Abschluss der Atomverhandlungen mit dem Iran

Kampf um jedes Kilogramm

Die Atomverhandlungen mit dem Iran sind abgeschlossen. Sie hatten längst nicht mehr das Ziel, den Bau einer Atombombe zu verhindern.

Jetzt dürfen sie alle feiern. Die jahrelangen Atomverhandlungen mit dem Iran sind seit Dienstag abgeschlossen. Die Sanktionen der USA und der EU werden aufgehoben, nach dem Ablauf von fünf Jahren soll der Iran wieder Waffen kaufen dürfen und er soll beim Bau von Atomkraftwerken international unterstützt werden. Ein Rückblick auf das Geschehen beantwortet die Frage nach den Absichten, die der Iran mit seinem Atomprogramm verfolgt. Als im Jahr 2002 iranische Exiloppositionelle die Existenz einer geheimen Atomanlage in Natanz enthüllten, schien der Fall klar zu sein. Wozu brauchte das iranische Regime eine Urananreicherung, warum hinterging der Iran die Internationale Atomenergie­organisation (IAEA)? Natürlich, weil er ein Atombombenprojekt verfolgt. Ihre schlappen Dementis nahm den Iranern keiner ab. In dieser kritischen Situation begaben sich die Außenminister Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands auf eine Mission zur Rettung des Weltfriedens, wie sie bescheiden formulierten. Auf die Anreicherung von Uran möge der Iran doch bitte verzichten, weil man damit auch Nuklearsprengstoff herstellen kann. Wenn er sich auf die zivile Nutzung von Atomenergie beschränken wolle, dann werde man konstruktiv und umfassend zusammenarbeiten. Selbst Brennelemente für den Reaktor in Buschehr würde man gerne liefern.

Die Offerte folgte der Logik, dass man ein Problem nur lösen könne, wenn man der Gegenseite etwas gibt. Hinzu kam die Hoffnung, dass man lukrative Geschäfte machen könne. Der damalige deutsche Außenminister Joschka Fischer war als Handelsvertreter für die deutsche Nuklearindus­trie unterwegs. Die Grünen reagierten zunächst empört, aber heute stört es niemanden mehr, dass grüne Politiker mit der Iran-Lobby vernetzt sind.
Die iranische Regierung setzte die eigenen Anreicherungsaktivitäten vorübergehend aus und willigte in Verhandlungen mit den drei EU-Ländern ein. Seitdem ist die deutliche Anfangserkenntnis, dass der Iran beabsichtigt, in den Besitz von Nuklearwaffen zu gelangen, vorsichtigen diplomatischen Formulierungen gewichen. Es gebe einen Verdacht, heißt es nun, es bestünden gewichtige Gründe für diesen Verdacht; in der Vergangenheit habe der Iran wahrscheinlich ein militärisches Nuklearprogramm betrieben; ob er davon Abstand genommen habe, sei nicht sicher. Die iranische Regierung müsse die Aufklärung dieses Sachverhalts durch die IAEA erlauben und den Verdacht vollständig ausräumen.
Damit konnte das Regime zwölf Jahre lang gut leben. Die Iraner erinnerten die USA zu Recht an Hiroshima und Nagasaki, das macht ihre nachfolgende Argumentation allerdings nicht besser: der Gründer der Islamischen Republik, Ruhollah Khomeini, habe Atomwaffen als Sünde bezeichnet, und das amtierende Staatsoberhaupt, Ali Khamenei, habe eine entsprechende Fatwa erlassen. Mehr Sicherheiten als durch diese Ansagen höchster Autoritäten könne es in einem gottesfürchtigen Staat nicht geben. Kontrollen durch die IAEA seien folglich nicht nötig und wenn doch, dann nur, wenn sie vorher angekündigt und ihre Modalitäten detailliert verabredet werden. Solche faulen Tricks haben die Atomdiplomaten jahrelang ernsthaft erörtert und der Iran hat sich nun weitgehend durchgesetzt. Er habe das Recht, die Inspektionen zu verzögern, heißt es, und die Kontrolleure sollen nicht überall und jederzeit Zugang erhalten.

