Der Film über Amy Winehouse

Who killed Amy?

Genau eine Woche vor Amy Winehouses fünftem Todestag läuft eine Dokumentation über ihr Leben in den deutschen Kinos an. »Amy« wird vielerorts gefeiert. Auch weil der Film so viel Bekanntes ­erzählt.

Es war keine leichte Aufgabe, der Regisseur Asif Kapadia und Produzent James Gay-Rees sich gestellt haben. Zwar hatten sie bereits mit ihrem preisgekrönten Film über Ayrton Senna bewiesen, dass Filmbiographien ihnen liegen. Doch die Ausgangslage dieses Projekts war eine andere. Auch Senna war eine Berühmtheit und in seinem Herkunftsland Brasilien sogar ein regelrechtes Idol. Über sein Leben aber wussten die meisten bei Erscheinen des Films kaum mehr, als dass er ein erfolgreicher Rennfahrer war, der bei einem tragischen Unfall ums Leben kam.
Bei Amy Winehouse verhält es sich genau umgekehrt. Ihre Geschichte dürfte kaum jemandem unbekannt sein: Winehouse stammte aus einfachen Verhältnissen, konnte mit ihrem Erfolg nicht umgehen, suchte sich den falschen Mann und hatte neben ihrer großen Stimme mindestens ebenso große Probleme mit Alkohol und Drogen. Was also sollten Kapadia und Gay-Rees einem noch Neues erzählen?
Tatsächlich hält sich das Skript von »Amy« weitgehend an die bereits bekannten Fakten und erzählt den Plot nach, der bereits zu Wine­houses Lebzeiten durch den Medientrubel etabliert wurde. Dass sie ihre Sache handwerklich sehr gut machen, steht außer Frage. Vor ­allem die vielen privaten Videoaufnahmen von Personen aus Winehouses Umfeld sorgen dafür, dass »Amy« dem Menschen hinter der Medienfigur näher zu kommen scheint als jedes Machwerk über ihr Leben zuvor.
Es geht unter die Haut, wenn die Stimme der gerade erst an der Schwelle des Erfolges stehenden Sängerin in einem Interview sagt: »Ich glaube nicht, dass ich mit Erfolg umgehen könnte. Ich würde verrückt werden.« Oder wenn sie später, als sie bereits Millionen von Platten verkauft hat, sagt: »Wenn ich mich wirklich für berühmt halten würde, würde ich mich umbringen. Berühmtsein macht mir Angst!«
Wahrscheinlich liegt tatsächlich ein Teil der Wahrheit über das Leben und den Tod von Amy Winehouse darin, dass sie einfach nicht für die große Bühne und das Scheinwerferlicht gemacht war. Dass sie kein Star sein wollte, sondern in erster Linie eine Musikerin war, die an nichts, an überhaupt nichts mehr Freude hatte als an Musik, vor allem an Jazz. Die Musik bot ihr einen Rückzugsort, an dem sie sich zu Hause fühlte, das zeigt auch der Film auf eindrückliche Weise. Und sie ermöglichte ihr, zu verarbeiten, was außerhalb dieses geschützten Orts mit ihr geschah.
Genau das jedoch war der Kern des Problems. Die Funktionsweise der Musikindustrie, Winehouses Management und nicht zuletzt ihr Vater, der sich in ihrer Kindheit nie um sie gekümmert hatte und plötzlich in ihrem Leben auftauchte, als das große Geld winkte, drängten sie dazu, immer wieder auf die Bühne zu steigen. Selbst dann noch, als längst offensichtlich war, dass sie dem ganzen Zirkus nicht gewachsen war. Als sie bereits Aufenthalte in Entzugskliniken hinter sich hatte, sang sie davon, keinen Entzug zu machen, weil ihr Vater behauptete, es gehe ihr gut. Sie sang über die erste schmerzhafte Trennung von Blake Fielder-Civil, nachdem sie ihn später doch noch geheiratet hatte – und nachdem sie mit ihm angefangen hatte, Crack und Heroin zu nehmen. Und sie sang diese Lieder auch dann noch, als Fielder-Civil sich von ihr hatte scheiden lassen und sich in der Öffentlichkeit als ihr Opfer inszenierte.
