Der Shitstorm um Monica Lierhaus

Auf Abwegen

Der Fall Monica Lierhaus zeigt, dass der Weg von der Akzeptanz individuellen Leidens an Behinderungen zu Euthanasiephantasien nur kurz ist.

Monica Lierhaus, wer war das noch gleich? Na, diese Sportmoderatorin, die bei der WM 2006 und bei der EM 2008 der deutschen Nationalelf das Mikro unter die Nase hielt. Die dann 2009 eine Hirnoperation hatte, bei der lebensgefährliche Komplikationen auftraten, weswegen sie vier Monate lang ins künstliche Koma versetzt wurde. Momentan steht die ehemalige »Sport­schau«-Moderatorin mal wieder im Zentrum medialer Aufmerksamkeit.
Wegen Lierhaus ereiferten sich gerade das halbe Internet und der Boulevard über nichts Geringeres als die Frage, ob ein Leben mit Behinderung »lebenswert« sei. Das kam so: Lierhaus gab dem Redaktionsnetzwerk Deutschland ein Interview, in dessen Verlauf sie einerseits berichtete, sie sei »zu 85 Prozent wiederhergestellt«. Anderseits bekannte sie, dass sie sich nicht nochmal für die lebensrettende OP entscheiden würde. Auf den Einwurf, dass sie dann tot wäre, sagte Lierhaus: »Egal. Dann wäre mir vieles erspart geblieben.«
»Der Bärendienst von Monica Lierhaus« – unter diesem Titel veröffentlichte die querschnittsgelähmte Behindertenrechtsaktivistin und Journalistin Christiane Link einen Blogpost auf Zeit Online, in dem sie das Interview kritisierte. Als öffentliche Person habe Lierhaus eine Verantwortung für die Wirkung ihrer Äußerungen, und die sei fatal: »Da arbeiten Tausende behinderte Menschen tagtäglich in ihrem persönlichen Umfeld daran, Vorurteile abzubauen, Mitleid abzuwehren, Aufklärungsarbeit zu leisten und der Welt zu erklären, dass auch ein Leben mit einer Behinderung lebenswert ist. Und dann gibt eine Prominente wie Monica Lierhaus so ein Interview und überrollt damit die Sisyphusarbeit.« Blogger wie die gehörlose Julia Probst kritisierten ebenfalls, wie Lierhaus den Lebenswert behinderter Menschen generell in Frage stelle.
Der Shitstorm kam prompt, richtete sich nun aber gegen Link und Probst. Tenor: »So etwas ist doch immer eine individuelle Entscheidung« oder »Das ist ja auch wirklich nicht mehr lebenswert«. Samuel Koch, ebenfalls prominenter Neu-Behinderter und hoch querschnittsgelähmt, sprang Lierhaus bei und befand, dass auch öffentliche Personen mit Behinderung »nicht immer nur ›Sonnenschein‹ vermitteln und ›Alles ist gut‹-Parolen verteilen« sollten.
Tatsächlich ist ein langes Koma samt mehrmonatigem Klinikaufenthalt ein Horror, den sich fraglos jeder gerne ersparen möchte. Neu sprechen und laufen zu lernen und sich vom gewohnten, funktionsfähigen Körper zu verabschieden – all das ist schwer zu bewältigen. Und auch Prominente wie Lierhaus kann man nicht darauf festlegen, ihr Leid für sich zu behalten. Öffentlich gemachtes Leid an Behinderung jedoch ist heikel, bestätigt es doch das populäre Bild von Behinderung und Krankheit, das beides generell mit Qual und Tragödie gleichsetzt und den reflexhaften Wunsch nach »Euthanasie« als einzig naheliegenden Ausweg versteht.
In einer Gesellschaft, in der Nichtbehinderte einen Großteil ihrer Informationen über Behinderung aus den Medien beziehen, wie zum Beispiel aus dem Interview mit Monica Lierhaus, und in der ausschließlich ein autonomes, nicht von anderen abhängiges Subjekt als »vollwertig« verstanden wird, muss man sich darüber nicht wundern. Es gibt auch in den sozialen Medien wenig Raum für die Frage, was denn so »indivi­duell« an einer Entscheidung für oder gegen eine lebensrettende OP sein soll – schließlich lebt niemand in einer Blase, die von ableistischen Bildern und machtvollen Körpernormen unberührt ist. Und der Boulevard hat kein Interesse daran, mögliche Gründe für eine depressive Phase von allen Seiten auszuleuchten. Mit einer solchen scheint Lierhaus nach ihrer OP offenbar immer noch zu ringen. Sie bekannte: »Meine Gangart nervt mich nach wie vor sehr.« Zwar ruderte sie eine Woche später ein wenig zurück, als sie sagte: »Ich finde das Leben auch lebenswert, ich bin nicht lebensmüde.«
Dennoch: Auffällig zu gehen statt leichtfüßig und leistungsbereit im Studio zu stehen, nicht ganz deutlich zu sprechen statt souverän Interviews zu führen – es sind ihre eigenen Körperideale und die Scham über das vermeintliche Scheitern, die Lierhaus depressiv machen. Möglicherweise aber auch der Defizitblick auf Behinderung, den ihr die Journalistenkollegen täglich präsentieren.