Ein gynäkologischer Selbsttest: nett aber nutzlos

Selbstuntersuchung 2.0

Gynäkologische Selbstuntersuchungen sind seit Jahrzehnten feministische Praxis. Ein feministisches Kollektiv hat jüngst ein Untersuchungsset entwickelt, das vor allem Sexarbeiterinnen und marginalisierten Frauen, die nicht zum Arzt gehen können, helfen soll. Doch ganz ohne medizinisches Wissen ist dies problematisch.

Das katalanische feministische Kollektiv Gynepunk hat ein Selbstuntersuchungsset für Frauen entwickelt. Mit dem gynäkologischen Erste-Hilfe-Kasten soll der Arztbesuch vermieden und der weibliche Körper »dekolonialisiert« werden. Die Gruppe empfiehlt das Test-Set für gynäkologische Selbstuntersuchungen besonders armen, illegalisierten Frauen und Sexarbeiterinnen, die oft nicht zu einem Arzt gehen können. Sie folgen damit auch der feministischen Utopie, sich von der männlich konnotierten Schulmedizin unabhängiger zu machen.
Das Kollektiv lebt seit 2013 zusammen in Calafou, einer »ökoindustriellen« Kooperative westlich von Barcelona. Die Mitglieder beziehen sich positiv auf alternative Postpornographie, Hacker-Aktivismus und Transfeminismus, eine spanische radikale Strömung des antikapitalistischen Queerfeminismus. Sie bezeichnen sich als Cyborg-Hexen, die das Wissen der Vorfahren mit moderner Technik kombinieren. Die Gruppe übt starke Kritik an der herkömmlichen Medizin: Diese sei patriarchal, konservativ und halte systematisch wichtige Informationen vor ihren Patientinnen und Patienten geheim. In der Gynäkologie habe man es sogar mit einem inquisitorischen und paternalistischen Faschismus zu tun.
Allerhöchste Zeit also, den weiblichen Körper aus dessen Klauen zu befreien. Das Selbstuntersuchungsset besteht aus drei Apparaten: Einer Zentrifuge, einem Mikroskop und einem Inkubator. Eine Zentrifuge trennt feste von flüssigen Stoffen, mit dem Mikroskop können beispielsweise Pilzinfektionen erkannt werden. Im Inkubator können Bakterienkulturen angelegt werden. Die Aktivistinnen geben zu diesen Apparaten, die sie »gehackt«, also selbst gebaut haben, Workshops, in denen die häufigsten Untersuchungen, Techniken und Krankheiten erklärt werden, außerdem die für eine Untersuchung notwendigen hygienischen Maßnahmen. Dieses Wissen und die Hardware sollen der Notfallmedizin dienen. Blut, Urin und Vaginalschleim können mit dem Set getestet werden. Durch die niedrigen Kosten soll es möglich sein, die Wissensunterschiede zwischen Medizinern und Patienten zu überwinden. Die Möglichkeit zur Selbstdiagnose soll die herrschende Definition von Krankheit aufheben.

