Text beruft er sich nicht zum ersten Mal auf das Prinzip einer lebendigen Verfassung und einen sich ständig weiterentwickelnden Freiheitsbegriff. Die Abhandlung des Gerichts ist nicht nur ein historisch bedeutendes Dokument, sondern auch eine Ode an die Liebe, die Ehe und die Freiheit. »Es liegt im Wesen der Ungerechtigkeit«, so Kennedy, »dass wir sie zu Lebzeiten nicht immer erkennen. Die Generationen, die die Bill of Rights und den 14. Zusatzartikel (die Gleichheitsklausel der US-Verfassung, Anm. d. Red.) geschrieben und ratifiziert haben, haben sich nicht angemaßt, das Ausmaß der Freiheit in all ihren Dimensionen kennen zu können. Sie haben daher zukünftigen Generationen eine Charta anvertraut, die das Recht aller Personen schützt, die Freiheit, deren Bedeutung wir stets neu lernen, ausleben zu können.«
US-Präsident Barack Obama gab bei einer Pressekonferenz im Rosengarten des Weißen Hauses bekannt, dass das Urteil nur das bestätige, was »Millionen von Amerikanern bereits in ihren Herzen glauben.« Kurz darauf erstrahlte das Weiße Haus in den Farben des Regenbogens. Vor dem Gerichtsgebäude brach die versammelte Menschenmenge in Jubel aus und rief immer wieder: »Die Liebe hat gesiegt.« Das Urteil vom 26. Juni ist vermutlich einer der wichtigsten Siege, den die LGBT-Szene der USA jemals errungen hat. Die Ehe als fundamentales Menschenrecht für jeden ist nun staatlich anerkannt und besiegelt. Doch natürlich wird es auch weiterhin Konflikte geben. So hat beispielsweise Richter Wes Allen in Alabama bekanntgegeben, dass er von nun an allen Paaren – nicht nur gleichgeschlechtlichen – als Zeichen seines Widerstands den Trauschein verweigern werde. Konservative Politiker und kirch­liche Meinungsführer fordern eine Freistellung vom Urteilsspruch. Sie wollen nicht gezwungen werden, gegen religiöse Auffassungen der Ehe zu verstoßen.

Auch im beginnenden Wahlkampf um die Präsidentschaft wird die rechtliche Gleichstellung sicherlich Thema bleiben. Hillary Clinton hat die »Ehe für alle« bereits als Grundrecht bezeichnet und kann vom Widerstand der republikanischen Präsidentschaftskandidaten wohl nur profitieren. Immerhin sind noch 45 Prozent der US-Bevölkerung gegen die »Homo-Ehe«, und die meisten davon dürften republikanische Stammwählerinnen und -wähler sein. Um ihre Stimmen müssen in den Vorwahlen die bislang 13 republikanischen Kandidaten buhlen, zweifellos hoffen die Demokraten auf rhetorische Entgleisungen, die ihren potentiellen Konkurrenten später zu schaffen machen könnten.
Sie mussten nicht lange warten. »Fünf nicht gewählte Richter haben es sich angemaßt, die Institution der Ehe neu zu definieren«, sagte bereits am Tag des Urteilsspruchs der Gouverneur von Wisconsin, Scott Walker, der Ambitionen auf die Präsidentschaftskanditatur hat. Er fordert eine neue Klausel in der Verfassung, die den Urteilsspruch außer Kraft setzen solle. Senator Marco Rubio aus Florida legte noch einen drauf: »Diese Entscheidung ist ein Kurzschluss im politischen Prozess.« Vorzeigekandidat Jeb Bush drückte sich vorsichtiger aus. Er sei persönlich für die »traditionelle« Ehe und dafür, dass es den einzelnen Bundesstaaten selbst überlassen bleibe, welche Gesetze sie diesbezüglich erlassen. Der Generalstaatsanwalt von Texas, Ken Paxton, kündigte an, sein Büro werde Staatsangestellte, die sich weigern, eine Heiratserlaubnis auszustellen und dafür nun bestraft werden könnten, kostenlos vor Gericht verteidigen.