Repression in Ägypten

Gnadenlos gegen den Terror

In Ägypten verüben Jihadisten wieder häufiger Anschläge. Beim Kampf gegen die Islamisten geht die Regierung auch ­repressiv gegen die Zivilbevölkerung vor.

Der Konflikt zwischen der ägyptischen Regierung und militanten Jihadisten scheint eine neue Dimension angenommen zu haben. Erstmals wurde in Kairo gezielt eine Einrichtung eines westlichen Landes angegriffen, als am Samstagmorgen eine Bombe das italienische Konsulat im Zentrum der Hauptstadt verwüstete. Da der Anschlag am frühen Morgen bei noch weitestgehend menschenleeren Straßen stattfand, kam nur ein Mensch ums Leben, zehn wurden verletzt. Ob der Zeitpunkt gewählt worden war, um die Anzahl an toten Zivilisten niedrig zu halten, oder schlicht der Logistik der Attentäter geschuldet war, ist schwer zu sagen.
Ebenso ist unklar, ob der Anschlag gegen die deutliche Unterstützung der italienischen Regierung für Präsident Abd al-Fattah al-Sisi gerichtet war – beispielsweise unterstützte Italien die ägyptischen Luftschläge gegen Jihadisten in Libyen – oder ob es sich lediglich um ein einfacheres Ziel gehandelt hat als die schwer bewachte britische oder US-amerikanische Botschaft im Stadtzentrum.

Die Botschaft der Jihadisten, jeden überall treffen zu können, ist hingegen unmissverständlich. Schon durch das Attentat auf Generalstaatsanwalt Hisham Barakat im vornehmen Kairoer Viertel Heliopolis Ende Juni wurde deutlich, dass militante Islamisten bereit und in der Lage sind, die Gewaltwelle im Nordsinai auf das ägyptische Kernland auszuweiten. Durch die Autobombe auf Barakats Konvoi wurde erstmals ein hoher Repräsentant der Regierung al-Sisis in der Hauptstadt getötet. Barakat war federführend bei der Anklage gegen zahlreiche Muslimbrüder und hatte die Prozesse gegen den ehemaligen Präsidenten Mohammed Mursi und andere hochrangige Mitglieder der Organisation wie Khairat al-Shater, Mohammed Beltagy und Saad al-Katatni veranlasst. Das machte ihn zur Hassfigur nicht nur militanter, sondern auch moderaterer Islamisten.
Nach dem nur knapp vereitelten Attentat auf den Karnak-Tempel in Luxor plagt die Regierung und zahlreiche im Tourismussektor Beschäftigte zudem die Sorge um eine Ausweitung der Angriffe auf Touristenorte. Ein Einbrechen der Besucherzahlen wie nach den Anschlägen in den neunziger Jahren hätte weitreichende wirtschaftliche Folgen für Ägypten, wo nach Schätzungen direkt und indirekt bis zu 15 Prozent der Beschäftigten ihr Einkommen durch den Tourismus erzielen.