Was aber auf welche Weise mit diesem Kit tatsächlich nachgewiesen werden kann, darüber bleibt das Kollektiv im Vagen. Auf ihrer Website befindet sich lediglich eine grobe Anleitung zur Kontrolle des pH-Werts von Urin und eine Auflistung möglicher Gründe für abweichende Werte. Wie aber eine Person im DIY-Verfahren unterscheiden können soll, ob der Grund für sauren Urin eine Diabetes oder proteinreiche Nahrung ist, wird nicht weiter erläutert. Ohne eine solche Einordnungsmöglichkeit ist das bloße Wissen um den pH-Wert des eigenen Urins allerdings eher schädlich als hilfreich. Zur Behandlung von Problemen scheint das Kollektiv eine spirituell-esoterische Rückbesinnung auf Kräuter und magische Praktiken zu präferieren.
Auf einige vaginale Infektionen oder Geschlechtskrankheiten wie bakterielle Vaginose, Trichomonaden, Gonokokken oder Pilze können mikroskopische Untersuchungen tatsächlich Hinweise liefern. Ein Nachweis wird heutzutage allerdings über eine Polymerase-Kettenreaktion (PCR) geführt, ein Verfahren, um DNA zu vervielfältigen, was nicht einfach in einer Petrischale abläuft. Bei allen gynäkologischen Problemen kommt es außerdem darauf an, an welcher Stelle der Abstrich gemacht wird. Zwar machen das auch viele Frauenärztinnen und -ärzte falsch, ganz ohne medizinisches Wissen erhöht sich jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass unproblematische Abstriche produziert werden, obwohl eine Infektion vorliegt. Diese Fehlerwahrscheinlichkeit oder die Gefahr von falsch-positiven Ergebnissen werden vom Kollektiv nicht thematisiert.
Zusätzlich zu dem Gyn-Kit verweist das Kollektiv auf die Möglichkeit, ein Spekulum selbst per 3D-Drucker herzustellen. Das mag zwar schick sein, hat aber eher mit Lust an der Bastelei zu tun als mit ernsthafter Technikaneignung. 3D-Drucker sind auf absehbare Zeit keine billige Technik. Ein solches Instrument hätte darüber hinaus weitere Nachteile: Seine Oberfläche wäre unangenehm rau, es ist nicht steril herzustellen oder wirklich zu sterilisieren. Ein Spekulum, das bei einem bekannten Onlineversand für Sexspielzeug nicht einmal einen Euro kostet, muss man nicht schlechter und teurer von einem 3D-Drucker herstellen lassen.

Die Praxis der Selbstuntersuchung der eigenen Geschlechtsorgane kam in den siebziger Jahren zuerst in der US-amerikanischen Frauenbewegung auf. Der Klassiker der Frauengesundheits- und Selbstuntersuchungsliteratur, »Our Bodies, Ourselves« wurde 1971 erstmals vom Boston Women’s Health Book Collective veröffentlicht. Die deutsche Version, das Frauenhandbuch Nr. 1, war keine Übersetzung, sondern beruhte auf eigenen Recherchen. Es wurde ein Jahr später vom Berliner Kollektiv Brot und Rosen im Selbstverlag publiziert. Dieser Klassiker und die völlig überarbeitete Neuauflage zwei Jahre später standen in jedem feministischen Bücherregal. Ziel dieser Veröffentlichungen war es, die Frauen mit Informationen über die grundlegende Funktionsweise ihrer Körper zu versorgen. Stärker als die US-amerikanischen Feministinnen setzten Brot und Rosen auf gesellschaftliche Analyse und die Entlarvung der Verantwortlichen der Frauenunterdrückung. In einem weiteren Klassiker, »A New View of a Woman’s Body« der Federation of Feminist Women’s Health Centers, war die Klitoris zum ersten Mal nicht nur äußerlich abgebildet, sondern auch mit allen Schwellkörpern und Nerven. Diese beeindruckenden Zeichnungen finden sich auch in der von Laura Mérrit herausgegebenen deutschen Neuauflage »Frauenkörper neu gesehen« von 2012.
Selbstuntersuchungen werden mit einem Spekulum, einem (Vergrößerungs-)Spiegel und einer Taschenlampe durchgeführt. Diese Praktik sollte das Tabu brechen, dass Männer und Frauenärzte den Körper der Frau kannten, sie selbst aber nicht. Das Wissen über den eigenen Körper sollte vermehrt werden, dadurch sollten Schamgefühle abgebaut und Kontrolle über den Körper und damit über das eigene Leben ermöglicht werden. Die Selbstuntersuchungen wurden häufig als kollektive Handlung in der feministischen Gruppe durchgeführt, das Vergleichen und Besprechen der Auffälligkeiten war zentral. Aber was tun bei Beschwerden? Die Selbsthilfehandbücher geben Tipps, wie kleinere Probleme, etwa Pilzinfektionen, Blasenentzündungen oder Menstruationskrämpfe, mit naturheilkundlichen Methoden selbst zu behandeln sind. Darüber hinaus sei es ratsam, fachliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Selbstuntersuchung wird dabei als Hilfe bei der Entscheidung über die Notwendigkeit eines Arztbesuchs angesehen. In der Welt der katalanischen Feministinnen tauchen Ärzte außer als Feinde allerdings gar nicht mehr auf. Dabei sind die Bedingungen gynäkologischer Untersuchungen heute wahrscheinlich weniger übergriffig und bevormundend als vor 40 Jahren.

