Politik und Ökonomie müssen sich widersprechen

Der Euro und sein Staat

Theoretisch ist das mit der Ökonomie und den Währungen ganz einfach. Wäre da nur nicht die Politik, die mit ihren ganz eigenen Gesetzen und Regeln wider alle Logik handelt.

Keiner weiß, warum und wie genau es dem Kapital gelingt, aus Geld mehr Geld zu erzeugen, aber über die Bedingungen, die vorliegen müssen, damit diese wundersame Geldvermehrung optimal gelingt, kann jeder Ökonom umfassend Auskunft erteilen.

Eine Aussage lautet, dass der Staat alle Handelshemmnisse zu minimieren hat, oder anders: Er hat dafür zu sorgen, dass das Handeln seiner Organe berechenbar ist und alle Konkurrenten weitgehend den gleichen Normierungen unterliegen, damit sie einheitliche Marktbedingungen vorfinden. Die Ökonomen verlangen von den Staaten somit genau die Politik, für die die EU-Bürokratie so arg geschmäht wird und wogegen die Linke all ihre Ressentiments, besonders auch gegen die TTIP-Verhandlungen aufbietet. Da können die Ökonomen noch so sehr darauf hinweisen, dass es hier nicht darum geht festzulegen, an wen der Staat das gewonnene Mehr an Geld verteilt. Nichts haben sie gegen eine EU, die sich eine Umwelt- oder Sozialcharta gibt, ja vom Prinzip her dürften sie theoretisch noch nicht einmal gegen so etwas wie ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle EU-Bürger Einwände erheben. Praktisch jedoch machen sie ihre Rechnungen ohne den Wirt, nämlich den Staat und vor allem dessen Bürger – und deren psychisch-ideologische Verfasstheit. Man kann es auch so sagen: Zum Beruf des Politikers gehört es, gegen die ökonomische Rationalität zu verstoßen. Dieser Gegensatz zwischen Politik und Ökonomie, Gewalt und Äquivalententausch, ist in dieser Gesellschaft unaufhebbar. Der Politiker muss nach nationaler Souveränität, nach Vermehrung des Reichtums seines Staates (auch und gerade auf Kosten anderer) streben – sonst hat er seinen Beruf verfehlt und wird von seinen Wählern abgestraft. Der Ökonom dagegen – es sei denn, er hat sich einem Staat oder einer Nation verpflichtet, aber dann ist er Politiker – muss dieses Staatshandeln als Verfehlung gegen die ökonomische Rationalität zurückweisen. Im Resultat kommt es dann zu dem Kuddelmuddel, das die EU nicht erst seit heute aufführt.

Die dieses Chaos zusammenfassende Einheit lässt sich im Begriff des Vertrauens auffinden. Ökonomisch spielt Vertrauen im Kreditwesen die zentrale Rolle. Auf dieses greifen Politiker zwar zurück, aber nur, um dem Begriff einen erweiterten Inhalt zu geben: Denn ihnen geht es naturgemäß zuallererst um das Vertrauen in den Staat. Um exemplarisch zeigen zu können, wie diese Bedeutungsverschiebung sich heutzutage in der EU auswirkt, sei einige Jahrzehnte zurückgeblickt. Damals hatte man, um der Inflationsgefahr Herr zu werden, beschlossen, die staatliche Gelddruckmaschine abzuschalten. Dass der gesellschaftlich erzeugte Mehrwert aber nicht realisiert werden kann, wenn nicht eine ihm entsprechende frische Geldmenge in Umlauf gebracht wird, war auch allen klar. Die sich aus diesem Dilemma ergebenden Finessen sind hier unerheblich, entscheidend ist, dass die Monetaristen auf die grandiose Idee verfielen, das Gelddrucken in den Kreditumlauf zu integrieren. Im Euro-Raum hat das nun zur Folge, dass die Nationalbanken der EU nominal Kredite erhalten, real aber nichts anderes geschieht, als dass die EZB (wohlgemerkt: nicht Deutschland) frisches Geld an sie weiterleitet. Doch auf diese Weise wird dieses Geld, der doppelten Buchführung sei Dank, irgendwo als Forderung, das heißt als realer Wert verbucht, als eine Forderung also, die sich nur mit Anstrengung (und: nur mit entsprechender Verlustbuchung) wieder aus den ­Bilanzen entfernen lässt. Jeder »Schuldenschnitt« etwa droht deshalb, bei den Banken das ganze Kontrukt zum Einsturz zu bringen, mit dem sie bei den Vermögensbesitzern hausieren gegangen waren, um deren Geld zu akquirieren. So kommt es, dass das Gelddrucken zwar nicht mehr die Inflation befeuert, aber ständig die Gefahr präsent hält, dass Banken zusammenbrechen, und dabei auch das Geld derjenigen verbrennt, die es ihnen zur Vermehrung anvertraut haben. Der, und hier kann man hinzufügen: besonders der deutsche Politiker und Bürger kann deshalb nicht mehr zwischen Kredit und gedrucktem Geld unterscheiden. Kredite müssen zurückgezahlt werden und damit basta. Sie wissen grundsätzlich nicht mehr, warum wann welche Regeln aufgestellt worden sind, sie wollen das auch gar nicht wissen. Regeln, und das sind in Deutschland ganz besonders die Stabilitätsgesetze, gibt es dazu, dass sie, von der staatlichen Gewalt durchgesetzt werden. Das ist der Staat seinen Bürgern schuldig und das danken sie ihm denn auch. Das bis zur letzten Konsequenz zu treiben und dabei Kosten-Nutzen-Kalküle hintenanzustellen, ist der Trumpf, den Deutschland glaubt, in der Hand zu halten. Gegen alle ökonomische Rationalität – in der von Gewalt abstrahiert wird – mit ganzem Einsatz auf die Einhaltung von Regeln zu pochen, das gefällt allen, denen die gesamtökonomischen Folgen ihres Handelns schnuppe sind – Hauptsache sie können sich in der staatlich garantierten Sicherheit wiegen, das zu erhalten, von dem sie meinen, dass es ihnen zusteht. Und so geht es dann weiter mit der Transforma­tion des Ökonomischen ins Politische: Der Staat, der seine Kreditrückzahlungen, aus welchen Gründen auch immer, einstellt, wird von anderen (und zwar den hegemonialen) Staaten behandelt, als sei er einem Insolvenzverfahren unterworfen.