Auch im Nordsinai ist den Jihadisten eine bis dato unerwartete Eskalation gelungen. Am Morgen des 1. Juli griffen islamistische Gruppen zahlreiche Checkpoints der Armee in Sheikh Zuweid mit zum Teil schweren Waffen an. Dabei gelang es den Jihadisten, die Armee vorübergehend aus der zweitgrößten Stadt des Nordsinai zu vertreiben. Erst durch den Einsatz von Kampfflugzeugen, bei dem auch Zivilisten ums Leben kamen, gelang es der Armee am Abend, die Jihadisten aus der Stadt zu vertreiben. Die ägyptische Armee spricht von 90 toten Jihadisten, 64 toten Soldaten und vier getöteten Zivilisten, doch diese Zahlen sind aufgrund der Nachrichtensperre, die die Armee über den Sinai verhängt hat, schwer zu verifizieren. Stimmen die Zahlen der Armee, handelte es sich bei den Gefechten um Sheikh Zuweid um die größten Kampfhandlungen auf der Sinai-Halbinsel seit dem Jom-Kippur-Krieg zwischen Israel und Ägypten 1973.
Präsident al-Sisi erschien nach den Gefechten zum ersten Mal seit Beginn seiner Präsidentschaft zum Truppenbesuch auf dem Sinai – in Armeeuniform. Abgesehen von solchen öffentlichkeitswirksamen Darstellungen, die al-Sisis Image als Volkstribun aus den Reihen der Armee unterstreichen sollen, deutet vieles darauf hin, dass die Regierung die Repression verstärken wird, auch wenn dies in vielerlei Hinsicht mittlerweile nicht mehr so leicht ist. Ein großer Teil der Medien ist bereits auf Regierungslinie getrimmt, bei vielen Journalisten ist Selbstzensur an der Tagesordnung. Laut Berichten von engagierten Demokraten gehören mittlerweile auch Spitzel in den Straßen zum Alltag in Kairo, ebenso wie Denunziation in Regierungsbehörden. Erst Anfang Juli wurden weitere 39 NGOs verboten, womit die Bilanz dieses Jahres bei 400 liegt.
Trotz der anhaltenden Repression gegen die ägyptische Zivilgesellschaft, unabhängig von der politischen Gesinnung, ist jedoch davon auszu­gehen, dass die ägyptische Regierung mit ihrer Selbstdarstellung als Bollwerk gegen den Terrorismus in Europa auf wachsende Zustimmung trifft. Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi nannte al-Sisi nach dem Anschlag auf das italienische Konsulat »einen Freund«, den zu kennen er stolz sei.
Doch unterscheidet sich die italienische Haltung nur in der Rhetorik von jener der deutschen oder der französischen Regierung. Die Milliardenaufträge für Siemens, die bei al-Sisis Staatsbesuch in Berlin unter der Garantie von Hermes-Bürgschaften (die gegen einen Zahlungsausfall versichern) besiegelt wurden, spiegeln wider, dass auch die Bundesregierung eher die Exportpolitik deutscher Großunternehmen im Sinn hat als Solidarität mit der ägyptischen Zivilgesellschaft, auf deren Seite sie sich 2011 rhetorisch schlug.

Dabei wird übersehen, dass die gestiegene Militanz der Islamisten und die anhaltende Repres­sion der Regierung al-Sisis sich gegenseitig in die Hände spielen. Der Nordsinai diente zwar schon nach der Revolution 2011 als Rückzugsraum für Jihadisten, denen damals einige Angriffe auf die ägyptische Armee gelangen, doch erst mit der Machtübernahme des Militärs im Sommer 2013 und der blutigen Niederschlagung des demokratischen Experiments haben sich diese Angriffe vervielfacht und ins ägyptische Kernland verlagert. Die Muslimbruderschaft ist nach der Verhaftung ihrer hochrangigen Mitglieder zu einer kopflosen Organisation geworden, daher haben die islamistischen Sympathisanten der Organisation zahlreiche informelle Kleingruppen gebildet, die keiner Kontrolle mehr unterstehen und den militärischen Kampf gegen den ägyptischen Staat als eine legitime Strategie ansehen.
Dass die ägyptische Armee gerade im Hauptrückzugsgebiet der Jihadisten im Nordsinai sehr kontraproduktiv vorgeht, beschreibt ein Bericht eines dort basierten ägyptischen Journalisten, dessen Name zum Schutz vor staatlicher Repression nicht veröffentlicht wurde. Der Korrespondent berichtet auf der Nachrichtenseite al-Monitor von willkürlichen Verhaftungen, Folter und der Zerstörung von Häusern der ansässigen Zivilbevölkerung, unabhängig davon, ob Indizien für die Kooperation mit den Jihadisten vorliegen oder nicht. Zudem schütze die ägyptische Armee Bewohner nicht, die bereit sind, im Kampf gegen die Jihadisten zu kooperieren – was diese der Gefahr von Vergeltungsmorden aussetzt. Demnach sollen bereits Dutzende Menschen von den Jihadisten enthauptet worden sein.
Ein Offizier der ägyptischen Armee berichtet anonym auf derselben Nachrichtenseite vom Erfolgsdruck, dem die Befehlshaber der Armee im Sinai ausgesetzt seien. Dieser führe dazu, dass die Soldaten häufig wahllos Menschen verhaften und foltern und so graduell die Unterstützung unter der Bevölkerung verlieren. Um den Terrorismus zu entwurzeln, müsse vor allem verhindert werden, dass Unschuldige der wahllosen Repression der Armee zum Opfer fallen. Sollte der Armee dies nicht gelingen, drohe ein düsteres Szenario: »Wenn wir hier mit der alten Militärmentalität weitermachen, werden wir eine Si­tuation wie im Irak, in Afghanistan oder Syrien bekommen.«