Als Mahmoud Ahmadinejad 2005 zum Präsidenten gewählt wurde, ließ er die Urananreicherung wieder aufnehmen. Die Verhandlungen, zu denen die USA, Russland und China stießen, traten auf der Stelle. Bewegung gab es dagegen im iranischen Atomprogramm: Fertigstellung des Reaktors in Buschehr; 20 000 Zentrifugen, davon die Hälfte in Betrieb; eine zweite Urananreicherungsanlage in Fordo; Produktion von mittelhoch (20 Prozent) angereichertem Uran; Brennelementefertigung in Isfahan; Baubeginn des Schwerwasserreaktors IR-40 in Arak. Jede dieser Etappen folgt der Logik, alle technischen Wege zu beschreiten, die zur Bombe führen. Wenn die Erzeugung von Atomstrom das Ziel wäre, würde man ganz anders vorgehen. Wozu eine eigene Urananreicherung, wenn Russland die Brennelemente für Buschehr liefert und sie nach Gebrauch sogar wieder zurücknimmt? Wozu eine zweite Anreicherungsanlage, die angeblich nur dazu dient, Forschungsreaktoren zu versorgen? Das ließe sich in Natanz wesentlich besser bewerkstelligen als in Fordo. Wenn man aber in Fordo eine zusätzliche Anreicherung extra für Forschungsreaktoren betreibt, warum benötigt dann der nächste Forschungsreaktor, den der Iran in Arak baut, gar kein angereichertes Uran, weil er mit schwerem Wasser und Natururan betrieben werden soll? Schließlich: Welchen Gewinn zieht der Iran aus seiner nuklearen Zusammenarbeit mit Nordkorea?
Die Erklärungen, die die iranischen Offiziellen hierzu abgeben, sind ein Lügengespinst, das auch noch leicht zu durchschauen ist. Die Prognose vom ersten Tag, an dem das iranische Atomprogramm bekannt wurde, hat sich seitdem nur ­bestätigt. Die Konstruktion des iranischen Atomprogramms hat sich trotz aller Verhandlungen nicht geändert, alle seine Komponenten bleiben erhalten, da sie vom Iran als unverzichtbar definiert werden. Die Begründung verblüfft: der religiöse Führer Khamenei habe es so verfügt.

Die Atomdiplomaten haben sich daher auf etwas konzentriert, das ihnen erreichbar schien. Die »Ausbruchszeit« soll mindestens ein Jahr betragen. Der neue Terminus meint die Frist zwischen dem Beschluss einer Regierung, eine Atombombe zu bauen, und ihrer Fertigstellung. Dass diese theoretisch sauber zu definierende Größe in der Praxis kalkuliert und dann auch noch beeinflusst werden kann, ist mehr als fraglich. Bei allen bisherigen Atomwaffenprogrammen war das nicht der Fall. Dessen ungeachtet wurde in Genf, Lausanne und Wien unermüdlich und zäh über technische Faktoren verhandelt, die die Ausbruchszeit bestimmen. US-Außenminister John Kerry versuchte die Zahl der vom Iran betriebenen Zentrifugen und die Menge der Vorräte an angereichertem Uran zu reduzieren, um ein paar Wochen und Monate herauszuschinden. Die iranische Delegation kämpfte um jede einzelne Zentrifuge und jedes einzelne Kilogramm.
Verhandelt wurde also über die Ausstattung und die Kapazitäten eines militärischen Atomprogramms. Die Gespräche, die sich schließlich nur noch darum drehten, die Sanktionen zum gegenseitigen wirtschaftlichen Vorteil aufzuheben, dokumentieren die Anerkennung des Irans als nukleare Schwellenmacht. Bloß sagen tut es keiner: dass der Iran seinen Weg zur Bombe unbeirrt und zielstrebig weitergeht. Dem feierlich abgegebenen Versprechen Barack Obamas, ein von ihm unterzeichnetes Abkommen werde diesen langen Marsch mindestens für die Dauer eines Jahrzehnts anhalten, entgegnete Khamenei, er lasse es nicht zu, dass der Iran zur nuklearen »Karikatur« degradiert werde. Man ahnt, wie eine Atommacht Iran aussähe, die nach Khameneis Vorstellung kein Zerrbild wäre. Passt seine Vision in Obamas neue Strategie, die Islamische Republik als Partner für eine »Stabilisierung« des Nahen Ostens gewinnen zu wollen?
Unter den europäischen Diplomaten demons­trierte Außenminister Frank-Walter Steinmeier das größte Entgegenkommen gegenüber dem Iran. Er begeistert sich für die Perspektiven, die das Abkommen der deutschen Wirtschaft bietet. Und so sitzen alle in den Startlöchern: Siemens, Daimler, Volkswagen und die legendären mittelständischen Betriebe aus Baden-Württemberg mit Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel an der Spitze. Alle möchten den Iran bei der Herstellung von Nuklearwaffen begleiten und haben nur noch auf den Freibrief aus Wien gewartet. Das ist der Beitrag zur Sicherheit Israels, die nach Angela Merkels Worten ein Teil der deutschen Staatsraison ist.