Gläubige der Gläubiger

Was denkt eigentlich Angela Merkel? Diese Frage, die seit Beginn ihrer Karriere stets unbeantwortet zu bleiben scheint, schwebt seit der neusten Eskalation um Griechenland offener denn je über den klugen Köpfen. War Merkel noch vor wenigen Monaten der Star der internationalen Diplomatie, tritt im Streit um Griechenland nun Finanzminister Wolfgang Schäuble als Rächer der deutschen Interessen auf. Es erinnert ein bisschen an den kauzigen Professor Unrat von Heinrich Mann – nur verliert sich Schäuble nicht in der Leidenschaft für eine junge Bardame, sondern in der Vorstellung, dass eine globalisierte Nationalökonomie wie ein Privathaushalt funktioniert. All den fundierten Argumenten zum Trotz – Schäuble ist auf einer Mission für Recht und Ordnung. Und er ist bereit, diese Mission mit einer humanitären Katastrophe in Europa zu bezahlen.
Aber was denkt Merkel? Dass sie hinter Schäuble steht, ist offensichtlich. Auch wenn sie jederzeit bereit ist, ihn fallenzulassen. Sie unterstützt ihn und den Austeritätskurs, dessen hässliches Gesicht er nun global geworden ist. Merkel lässt Schäuble machen, auch weil sie selbst an den Erfolg dieser Politik glaubt. Genauso wie sie an den Markt, den Westen und an Nationalstaaten glaubt. Die heilige Dreifaltigkeit des postmodernen Protestantismus. Der Geist des Kapitalismus – er weht durch die Hallen deutscher Hegemonie und steht in bester Tradition deutscher Ideologie: Sei hart zu dir und noch härter zu anderen, es liegt an dir und doch entscheidet am Ende Gott. Und wer keine Schuld(en) hat, den mag Gott halt mehr. Es ist recht offensichtlich, dass das Austeritätsdiktat Ausdruck protestantischer Ethik ist. Es sollte also kaum verwundern, dass an der Spitze dieser Politik die Pfarrerstochter Merkel waltet. Aber es verwundert eben doch, denn in der Vergangenheit wurde Merkel stets als sachlich und pragmatisch dargestellt, eine, die auf gute Argumente eigentlich einzugehen weiß. Im Falle Griechenlands zeigt sich plötzlich ihr blinder Fleck, der Teil, der nicht durchdacht werden kann, der nicht revidiert werden kann, ihre intellektuelle Schwachstelle.
Angela Merkel denkt also nicht, wenn es um Griechenland geht, sie glaubt. Und so zeigt sich in der Austeritätspolitik Merkels zutiefst protestantische Ideologie, die sie so pfleglich hinter inszenierter Alternativlosigkeit und Vernunft zu verstecken sucht. Deswegen lässt sie auch Schäuble machen. Sie lässt lieber ihn verbrennen, als ihren Glauben preiszugeben. Denn die nüchterne Naturwissenschaftlerin glaubt. Sie glaubt an die protestantische Ethik, an die Überlegenheit des Marktes, an die Überlegenheit der Tüchtigen, an die Unausweichlichkeit des Bestehenden. Sie glaubt an den Erfolg der Austeritätspolitik. Abweichen wird sie davon nur, wenn die Masse sie zwingt. Wie das halt so ist bei Gläubigen.