Er wird wie ein Unternehmen oder gar wie eine Privatperson behandelt. Das heißt im Grunde: ihm wird seine Staatlichkeit aberkannt und seine Gewalt geht auf den Insolvenzverwalter über. Natürlich ist das humaner, als gegen ihn in den Krieg zu ziehen. Zudem, wie Wolfgang Schäuble im Falle Griechenlands nicht müde wird zu betonen, gehe es doch um nichts anderes – und hier taucht der Begriff in wiederum neuer Gestalt auf – als die Wiederherstellung des Vertrauens der Geldgeber in die Leistungsfähigkeit des Pleitestaates. Mag sogar sein, dass Schäuble so denkt. Aber er verschweigt das Wesentliche. So knapp zusammengefasst wie nur irgend möglich läuft die Sache doch so ab: Das Vertrauen der Geldanleger in die Stabilitätspolitik eines Staates holt Geld ins Land, die Banken leiten es an die Unternehmen auf dessen Territorium weiter, die bauen Produktionskapazitäten auf, die auf dem Weltmarkt konkurrenzfähige Waren herstellen. Nach deren Verkauf fließt das Geld an die Banken zurück, die einen Teil davon (ununterscheidbar kombiniert mit neu gedrucktem Geld, wie zuvor gezeigt) an andere Staaten weiterleiten (als Kredit natürlich), auf dass die existierenden Produktionskapazitäten weiterhin auf kaufkräftige Nachfrage treffen. Gelingt dies, kann man von einem hegemonialen Staat sprechen. Und gilt ein Staat erst einmal als Hegemon, strömt ihm weiteres Geld der Anleger zu. Hegemonie erzeugt Vertrauen und Vertrauen Hegemonie. Daraus folgt ein einfacher syllogistischer Schluss: Hegemonie reproduziert sich selbst; ist also etwas ganz anderes als Imperialismus. Dafür sind die USA das beste Beispiel. Die entscheidende Frage ist nun, was Staaten umtreibt, danach zu streben, sich neben den USA als weitere hegemoniale Macht etablieren zu wollen. Mit ökonomischer Rationalität hat das jedenfalls nichts zu tun, denn schließlich ist diesen USA – nicht immer und ungebrochen, aber historisch im Ganzen gesehen – nichts heiliger als die Bedingungen, die dem Kapital die bestmög­liche Verwertung erlauben. Für Deutschland ist das Agieren gegenüber Griechenland hingegen ein weiterer Schachzug in einer langfristigen Politikstrategie, dank der es sich zur Führungsmacht all jener Bewegungen aufschwingen soll, die an die vom Kapital erzeugte, wundersame, auf Äquivalententausch beruhende Geldvermehrung nicht glauben, in den USA also den Schuldigen dafür sehen, dass ihnen eine gerechte Beteiligung am kapitalistisch erzeugten Reichtum vorenthalten wird. Dabei zeigt Griechenland allen Staaten der EU und denen, die noch beitreten wollen, und allen, die vom Zufluss von Geld aus der EU abhängig sind, was ihnen bevorsteht: Ob rein oder raus aus der EU, ob Euro oder eigene Währung, Euro oder D-Mark in Deutschland – alles Pochen auf nationale Würde oder Souveränität beschert nichts als hehre Gefühle. Von diesem psychischen Mehrwert aber können sich die Bürger nichts kaufen – doch wo es darum ginge, statt sie mit Gefühlen abzuspeisen, sie mit benötigten Waren zu versorgen, ziehen dann alle Staaten quasi von Natur aus, wie Griechenland erneut beweist, wieder am selben deutschen Strang: Kein Reichtum ohne Opfer- und Verzichtbereitschaft. Deutschland ­gewinnt jedenfalls immer, politisch und ökonomisch. Die berüchtigte deutsche Sparpolitik, die natürlich in allen Staaten massenhaft ihre Anhänger hat, stellt dabei nur die Würze für den Cocktail bereit, in dem sich Recht und Gewalt mit sogenannter Hilfe zur Selbsthilfe verrührt. Deutschland ist zu jeder Finanzhilfe bereit – solange die Regeln beachtet werden. Deren Quintessenz lautet: Der Politik gebührt der Primat über die Ökonomie. Dabei verwandelt die Notwendigkeit des Staates, damit die Ökonomie überhaupt funktioniert, sowieso schon die Ideale des freien Marktes eher in den Vorhof der Hölle, statt dass sie als Vorschein eines Schlaraffenlandes angesehen werden könnten. Das noch Schlimmere ist: der Staat kann, zumindest zeitweise, auch ohne eine funk­tionierende Kapitalakkumulation auskommen – wer, und darauf läuft auch und gerade alle linke Politik hinaus, den Primat des Politischen propagiert, schafft die Bedingungen, unter denen der Leviathan zum Behemoth mutiert.