Sigmar Gabriel besucht den Iran

Brüder, zum Platz an der Sonne

Als erster westlicher Regierungsvertreter reiste Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) nach dem Abschluss der Wiener Verhandlungen in den Iran.

Begleitet wurde Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel »von einer kleinen Delegation mit Vertretern aus Wirtschaftsverbänden, Wissenschaft und Unternehmen«, wie er bescheiden formulierte. Nach iranischen Quellen umfasste die Entourage immerhin 60 Personen, darunter die Präsidenten der Verbände Bundesverband der deutschen Industrie (BDI), Deutscher Industrie- und Handelskammertag (DIHK), Verband deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), Nordafrika-Mittelost-Initiative der deutschen Wirtschaft (NMI), Vereinigung Rohstoffe und Bergbau (VRB) und Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GiZ). Mit von der Partie waren Topmanager der Konzerne Siemens, Daimler, Volkswagen, BASF, Thyssen-Krupp, Mannesmann, Bombardier, Linde, aber auch mittelständische Unternehmer wie der Tunnelmaschinenhersteller Herrenknecht. Martin Herrenknecht ist stellvertretender Vorsitzender des Nah- und Mittelost-Vereins (NUMOV). Mit ihm war also auch der einflussreichste Verband der deutschen Iran-Lobby in Gabriels Delegation vertreten.

Es sind die üblichen Verdächtigen, die Gabriel auf seine dreitägige Reise vom 19. bis zum 21. Juli mitgenommen hat. Gerade seine prominentesten Mitreisenden haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie die gegen den Iran verhängten Sanktionen ablehnen. Als sie trotzdem beschlossen wurden, vergossen sie bittere Tränen und beschworen Schaden für die Wirtschaft und Gefahren für die Arbeitsplätze. Sie kämpften um jede Ausnahmeregelung im Sanktionsregime und boten mithilfe des NUMOV Anleitungen und Workshops an, wie man Schlupflöcher am besten nutzt. Sie verkündeten, wie beispielsweise Siemens im Jahr 2010, zähneknirschend, keine neuen Geschäfte mehr mit iranischen Partnern abzuschließen, haben aber peinlich darauf geachtet, dass die bestehenden Verträge eingehalten werden. Sie holten ihre Repräsentanten und Fachleute im Iran nicht nach Hause und ihre Büros waren weiterhin geöffnet.
80 deutsche Firmen unterhalten Vertretungen im Iran. Insgesamt seien durchschnittlich 1 000 Mitarbeiter ständig vor Ort, wie man jetzt erfährt. Was tun sie dort, außer Werbeprospekte übersetzen zu lassen und zu verteilen? Reden wir einmal nicht über Siemens, über seine Serviceleistungen für die Nuklearanlagen in Buschehr und Natanz, für seine Gasturbinen oder für die Infrastruktur der iranischen Telekommunikation – die Mobilfunkbetreiber lernen ja nicht von allein, wie man Gesprächs- und Ortungsdaten statistisch auswertet und mit Personendaten statistisch verknüpft, um Regimegegner individuell ausfindig zu machen. Reden wir über die bislang wenig genannte Firma, die nach eigenen Angaben Weltmarktführer bei Tunnelbohrmaschinen ist. Als im November 2009 bekannt wurde, dass der Iran heimlich eine zweite unterirdische Urananreicherungsanlage in Fordo errichtete, musste sich Herrenknecht unangenehme Fragen gefallen lassen. Denn das Unternehmen preist seine Produkte ausdrücklich damit an, dass sie in der Lage seien, sich durch jede beliebige Gesteinsformation mit großer Geschwindigkeit und Sicherheit hindurchzuarbeiten.

