Die Logik der Fifa

Unser Mann in Zürich

Zur Logik in den Verkehrsformen der Fifa.

Blatters Abgang stimmt traurig. Er allein noch hätte die Menschheit versöhnen können. Als Feind. Innere Einheit braucht Feinde. Der Blatter Sepp war ein global agierender Schurke, gegen den selbst einer wie Gerhard Mayer-Vorfelder seine mora­lische Dignität spüren konnte. Und anders als Dr. Manhattan musste er nicht einmal auf den Mars fliegen, um die Menschheit gegen sich zu vereinen. Es reichte vollkommen, dass er war, wie er war.
Unzweifelhaft wurde ihm die Rolle des schmierigen Patriarchen nicht bloß aufgedeutet; er hat sie angenommen. Wie Uli Hoeneß identifizierte er sich so sehr mit der Institution, der er vorstand, dass ihm oft schwerfiel zu unterscheiden, ob er zu seinem oder ihrem Nutzen handelt. Und wie Hoeneß seine Bayern als Familie sah, so sprach auch Blatter stets von der Fifa-Familie. Dies klebrige Wort will was sagen. Es besorgt die Vergemütlichung der kalten Einrichtung. Das Gefühl setzt sich vor den Zweck, der dahinter unvermindert bestehen bleibt. Das erst erklärt den zähen Harz von Fairplay, Friedensbotschaft, Völkerverständigung, Antirassismus usw., den der Verband vor, nach und während der großen Turniere gleichsam über sich selbst mit ausgießt. Im Gegensatz zu Hoeneß aber, dem Polterer, vermochte der Intrigant Blatter das volkstümliche Bedürfnis nach Authentizität nie zu befriedigen, und sein steter Narzissmus war da nicht eben hilfreich. Wenn er etwa gottgleich verkündete: »Ich vergebe, aber vergesse nicht« oder zu Alexandra Wrage sagte: »Sie müssen verstehen, ich bin die einzige Person in der Welt, die in jedem Land der Erde auftauchen kann und vom Staatschef empfangen wird«, verhinderte das nicht bloß, dass man ihn wenigstens etwas mögen konnte, es geriet zum unfreiwillig gegebenen Material einer Diagnose. Uli Hoeneß wurde gehasst, weil der FC Bayern gehasst wird. Sepp Blatter hat es geschafft, dass die Fifa gehasst wird, nur weil er ihr Chef ist.
Er ist der Typ, den man gern für den Schurken hält. Die dummfreche Art, mit der er Günstlingswirtschaft als Entwicklungshilfe, Kampf gegen die starken Verbände als Freundlichkeit gegenüber den schwachen oder das Gekuschel mit allerlei Despoten als Beitrag zum Weltfrieden ausgab, und das unerschütterte Dirigieren einer Parallelwelt besorgten den Hass gegen ihn fast von selbst, obgleich doch im Grunde jeder begriff, dass Blatter bloß das Resultat der vorhandenen Strukturen war.
Seit seinem Rücktritt wird unablässig darüber geredet, wie das die Fifa weiterbringen könne. Nur wenige denken, dass Blatters Verschwinden selbst schon hinreichend ist. Viele hingegen glauben, dass der Rücktritt notwendig war, um eine Reform in Gang zu setzen. Wenige wieder meinen, dass die Fifa nicht reformierbar sei, sondern zerschlagen und neu aufgebaut werden müsse. Die Fifa aber ist nicht nur, wie sie ist. Sie kann nicht anders sein. Was man für ihre Deformationen hält – Korruption, Deckung von Verbrechen, Forcierung von Ausbeutung, Aushöhlung des Spiels –, ist nichts anderes als ihre Wirklichkeit. Die Institution ist unänderbar und würde mit jedem Neuaufbau dieselben Probleme perpetuieren.
Strukturen erzeugen bestimmte Bewegungsformen. Sie folgen aber auch aus Bewegungen. Die Fifa, als Weltverband, muss den Weltzustand abbilden. Ihre 209 Verbände entsprechen mehr oder weniger den vorhandenen Staaten. Und sie bilden mehr oder weniger den Charakter dieser Staaten ab. Es gibt in der heutigen Welt verschiedene Verfassungsformen – Parlamentarismus, Hierokratien, Königreiche, Autokratien. In den meisten Staaten unserer Zeit sind Korruption und Clanstrukturen so sehr Teil der gewöhnlichen Kultur wie andernorts Fastnacht, Gewaltenteilung oder Steinigungen. Der Zusammenhang zwischen Mangel an wirtschaftlicher Prosperität und dem Vorwalten partikularer Traditionen ist bedauerlich für die Menschen, die unter solchen Verhältnissen leben müssen; für die Fifa heißt es, dass die Delegierten, die in ihrem Kongress sitzen, zum größeren Teil aus Ländern kommen, in denen Korruption zum gewöhnlichen Gebaren gehört, und dass sich diese Delegierten so stark in bestimmten Kontinentalverbänden zusammenballen wie die Spieler im gegnerischen Strafraum bei Fergie Time (spöttische Bezeichnung für den hinausgezögerten Abpfiff im Fall des Rückstands von Spitzenmannschaften, Anm. d. Red.). Das soll die Uefa nicht freisprechen; es sagt nur, dass innerhalb der Fifa Geflechte wirken, die von noch größerer krimineller Energie sind als der auch nicht eben unbescholtene europäische Filz.