Das Publikum wollte genau diese Lieder hören und tanzte, während Winehouse allen ihr Herz ausschüttete. Dabei hatten viele sie schon abgeschrieben, noch bevor sie schließlich am 23. Juli 2011 einer Alkoholvergiftung erlag. Irgendwie ahnte man, dass es so kommen würde – Amy Winehouse wurde als tragische Figur inszeniert und tat am Ende vermutlich genau das, was alle von ihr erwarteten.
Auch Kapadias Film ist wenig mehr als ein optisch hübsch aufbereiteter Versuch, das Bekannte nochmals zu verkaufen. Die Idee zu »Amy« stammte weder vom Produzenten noch vom Regisseur, sondern von David Joseph, dem Vorsitzenden von Universal Music UK, dem Mutterkonzern von Winehouses Plattenfirma Island. Dass Joseph bereits 2012, also gerade ein Jahr nach dem Tod der Künstlerin, mit seinem Vorhaben an Gay-Rees herantrat, deutet nicht darauf hin, dass es ihm um ein behutsam zu zeichnendes Porträt ging. Plausibler wäre die Vermutung, dass ein Unterhaltungskonzern aus dem frühen und ohnehin einträglichen Ableben einer Angestellten noch ein wenig mehr Kapital schlagen wollte.
Dafür spricht auch die Verwendung von reichlich Film- und Bildmaterial der zahllosen Paparazzi, die Winehouse in ihren letzten Jahren wie ein Rudel Bluthunde verfolgten. Dass die Plattenfirma möglicherweise ab und an zu großen Druck auf sie ausgeübt haben könnte, wird nicht einmal in Erwägung gezogen. Wundern muss das niemanden: »Amy« wurde unter anderem von Universal produziert.
Überhaupt bleiben viele wichtige Fragen ungestellt. Winehouses Bulimie wird zwar am Rande thematisiert. Die gesellschaftlichen Schönheitsideale, die einen gehörigen Teil dazu beigetragen haben dürften, dass die Sängerin unter der Krankheit litt – erst recht, als sie unter ständiger Beobachtung stand –, finden keine Erwähnung.
Das mag vielleicht auch daran liegen, dass »Amy« von Männern gemacht wurde und mit wenigen Ausnahmen nur Männer zu Wort kommen lässt. Kein Gedanke wird im Film daran verschwendet, dass es ausnahmslos Männer waren, die Amy Winehouse übel mitgespielt haben. Stattdessen erzählt »Amy« von einer Frau, die stets nach starken Männern gesucht habe. Selbst wenn diese Einschätzung den Tatsachen entspräche, wäre damit nur die Hälfte der Geschichte erzählt. Denn die Frage, wieso Amy Winehouse offenbar nicht das Gefühl hatte, allein eine ausreichend starke Frau zu sein, bleibt unbeantwortet.
Über den Einfluss der Erziehung, ihre Kindheit als Tochter jüdischer Eltern, die in einfachen Verhältnissen aufwächst, erfährt der Zuschauer kaum etwas. Auch eine Antwort darauf, wieso Winehouse sich so oft zu betäuben versuchte, bleiben Kapadia und Gay-Rees dem Zuschauer schuldig und begnügen sich mit altbekannten Plattitüden. Dabei lässt sich in vielen Fällen die Flucht in den Rausch nachvollziehbar erklären. Was aber genau das Düstere war, das Winehouse offensichtlich belastete, hat den Regisseur und Produzenten weniger interessiert. Man könnte sogar behaupten, Kapadia und Gay-Rees hätten keine Möglichkeit ungenutzt gelassen, ihrem Film die Substanz zu nehmen. Winehouses Songs jedenfalls scheinen mehr über ihr Innenleben preiszugeben als dieser Film.
Dass »Amy« trotzdem durchaus sehenswert ist, liegt einzig und allein an Winehouse selbst, an ihrer ehrlichen und direkten Art und nicht zuletzt ihrer unglaublichen Stimme. Gegen Ende von »Amy« sagt eines ihrer Idole, der Jazzsänger Tony Bennett, mit dem sie kurz vor ­ihrem Tod noch ein Duett aufgenommen hat, für ihn stehe Winehouse auf einer Stufe mit Ella Fitzgerald und Billie Holiday. Amy Wine­house wäre gerührt gewesen, wenn sie das noch hätte hören können. Und sie hätte sich wohl beharrlich geweigert, ihm zu glauben. Genau das war es, was sie so besonders machte.

»Amy« (UK 2015). Regie: Asif Kapadia. Mit Amy Winehouse, Mitch Winehouse, Mark Ronson.
Filmstart: 16. Juli