Herrenknecht beteuerte, ausschließlich Aufträge anzunehmen, die eindeutig zivilen und fried­lichen Zwecken dienten. Unter seinen iranischen Geschäftspartnern befinden sich jedoch verdiente ehemalige Revolutionsgardisten, wenn diese Truppe überhaupt so etwas wie »Ehema­lige« kennt. Was die mit dem schweren Gerät sonst noch anstellen, das kann der südbadische Unternehmer natürlich nicht wissen, weil er es nicht wissen will.
Trotz aller Krokodilstränen der Wirtschaft wurden die Beziehungen zum Iran pfleglich gehandhabt. Sie haben unter den Sanktionen, wenn überhaupt, nur wenig gelitten. Deutschland blieb während des Sanktionsregimes der wichtigste westliche Handelspartner des Iran, auch wenn sich die Ausfuhren 2013 auf offiziell 1,8 Milliarden Euro im Vergleich zum Vorjahr deutlich verringerten. Die amtliche Zahl trügt. Gleichzeitig schnellte nämlich das Handelsvo­lumen zwischen dem Iran und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VEA) in die Höhe. Parallel zogen auch die deutschen Exporte nach den VAE kräftig an. Die nicht besonders plausiblen Daten dürften auch darauf zurückgehen, dass schlaue Berater in Dubai ansässige iranische (Schein-)Firmen als Empfänger deutscher Waren empfohlen hatten, ein System, das sicherlich in enger Abstimmung mit dem Iran erfunden wurde.
Zurück aus Teheran äußerten sich die Sprecher der deutschen Wirtschaft begeistert über die Perspektiven, die Gabriel ihnen als »Türöffner« gezeigt habe. Die Prognosen über die in den nächsten Jahren möglichen Umsatzsteigerungen überschlagen sich. Der Focus berichtete von einem »Signal der Ermutigung für deutsche Unternehmer«. Dass eine russische Tageszeitung schrieb, Deutschland sichere sich einen »›Platz an der Sonne‹ auf dem iranischen Markt« und ihrer Regierung riet, es der deutschen gleichzutun, berichtete die Deutsche Welle. Made in Germany habe im Iran »einen Ruf wie Donnerhall«, schrieb die Welt. Auf einmal scheinen ausgerechnet Formulierungen aus angeblich längst überwundenen Zeiten deutscher Großmannssucht wieder in ­aller Munde. Und das im Umgang mit einem Regime, das nach Angaben von Amnesty Interna­tional in diesem Jahr bereits 700 Menschen hingerichtet hat.

Allerdings musste sich Gabriel auch Kritik an­hören. In seltener Übereinstimmung protestierten die Jusos, die Grüne Jugend und die Junge Union gegen die Reise. Auch bürgerliche Zeitungen wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung oder das Handelsblatt hätten sich etwas weniger Eile und etwas mehr Zurückhaltung gewünscht. Schließlich seien die Sanktionen noch in Kraft. Ein starkes Stück leistete sich der Minister gegenüber Israel. Um sich politisch abzusichern, erklärte er bei seiner Ankunft in Teheran auf einem Empfang in der deutschen Botschaft: »Für Deutschland muss klar sein: Wer immer mit uns nachhaltige Beziehungen hat, der kann nicht das Existenzrecht Israels politisch infrage stellen«. Im Gespräch mit dem iranischen Ölminister Namdar Sangeneh, der als Gastgeber fungierte, klang das ganz anders: Beide Seiten seien sich bewusst, dass es unterschiedliche Sichtweisen ­darüber gebe. Als »alte Freunde« könne man offen darüber reden.
Der SPD-Vorsitzende hat die gegenwärtige internationale Politik der Bundesrepublik – Spardiktat in Griechenland statt Kompromissbereitschaft – um ein weiteres Paradigma bereichert: Profite vor Menschenrechten. Ganz anders könnte es aussehen, hätte Bundeskanzlerin Angela Merkel Regeirungsposten ein wenig anders besetzt. Man stelle sich einmal vor – Gabriel, der in Athen alte Freundschaften aufwärmt und die Wirtschaft zu Investitionen ermutigt. Halb Europa könnte aufatmen. Oder Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bei den Atomverhandlungen in Wien: »Der iranische Außenminister Mohammed Javad Zarif hat leider nichts geliefert.« – »Wir mussten uns stundenlang Allgemeinplätze anhören.« – »Der Iran hat das Vertrauen zerstört.« – »Die Vorschläge reichen nicht aus.« Manche Besserungen wären einfach zu machen und sind doch nicht zu haben.