Dies ist auch das Problem des Selbsthilfe-Kits: Es ist für Selbsthilfe im engeren Sinne nicht geeignet. Eine einzelne Frau kann mit einem Spekulum und einem Spiegel etwas über ihren Körper lernen. Jeder sei es empfohlen, nicht nur andere Personen Körperteile und Gegenstände in die eigene Vagina einführen zu lassen, sondern das zumindest gelegentlich auch einmal selbst zu tun. Auch ist es interessant zu beobachten, wie sich die Zusammensetzung des Vaginalschleims während eines Monatszyklus ändert. Das Kit ist jedoch zu zwei Dritteln diagnostisch relativ nutzlos. Sowohl der Inkubator als auch die Zentrifuge sind nette Biolabor-Spielzeuge: Flüssigkeiten in ihre festen und flüssigen Bestandteile trennen oder etwas in Petrischalen wachsen lassen, das eine aus dem eigenen Körper geholt hat, ist sicher spannend. In einem selbstorganisierten Frauengesundheitszentrum mit eigenem DIY-Labor hätten die Apparaturen bestimmt ihren Platz. Diese Apparatekombination aber als Selbsthilfetool für einzelne Sexarbeiterinnen oder Illegalisierte zu empfehlen, ist schlichter Nonsens und im schlimmsten Fall gefährlich. Wichtiger, als Apparate bereitzustellen, wäre es, das Wissen um Symptome und deren Linderung weiterzugeben. Davon findet sich in der Arbeit des Kollektivs trotz der Work­shopangebote wenig, zu begeistert scheinen sie von ihrer Hacktivität zu sein. Dem Kern dieses Aktivismus kommt man wohl eher nahe, wenn man das Ganze als linksradikales und feministisches Experimentier- und Kunstprojekt an der Schnittstelle von Frauengesundheit, Biohacking und Postpornographie betrachtet.
Mit einem anderen Kunstprojekt forscht das Gynepunk-Kolletiv zur Geschichte gynäkologischen Wissens. Dabei sind die Frauen darauf gestoßen, dass mehrere bis heute benutzte gynäkologische Instrumente, einschließlich des Spekulums, bei Operationen an schwarzen Sklavinnen entwickelt wurden. Um 1840 hat der als Vater der modernen Gynäkologie geltende James Marion Sims an ihnen intravaginale Fistel-Operationen ohne Anästhesie durchgeführt. Später führte er diese Operationen auch an weißen Frauen durch, die dafür betäubt wurden. Das Kollektiv plädiert für eine Umbenennung einiger weiblicher Sexualdrüsen, um nicht nur die Körper, sondern auch die Benennungen zu dekolonialisieren. Statt nach ihren männlichen Entdeckern sollen die Drüsen nach dreien der Frauen benannt werden, die unter Sims’ Experimenten gelitten haben: Anarcha, Betsey und Lucy. Da die wenigsten Frauen ihre Drüsen explizit beim Namen nennen, dürfte sich durch diesen Vorschlag relativ wenig ändern. Eine feministisch-medizinhistorische Forschung, die systematisch die Entstehung heute selbstverständlich erscheinender Geräte und Praktiken untersucht und problematisiert, erscheint hingegen sehr erstrebenswert.