Doch Kongress und Exekutivkomitee gäben auch dann ein Ensemble der Korruption ab, wenn die Delegierten sämtlich aus kulturellen Zusammenhängen stammten, in denen Korruption nicht zu den halblegalen Verkehrsformen gehört und kein Mangel an konstitutioneller Stabilität durch personelle Regelung ausgeglichen werden müsste. Innerhalb der Fifa würde sich mutmaßlich jederzeit eine hinreichend große Menge von Delegierten finden, die den Kampf um die Verteilung ökonomischer und politischer Vorteile mit allen nur möglichen Mitteln führt. Es funktioniert wie beim Doping: Ein Teil tut’s, weil es Vorteile bringt, ein Teil tut’s, weil die anderen es tun, und dann wird es wohl auch noch einen Teil geben, der es trotz allem nicht tut. Gedeckt aber wird es allgemein, durch eine Omertà, die deswegen funktioniert, weil praktisch jeder, der sich in dem Betrieb befindet, schon in entsprechende Vorgänge verwickelt war oder nicht glaubhaft machen könnte, nie etwas gemerkt zu haben. Korruption übrigens ist es nicht erst dann, wenn einer Geld für Stimmverhalten nimmt. Ein Quidproquo der Gewogenheit ist ebenso probat, und wenn sich Blatter 1998 bei seiner ersten Wahl die Stimmen der afrikanischen Verbände dadurch sicherte, dass er eine WM auf ihrem Kontinent versprach, ist das nichts weniger als Bestechung, zumal ein Präsident ein solches Versprechen nicht halten kann, ohne illegal Einfluss zu nehmen.
Im Kongress der Fifa gilt das Prinzip one person – one vote. Obwohl die Verbände tatsächlich nach Umfang und Bedeutung ungleich sind. Neuseeland hat dasselbe Stimmgewicht wie Brasilien. Das Prinzip der Gleichheit ist, wie meistens, auch hier eines der Ungerechtigkeit. Es mag sein, dass unter Blatter das Verfahren, die Vielzahl der kleinen Verbände gegen die Handvoll großen auszuspielen, besonders auffällig war. Hierzu zählt auch sein zeitweiliges Vorhaben, die Orte der WM zwischen den Kontinenten rotieren zu lassen, oder der Beschluss, die Kassen der Fifa für die Verbände zu öffnen (was für die großen kaum, für die kleinen aber sehr wichtig ist). Der Kleine-Leute-Populismus ergibt sich jedoch aus der Struktur selbst.
One person – one vote ist ohne Alternative. Man kann nicht die Teilnahme aller Länder erwarten, wenn man nicht gleiches Stimmgewicht anbietet. Damit aber entsteht ein Übergewicht der Kleinen gegen die Großen, der Unzuständigen gegenüber den Zuständigen, und also fast zwingend ein Bündnis zwischen der Zentralgewalt und den kleinen Verbänden. So wie der Herrscher im Absolutismus mit dem Bürgertum Bündnisse einging, solange er den Adel, aus dem er selbst stammte, nicht allein unterwerfen konnte, so schwingt der Präsident der Fifa sich zum Fürsprecher der Kleinen auf, deren Stimmen er für seine Wahl ebenso braucht, wie sie sein Wohlwollen bei der Ausschüttung von Geldern oder der Vergabe von Turnieren. Blatter hatte folglich die Stimmen von der Asian Football Confederation und der Confederation of African Football immer bei sich.
Die Zwischenschaltung einer weiteren Macht­ebene – wie etwa im strukturell ähnlichen Fall der UN die Einrichtung eines Weltsicherheitsrats – änderte gleichfalls nichts am grundlegenden Problem. Zum einen würde eine solche Veränderung der Satzung von keinem Kongress bewilligt, zum anderen stellten sich dieselben Abhängigkeiten erneut, bloß komplizierter, wieder her. Die starken Verbände träten im selben Spiel um Gunst gegen Loyalität vermittelnd zwischen die Zentrale und die kleineren Verbände. Dieselbe Dynamik, wie sie bislang wirkte, bliebe dadurch erhalten, dass jeder Verband als partikulare Größe auftritt und kein Gesetz die Sache zwingend regelt.
Die Fifa bewegt sich mehr oder weniger im rechtsfreien Raum, die Möglichkeit, Geschäfte überall auf der Welt abzuwickeln, macht eine gesetzliche Verfolgung zu einer dauernd wechselnden zwischenstaatlichen Angelegenheit und somit schwer; der Umstand, dass es auf der internationalen Ebene kein durchgreifendes Recht mit einer dahinter stehenden Gewalt gibt, ebenso. Aus demselben Grund steht hinter der Satzung der Fifa selbst keine Souveränität. Die Fifa kann als internationale Organisation nichts anderes tun als den vorläufigen Rechtscharakter der frühen Neuzeit zu reproduzieren, nur eben ohne die Vorläufigkeit. Geschichtlich war der absolute Monarch ein Ersatz für eine noch nicht entwickelte staatliche Souveränität. Er schloss diese Souveränität in seiner Person ein, wo eine Verfassung noch nicht ausreichend Kraft und Grundlage bot. Durch diesen Einschluss konnte er herrschen. In der Fifa aber herrscht weder Anarchie noch Monarchie, es herrscht der Zustand, der herrscht, wenn man beider schlechteste Seiten zusammenbringt: eine Kleptokratie, die immer mitkauft, wer ein Ticket erwirbt, und wer dabei Bauchschmerzen hat, wird lernen müssen, damit zu leben, oder besser gleich kegeln zu gehen.